Carl Kraus |
|
Auswanderer / Emigrant: |
Carl Kraus, geb. 19. Februar 1847 in Flammersfeld |
Herkunftsort / Place of origin: |
Flammersfeld |
Zielland / Destination |
Chile |
Datum der Auswanderung Date of emigration: |
Um / ca. 1885 |
Einsender / Autor: Submitted by / Author: |
Ulrich Helsper E-Mail: U.Helsper@rz-online.de |
_____________________________________________________________
Carl Kraus Die deutsche Auswanderung nach Südamerika im 19. Jahrhundert Von den ca. fünf Millionen deutscher Überseeauswanderer zwischen 1820 und 1920 ging nur ein geringer Teil nach Südamerika, vorwiegend in die sog. ABC-Staaten: Argentinien, Brasilien und Chile. Die Auswanderung erfolgte in fünf Wellen, die jeweils im Zusammenhang mit europäischen Krisen standen. Die erste war eine Folge des Hungerjahres 1816/17, die zweite ab 1850 war eine Nachwirkung der Agrarkrise von 1846/47. Die dritte Welle begann 1866, erreichte in den Jahren 1885 und 1894 mit 16.214 bzw. 17.051 deutschen Lateinamerika-Auswanderern Spitzenwerte und versandete um 1900. Die Krisenjahre der Weimarer Republik 1920 - 1924 lösten die vierte Welle aus, und schließlich bewirkte der Druck des NS-Regimes einen Exodus von 75.000 bis 90.000 Menschen, die zwischen 1933 und 1945 nach Südamerika gingen. Das beliebteste Zielland war Brasilien. Chile Was Chile betrifft, so ließen sich zwischen 1840 und 1914 ca. 20.000 Deutsche im dünn- bzw. unbesiedelten Süden des Landes nieder, wo sie Kolonien gründeten (Valdivia, Osorno, Llanquihue) und Eigentümer des von ihnen bewirtschafteten Landes wurden. In der Abgeschiedenheit dieser Region genossen sie ein hohes Maß an Autonomie und bewahrten lange Zeit ihre nationale Eigenart. Handelte es sich bei ihnen vorwiegend um Kleingewerbetreibende und Angehörige unterbürgerlicher und unterbäuerlicher Schichten, so bevorzugten Auswanderer aus dem Bürgertum (Kaufleute, Unternehmer, z.T. auch Ingenieure, Geisteswissenschaftler und Offiziere) die städtischen Zentren. Die Bevölkerung Chiles, überwiegend aus Mestizen bestehend, ist ungleichmäßig über das Staatsgebiet verteilt. Ca. 75% der Gesamtbevölkerung von heute ca. 12 Millionen (1983). leben in der sommertrockenen Zentralzone Mittelchiles auf 15% der Gesamtfläche des Landes. Dort liegen die großen städtischen Ballungsräume Groß-Santiago (4,2 Mio. Ew.), Concepción (0,8 Mio. Ew.) und Valparaiso (0,7 Mio. Ew.). Der Entschluß zur Auswanderung ergibt sich aus dem Zusammenspiel von "Pull"- und "Push"- Faktoren. Es müssen Gründe vorhanden sein, die Menschen aus dem einen Land "hinausdrängen" und in ein anderes "hineinziehen". Was genau den Flammersfelder Lehrer Carl Kraus dazu bewog, 1886 nach Chile zu gehen, ist nicht bekannt. Er verließ Deutschland zu einer Zeit, als die Auswanderung nach Übersee noch einmal zu einem gewaltigen Strom anschwoll. Zwischen 1880 und 1893 wanderten etwa 1,8 Millionen Deutsche aus. Chile Chile befand sich damals in einer Zeit raschen sozialen und wirtschaftlichen Wandels, bedingt durch Bevölkerungswachstum und Industrialisierung. Die konservative, landbesitzende Oligarchie, die seit der Unabhängikeitserkärung des Landes von Spanien (1818) an der Macht war, wurde mehr und mehr von liberal denkenden Vertretern aus Handel und Gewerbe verdrängt. Die Reformpolitik des Präsidenten Domingo Santa Maria Gonzales (1881 - 86) führte zu heftigen Kämpfen mit der katholischen Kirche (z.B. wegen Einführung der Zivilehe). Präsident J.M. Balmaceda Fernandez (1886 - 91) einigte sich zwar mit der Kirche, geriet jedoch