Hans Fritzsche
Westerwälder in New Jersey (USA)
Ein Beitrag zur Geschichte
der Westerwälder Auswanderung im 18. Jahrhundert
(veröffentlicht im Heimatbuch des Kreisheimatvereins
Altenkirchen - hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des
Heimatvereins)
An einem Septembertag des
Jahres 1734 näherte sich ein englisches Schiff mit dem Namen „Hope“ (Hoffnung)
der amerikanischen Küste, an der es im Hafen von Neu Amsterdam, dem heutigen
New York, vor Anker gehen sollte. An Bord befanden sich 127 deutsche
Auswanderer, darunter auch drei Familien aus dem Kirchspiel Flammersfeld. Es
waren die Eheleute Zacharias und Anna Gertrod Flammersfeld aus Seelbach, beide
erst 21 Jahre alt, sowie die aus Ahlbach kommenden
Eheleute Zacharias und Anna Demut Ahlbach und Johann
Wilhelm und Anna Elisa Ahlbach. Zacharias und Johann
Wilhelm waren Brüder. Die Ahlbachs hatten zusammen
fünf Kinder mitgenommen, von denen das älteste elf, die beiden jüngsten zwei
Jahre alt waren.
Die freudige Erwartung der
Auswanderer, nun bald nach den unerhörten Strapazen der monatelangen Überfahrt
am Ziel zu sein und wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, wurde jäh
enttäuscht. Ein furchtbarer Sturm erfaßte das Schiff
und trieb es 150 Meilen nach Süden vor die breite Mündungsbucht des
Delawareflusses. Kapitän Daniel Reed, unter dessen Kommando die „Hope“ von
Rotterdam über Cowes in Südengland nach Amerika
gesegelt war, entschloß sich, den nächstgelegenen
Hafen Philadelphia am Delawarefluß anzulaufen. Die Passagiere
gingen dort am 23. September 1734 an Land. Die Erwachsenen ab 16 Jahre
leisteten am selben Tag auf dem Amtshaus den Eid auf die Regierung.
Indianer vom Stamm der
Delawaren führten unsere Westerwälder in den Norden des heutigen Staates New
Jersey, durch ein Gebiet, das damals „The great American Wilderness“ (die
große amerikanische Wildnis) genannt wurde. In einem von bewaldten
Bergen umgebenen Tal, das sie wohl an die Heinmat
erinnert haben mag, legten sie ihre Siedlungen an. Zacharias Flammersfeld
siedelte in der Nähe des heutigen Ortes Califon, die
beiden Ahlbach-Familien wenige Meilen südlicher bei
High Bridge. So waren sie in dem menschenleeren Land auch über mehrere
Kilometer hinweg Nachbarn und konnten sich in Notzeiten gegenseitig
nachbarliche Hilfe leisten.
Foto: Carol Flomerfelt
Die Ähnlichkeit mit ihrer
Westerwälder Heimat mag die Auswanderer bewogen haben, sich in diesem Tal, das
sie „German Valley“ nannten, niederzulassen.
Andere deutsche Siedler
folgten nach, so daß das Tal schließlich „German
Valley“ (Deutsches Tal) genannt wurde. So hieß es bis zum Ersten Weltkrieg, als
man im Zuge der allgemeinen Kriegshysterie den Namen in „Long Valley“ (Langes
Tal) änderte, welchen Namen es bis heute behalten hat. Das vom Raritan-Fluß durchzogende Tal
liegt etwa 50 km Luftlinie westlich von New York in den heutigen Counties Hunterdon und Morris.
Unter den in der Folgezeit
im Tal eintreffenden Deutschen stammten wieder viele aus dem Westerwald. Wir
können dies an den heute dort noch vorkommenden Namen erkennen, auch in ihrer
anglisierten Form: Bay, Dierdorff, Hockenbury, (Hachenberg),Hummer (Hom-mer), Schuyler (Schüler),
Weingarten, Bitzer, Humerich
(Hümmerich), Seifers und Sypher
(Seifen), Seelbach, Enders, Rockefella
(Rockenfeiler), Hochstenbach (Höchtenbach),
Rodenbaugh (Rodenbach) und viele andere. Auch hinter
dem dort weitverbreiteten ganz englisch klingenden
Namen „Sharps“ verbirgt sich ein alter Westerwälder Name.
