Eberhard Wickler

Die "Maimies", ein fast vergessener Brauch

(veröffentlicht im Heimatbuch des Kreisheimatvereins Altenkirchen 2004 - hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Heimatvereins)

Lieber Mai, sei uns willkommen In dem Tal und auf der Höh! Endlich hast du weggenommen Selbst vom Bergeshaupt den Schnee.

So beginnt ein Gedicht "An den Mai" von Johannes Trojan und diese paar Zeilen drücken aufs Vortrefflichste die Stimmung aus, die uns alle erfasst, wenn der Mai gekommen ist.

Kein Monat des Jahres wird so viel besungen und ist mit so viel Mythen umgeben. In zahllosen Liedern und Bräuchen wird er gefeiert.

"Wonnemond" nannten ihn die Alten, nach den langen dunklen Wintermonaten kehrt der Frühling zurück und wird nicht nur von den Kindern freudig begrüßt.

In unserem Lebensraum, dem Land zwischen Lahn und Sieg, ist beispielsweise das Aufstellen eines Maibaumes in vielen Orten noch lebendiger Brauch und besonders begehrenswerte Mädchen bekommen in der Nacht zum 1. Mai eine mit bunten Bändern geschmückte Birke vor's Haus gestellt.

Der Ursprung dieses Brauchtums liegt im Dunkeln, es ist aber zu vermuten, dass er den Kelten und Germanen zugeordnet werden kann und noch ein Überbleibsel des germanischen "Stangenkultes" ist. Das waren lange, in den Boden gesteckte Holzstangen, die die bösen Geister vertreiben sollten. Eine andere Erklärung ist, dass es sich dabei um den Rest eines germanischen Fruchtbarkeitsrituals zu Ehren der Göttin "Freya", der Göttin der Mütterlichkeit, handelt. Es ist auch nicht so wichtig, von wem oder zu Ehren wessen dieser schöne Brauch stammt, so ist es bis heute ein herrlicher Spaß, wenn der Maibaum im Wald geholt wird, entrindet, geschmückt und mit viel "Hau-Ruck" und mit den nötigen "Schmiermittel" versehen von der Dorfjugend aufgestellt wird. Die "Walpurgisnacht" hindurch, also die Nacht in den Mai, wird er bewacht, denn das gegenseitige Absägen hat in manchen Orten ebenfalls Tradition, falls die Wächter eben keine Wächter, sondern Schläfer sind und der Baum unbewacht dasteht. Welche Häme am nächsten Tag, wenn er auf's Neue aufgestellt werden muss. Vieles ist bereits in Vergessenheit geraten in unseren zum Teil ausufernden Dörfern, die ihren dörflichen Charakter mehr und mehr verlieren, je mehr seelenlose Neubaugebiete entstehen, die von ihrer Architektur austauschbar sind und deren Bewohner sich kaum noch kennen. So ist es lobenswert und gibt Anlass zur Hoffnung, wenn sich junge Leute daran machen, alte Bräuche wieder zu beleben, so lange noch Alte leben, die ihnen davon berichten können. So möchte ich einen Brauch schildern, der uns in unserer Kinderzeit begeisterte und interessanterweise nur im Oberkreis bekannt war, in der Gegend um Herdorf, Betzdorf und Gebhardshain, weshalb und warum nur hier, niemand weiß es zu sagen.

Wenn ein Fremder am l. Mai besagte Orte besuchte, gewahrte er eine fröhliche Kinderschar mit einer seltsamen Figur im Schlepptau von Haus zu Haus ziehend, der "Maimies". Dabei wurde ein Kind in junges, frisches Birkengrün "eingewickelt", so dass nur noch die Beine aus dem "Mantel" herausschauten. Um den Bauch war eine Wäscheleine gebunden, an der es wie eine Kuh geleitet wurde. Das Kind konnte zwar durch die Zweige nach draußen sehen, aber niemand hinein. Innen wurde das Gebilde mit den Händen festgehalten. Das Binden der "Maimies" erforderte eine besondere Technik, so dass man die Hülle über den Kopf stülpen konnte, um mal mit einem anderen Kind zu wechseln, denn jeder wollte mal "Maimies" sein. So zogen wir von Tür zu Tür und sangen ein Liedchen, dessen Text von Generation zu Generation überliefert wurde. Dabei unterschieden sich die Texte von Ort zu Ort nicht so sehr. Hier einige Beispiele:

In Betzdorf wurde so gesungen:

Maimies, well wat kann,

Well wat en sej Säckelchen kann.