wegen autoritärer Regierungsmethoden in Konflikt mit dem Kongreß, der ihn 1891 absetzte. Daraus entstand ein Bürgerkrieg, den die Truppen des Kongresses gewannen. In dem unten abgedruckten Brief wird dieser Krieg erwähnt. Der SchullehrerCarl Kraus Carl Kraus entstammte einer seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Flammersfeld nachweisbaren Familie, die dort mittlerweile im Mannesstamme erloschen ist. Seine Eltern waren Maximilian Kraus (1803 - 1871), Bauer und Schuhmacher in Flammersfeld und Wilhelmine Christine Heuberg aus Eichen (1808 - 1871). Carl wurde am 19.2.1847 als viertes von insgesamt sieben Kindern geboren. Ein Bruder, Johann Gerhard Kraus (1849 - 1925) gründete den Gasthof und die Metzgerei Kraus in Flammersfeld. Im Schulwesen seines Geburtsortes spielte Carl Kraus eine Rolle als derjenige Lehrer, der als erster die 1867 eingerichtete zweite Klasse unterrichtete. Bis dahin hatte der Kirchspielschulmeister Christian Ernst Strunk mit den ca. 120 Kindern alleine fertig werden müssen, was ihm mit Hilfe heute verpönter Methoden gelang. So pflegte er regelmäßig vor Unterrichtsbeginn einer Auswahl von Jungen prophylaktisch den Hintern zu versohlen. Begründung: 'angestellt haben die sowieso immer irgend etwas und wenn nicht, dann werden sie ganz bestimmt demnächst etwas anstellen, also haben sie auch immer eine Tracht Prügel verdient.' Ausgesprochen feinfühlig war er dem weiblichen Geschlecht gegenüber: Mädchen bekamen nur Stockhiebe auf die Handflächen und auch nur dann, wenn sie wirklich etwas verbrochen hatten. Strunk war von 1855 bis 1894 als letzter Kirchspielschulmeister in Flammersfeld tätig. Er starb 78-jährig an seinem Geburtstag, dem 1.4.1894. Der Unterricht für die neuerrichtete zweite Klasse fand zunächst im Elternhaus des neuen Lehrers, bei "Maxjes" (d.h. bei Maximilian Kraus) statt. Der musikalisch begabte Carl spielte nebenbei auch in der Flammersfelder Kirche Orgel. Zart besaitet wie er war, konnte er wohl mit den Methoden des "alten Strunck" nicht mithalten. Vielleicht aus Verzweiflung darüber, zu Hause kein seiner Begabung entsprechendes Betätigungsfeld zu finden, ging er aus Flammersfeld fort, zu spät, um noch irgendwo anders eine Musikerkarriere beginnen zu können. Der Flammersfelder Heimatforscher Ernst Willach hinterließ in seiner Liste der Flammersfelder Lehrer folgende Notiz zur zweiten Lehrerstelle: "Der erste Lehrer [auf der 2. Stelle, Anm. des Verf.] war Karl Kraus aus Flammersfeld (1867 - 1871). Ging dann an die deutsche Konsulatschule in Valdivia in Chile, Südamerika." Etwas später schreibt Willach: "1874 wurde die zweite Stelle von dem 1. Lehrer Strunk mitverwaltet, was auch geschah, während 1870/71 der Lehrer Kraus im Feld stand." Daraus ergibt sich, daß Carl Kraus 1867 Lehrer in Flammersfeld wurde, 1870/71 Soldat im Krieg gegen Frankreich war und daß er danach an eine deutsche Schule in Chile ging. Sein Leben dort nahm einen unglücklichen Verlauf. Die Familie Kraus schwieg sich darüber aus, so daß Gerüchte im Dorf umliefen. Der Heimatforscher Erwin Katzwinkel teilte mir in einem Brief 1978 mit, was er dazu von seinem Vater erfahren hatte, der ja seinerzeit ein direkter Nachbar von "Metzjersch" (Kraus) war: "Carl Kraus ging an eine deutsche Schule in Chile, hielt es aber dort nicht lange aus, da er sich zum Künstler berufen fühlte. So wurde er Klavier- und Geigenlehrer. Später geriet er in die Gesellschaft leichter Mädchen und schwerer Jungen. Einer der letzteren soll dann mit ihm eine Firma