Im Jahre 1749 erwarb der
vermutlich aus Sensenbach bei Steimel stammende
Johann Peter Scharfenstein Land in German Valley. Der Name wurde in Sharpenstein anglisiert und schließlich in „Sharps“
verkürzt. Die vielen Nutzer, Natzer oder Neitzer stammen alle von zwei Brüdern Neitzert
ab, die 1744 aus Urbach in der Grafschaft Wied-Runkel
ausgewandert waren, zusammen mit zwei Brüdern Röhrig, deren Namen in Rarick geändert wurden. Johann Peter Neitzert
aus Urbach eröffnete in German Valley einen bald florierenden Kaufladen, der
zu einem Kommunikationszentrum für die in weitem Umkreis wohnenden Deutschen
wurde. Sein erhalten gebliebenes Hauptbuch enthält die Namen von 228 Kunden,
darunter sehr viele Westerwälder. Als er 1763 ohne Erben stirbt, treten der
Neffe Johann Wilhelm und die Nichte Elisabeth Neitzert,
mit Legitimationen des Urbacher Pfarrers Daniel Müller und der Wied-Runkelschen Regierung in Dierdorf wohl versehen, die
Reise über den Atlantik an, um das Erbe in Empfang zu nehmen. Sie bleiben in
German Valley und übernehmen den umfangreichen Besitz ihres Onkels.
Aber nicht nur die
Landschaft und die Namen, auch einzelne Gebäude im heutigen Long Valley
erinnern noch an den Westerwald. Die Siedler haben offenbar schon früh
Steinhäuser an die Stelle der ersten Blockhütten gesetzt. Das alte Steinhaus
der Familie Flammersfeld aus der Pionierzeit war noch vor einigen Jahren zu
sehen. Heute ist es eine von Gebüsch überwachsene Ruine, in der aber noch der
„Ern“ und die offene Feuerstelle zu erkennen sind. Gut erhalten blieb ein noch
aus der Pionierzeit stammendes Backhaus, ein „Backes“, wie er auch im Westerwald stehen könnte.
Foto: Carol Flomerfelt
Das ist unverkennbar ein
Westerwälder „Backes“, von den ersten Ansiedlern erbaut.
Ein amerikanischer
Historiker charakterisiert die Deutschen von German Valley aus der Pionierzeit
als „almost universally religious people“ (ein fast
durchweg religiöses Volk). Sowohl die aus der Grafschaft Sayn
als auch die aus der Grafschaft Wied kommenden Einwohner gehörten der
Reformierten Kirche an, während andere Deutsche Lutheraner waren. Beide aber, Reformierte
und Lutheraner, taten sich zusammen und bauten bereits 1747 eine gemeinsame Kirche,
eine „Log Church“, die - wie auch die ersten Hütten der Siedler - aus rohen Baumstämmen
zusammengefügt war. Einen Pfarrer gab es damals in German Valley nicht, so daß dort nur in bestimmten Abständen von auswärtigen
Pfarrern Gottesdienst gehalten werden konnte. Die Chronik berichtet aber, daß die Gemeindeglieder oft den Gottesdienst im 15 km entfernten
New Germantown besuchten. Dabei gingen sie meist zu
Fuß und zudem auch noch barfuß. Die Frauen trugen
ihre Schuhe in der Hand, bis sie in Sichtweite der Kirche kamen. Vielleicht
haben Zacharias Flammersfeld und die beiden Ahlbachbrüder
- ihr Todesdatum ist nicht bekannt - den Bau der ersten Steinkirche im Jahre
1774 noch miterlebt, die wieder für Reformierte und Lutheraner gemeinsam
gebaut wurde. Sie besaß keinen Kamin. Die Väter hatten, wie es in der Chronik
heißt, einen neuen Weg gefunden, es sich an kalten Sonntagen bequem zu machen.
In der Mitte der Kirche wurde eine acht Meter im Quadrat messende Grube ausgehoben,
in der man große Mengen Holzkohle verbrannte. Die Gemeine bekam immerhin den Geruch
des Feuers mit, während der Prediger auf seiner erhöhten Kanzel, die gleich
über der brennenden Masse angebracht war, eine doppelte Portion Gas unter seine
Predigt gemischt bekam.