Loost oos net su lang he stöhn,

Denn mir wollen weerergohn.

Dann folgte das bekannte Mailied "Der Mai ist gekommen ..." getextet von Emanuel Gei-bel aus Lübeck (1815 - 1884) und die Melodie von Justus W. Lyra, wobei letzteres nicht so sicher ist.

In Herdorf sang man folgenden Text, wobei man die Währungsangaben beachte, woran man merkt, wie alt das Liedchen schon ist:

Maimeesje wöll wat hörn,

Wall wat ön sej Köäffje hörn:

Schelling, Eijer, Sejte Speck.

Morjen kummen mä wirrä,

da döhn mär och bezahlen

möt honnerddausend Dahler.

In Kausen und Umgebung wurde der Brauch etwas anders begangen, wie Konrad Schwan berichtet. Dort wurde ein Junge in eine Decke gewickelt und in ein Handwägelchen gelegt, über ihn wurden Birkenreiser geschichtet, so dass man ihn nicht sehen konnte. An den Haustüren sang man dann so:

Maimiesjen well wat han,

Well wat ön sej Säckelchen han:

Eier und Schmalz,

Bodder und Salz,

Mellich und Mehl,

Safran macht den Kochen gel.

Loost oos net su lang he stöhn,

Denn mir müssen wejrer gohn.

Die Leute spendeten Geld, kamen auch an den Wagen und fragten: "Maimieschen, wer best du?" Dann ertönte lediglich ein "Miau" und man musste raten, wer im Wagen lag, verraten wurde nichts.

So oder ähnlich wollen es junge Eltern in Steineroth wieder machen, die ersten "Feldversuche" haben schon stattgefunden und man kann nur wünschen, dass dieser alte Brauch wiederbelebt werden kann, im Zeitalter der Computer-Freizeitbeschäftigung nicht selbstverständlich.

Wie Konrad Schwan weiter erzählte, wurden in Kausen die Kinder auch "in den Mai geschickt" (ähnlich dem 1. April). Wenn es gelungen war, wurde dem Opfer "etwas deftig" zugerufen: "Maikallef, Silwergeck, hast de Koh am A... geleckt". Ob Konrad Schwan selbst schon reingelegt wurde, ist leider nicht überliefert.

Woher dieser seltsame Brauch stammt, liegt ebenfalls im Dunkeln und alle Deutungen sind spekulativ. Nur so viel ist klar, es handelt sich zweifelsfrei um ein Frühlingsritual mit dem die Jugend symbolisch den Frühling, das Neuerwachen der Natur, darstellen will. Den Begriff "Maimies" möchte ich so deuten, die Wissenschaftler mögen mir verzeihen, aber manchmal ist eine einfache Erklärung die nahe liegendste. Seit altersher weiß man, dass die im Mai geborenen Katzen die besten Mäusefänger sind, denn sie wachsen auf, wenn die Natur wieder reichlich Nahrung bietet. Ersetzt man den Begriff Futtersuchen durch den Begriff Sammeln, so scheint mir das "Gabenheischen" an den Häusern erklärbar zu sein, aber bitte, es ist nur ein Erklärungsversuch, wobei die Betonung auf "Versuch" liegen sollte. Möge der schöne Brauch auch ohne akademische Deutung weiter leben bzw. wiederbelebt werden, zur Freude der Kinder in unserer Heimat.

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