gegründet haben, die aber bald durch Veruntreuung des Kompagnons zu Lasten von Carl Kraus Pleite ging. Kraus sei unter Kuratel gestellt worden und sein Vormund habe ihn noch um den letzten Rest seines Geldes gebracht. Er sei dann als Goldsucher in den Urwald gegangen und dort verschollen. Dann habe man noch ein uneheliches Kind erfunden, um ihn völlig fertig zu machen." Als seine Angehörigen in Deutschland nichts mehr von ihm hörten, stellte ein Neffe, Fritz Kraus, Nachforschungen nach seinem Onkel an. Fritz Kraus war mit einer Französin aus Metz verheiratet. Das nebenstehende Foto, das ihn mit seiner Frau zeigt, wurde in Metz aufgenommen. Er soll Familienforschung betrieben und auch über die Herkunft der Flammersfelder Krausens Informationen besessen haben. Mir liegt ein mittlerweile fast hundert Jahre alter Brief aus dem Jahre 1897 vor, in dem Fritz Kraus die Verwandten über das Ergebnis seiner Carl-Recherche unterrichtet. Demnach ging Carl Kraus zunächst nach Talca (ca. 250 km südlich von Santiago), wo er in dem Apotheker Wilhelm Wagemann einen guten Freund fand. Nachfolgend dessen Bericht.
Brief von Wilhelm Wagemann aus Talca " (Carl Kraus) kam im Jahr 1886 nach Talca als Musiklehrer und fand auch hinreichend Beschäftigung. Er war aber stets unruhigen Geistes und leider auch sehr heftig. Für seine Jahre lebte er auch etwas unregelmäßig und war infolge dieses mit sich selbst unzufrieden, weil er sich für ein unterschätztes Talent hielt. Infolge geistiger Überanstrengung und der Direction eines größeren Concertes artete sein Leiden in Geistesstörung aus, derartig, daß er eines guten Tages fast sein gesamtes Mobiliar aus dem 2. Stock seiner Wohnung hinauswarf, theils zerstörte und selbst sein Piano zerschlug. Ich hatte mich seiner von Anfang an angenommen und Wächter aufgestellt, die er aber durch Ausschließung abhielt, ihn daran zu verhindern. Nach den gesetzlichen Schritten wurde ich zu seinem Vormund ernannt und brachte ihn dann in eine Heilanstalt nach Santiago, von wo er nach sieben Monaten entlassen wurde, als geheilt. Er blieb aber stets trübe und leider fand er nicht so leicht passende Beschäftigung, weil die Familien ihm ihre Kinder nicht mehr anvertrauen wollten. In seiner Abwesenheit und mit Bewilligung der Behörde, ehe man noch wußte, ob er genesen würde, suchte ich seine Sachen zu realisieren, was mir auch durch eine Privatlotterie gelang, und dermaßen vom Glück begünstigt, daß er den größten Theil der übriggebliebenen Lose wiedergewann und ich ihm nach seiner Genesung 1200 Pesos (1 Peso = 4 Mark) bar übergeben konnte. Leider fiel er aber nachher in die Hände eines schlechten Menschen (Carl Preuß). Trotz aller Warnungen übergab er diesem 1000 Pesos unter Bedingungen, die nie erfüllt wurden, und als dieser flüchtig wurde, verfiel er der Schwermuth, in welchem Zustande er sich das Leben nahm. Er hinterließ fast gar nichts, und nachdem er beerdigt war, blieben noch etwa 40 Pesos übrig, die ich nach und nach einem natürlichen Sohn (d.h. dessen Mutter, seiner Wäscherin) übergab. Beide sind inzwischen verschollen und ich habe sie nicht wiedergesehen; ebenso soll der Preuß in dem Bürgerkrieg umgekommen sein. Dieses ist in gedrängter Form alles, was ich Ihnen mitteilen kann. Wir haben ihn mehrere Monate vor seinem Tode, ehe er in die Hände des Menschen fiel, in meinem Hause beköstigt, als Freund und haben alles getan, um ihm zu helfen, leider ohne Erfolg. Den Todtenschein habe ich s. Zt. Dem Consulate zugestellt. Mit Hochachtung (Wagemann). |