Im Jahre 1769, also noch
zu Zeiten der Blockhaus-Kirche, sind unter den acht Presbytern und Diakonen der
reformierten Gemeinde vier, deren Namen auf Westerwälder Herkunft schließen lassen:
Caspar Eick (Eich), Conrad Rorick
(Röhrig), Morris Scharpenstein (Scharfenstein) und
Jacob Schuler (Schüler). Bis um das Jahr 1800 war Deutsch die Predigtsprache in
German Valley. Als dann Englisch die Sprache der Mehrheit wurde, entschloß sich der damalige Pastor Wack
- seine Mutter war eine geborene Schüler und wohl auch Westerwälder Abstammung -,
seine Predigten in Englisch zu halten. Den Alten in seiner Gemeinde zuliebe
hielt er aber auch gelegentlich noch Predigten in deutscher Sprache.
Auch ein Gang über die
Friedhöfe von Long Valley weckt Erinnerungen an die ersten Einwanderer aus dem
Westerwald. Das Grab von Zacharias Flammersfeld, dessen Familienname
Foto Carol Flomerfelt
Westerwälder Namen auch
auf dem Friedhof in Long Valley.
später in Flomerfelt und Flumerfelt geändert
wurde, ist nicht mehr da, wohl aber die Gräber seiner Enkel, deren Grabsteine
in ihrer Ausführung erkennen lassen, daß die Nachkommen
in der dritten Generation einen gewissen Wohlstand erlangt hatten. Einen Stein mit
dem Namen Ahlbach wird man vergeblich suchen. Schon
in der zweiten Generation wurde dieser für englische Zungen schwer
auszusprechende Name in Alpock und Alpaugh verändert.
Wie allgemein in
Nordamerika ist heute auch bei den Nachkommen der Westerwälder Einwanderer des
18. Jahrhunderts ein großes Interesse an der Geschichte ihrer Familien erwacht,
ein Forschen nach den „roots“, den Wurzeln ihrer
Geschlechter. Viele haben brieflich die Verbindung mit der Heimat ihrer
Vorfahren aufgenommen, indem sie die Pfarrämter um Auszüge aus den alten
Kirchenbüchern und Fotos der Häuser ihrer Vorfahren baten. Nicht wenige aber
kommen selber über den Atlantik, um die Heimat ihrer Ahnen aufzusuchen. Als
erste waren 1979 in Ohio lebende Nachkommen von Zacharias Ahlbach
in Flammersfeld. Im vergangenen Jahr trafen zwei Nachkommen von Zacharias Flammersfeld
ein, Brian Flumerfeld aus Kanada und Carol Flomerfelt aus New Jersey. Beide sind direkte Nachfahren
von Zacharias in der 8. bzw. 7. Generation.
Carol Flomerfelt, direkte Nachfahrin von
Zacharias Flammersfeld in der 7.
Generation, besuchte im vergangenen Jahr die
Heimat ihres Ahnen.
Foto: Fritzsche
Weitere Nachkommen der
Flammersfelder Auswanderer haben bereits ihr Kommen angekündigt. Zu jedem
Besuch gehört eine Besichtigung der Kirche und die Einsichtnahme in die alten
Kirchenbücher mit den die Vorfahren betreffenden Eintragungen, nach Möglichkeit
aber auch ein Zusammentreffen mit den heute noch in FlammersfeJd
lebenden Trägern des jeweiligen Namens.
Literatur
und Anmerkungen:
Theodore
F. Chambers, The early Germans of New Jersey, their history, churches and genealogies, Dover N.J. 1895,
Reprint
von 1982.
Kirchenbücher
im Archiv der ev. Kirchengemeinde Flammersfeld.
Korrespondenz
mit Brian Flumerfelt, Department of Anatomy der University of Western Ontario, London. Canada.
Korrespondenz
mit Carol Flomerfelt, Manasquan,
New Jersey, die mir das oben genannte Buch, Kartenmaterial und
Fotos besorgte.
Korrespondenz
mit Florence Delling, geb. Flomerfelt
in Kirkwood, Missouri.
Vgl. auch:
Hans Fritzsche, Pioniere der neuen Welt aus dem Kirchspiel Flammersfeld - die „Flumerfelt“ in Amerika,
in
Heimat-Jahrbuch des Kreises Altenkirchen 1980, S. 236-238.