Aufgeschrieben Januar / Februar 2008
Auswanderer aus der Kurpfalz, die sich von
Pfalzdorf aus in die Bönninghardt begeben
und dort einem Mann aus Bislich begegnen
Vorwort:
Diese Geschichte beschäftigte mich schon ziemlich am Anfang meiner Ahnen – oder Familienforschung, aber damals „hakte“ es plötzlich und ich ließ aus Mangel an Erfahrung vor ca 18 Jahren die Geschichte für einige Zeit ruhen. Ab und zu kamen zwar einige Informationen dazu und ich hielt sogar schon einmal einen kurzen Vortrag über diese Linien.
Außerdem mußte ich für die Einsicht in die KB des Ortes Bislich zum „Bischöflichen Archiv“ nach Münster fahren. Dort geht es nach sehr strengen Regeln zu, denn dort bekommt man keine Kopien, man darf aber auch nicht fotografieren, sondern nur die Einträge mit Bleistift abschreiben. Das alles war mir zu aufwändig.
Vor einigen Monaten nun entdeckte ich die damals gesammelten Unterlagen und versuchte auf anderen Wegen, dort wieder anzuknüpfen.
Der Leser des Vorwortes wird merken, daß es in dieser Geschichte um Ahnenforschung geht. Darum möchte ich zuerst mal erklären, um welche Linien meiner Vorfahren es dabei geht und was ich überhaupt mit den Familien aus Bönninghardt und Bislich zu tun hatte.
Mein Name ist Hannelore Neffgen , wohnhaft in Uerdingen
aber mein genauer Geburtsname ist Johanna Leonore Josefine Tiefers
oo 01.07.1950 in Krefeld mit Konrad Neffgen
Mein Vater hieß Johann Josef Tiefers
geboren 1897 und gestorben 1969 in Bockum.
oo 17.04.1885 in Bockum
Gertrud Michels
Meine Großmutter Gertrud geb. Michels wurde zwar in Bockum geboren,
aber ihr Vater, der Leonard Michels, stammte aus Venray in Holland.
Leonard Michels, mein Urgroßvater
kam wahrscheinlich der Arbeit wegen nach Bockum und lernte hier ein Mädchen kennen,
das Lisette Giesen hieß, geboren in Bönninghardt
die er 1846 in Bockum heiratete.
So möchte ich zuerst einmal etwas über die Sippe Giesen erzählen,
die ursprünglich aus Bislich kam.
Jeder, der Ahnenforschung betreibt weiß, dass man vor Überraschungen nicht sicher ist. Außerdem kann man sich seine Vorfahren nicht aussuchen, wie man sich z.B. aus vielen Sorten von Äpfeln die leckerste aussuchen kann. Man muß sie mit allen positiven und negativen Eigenschaften akzeptieren, die man entdeckt. Man weiß ja nicht nach so langer Zeit, warum sie so und nicht anders gehandelt haben.
Man macht sich als Ahnen – und Familienforscher natürlich so seine Gedanken, wer die Menschen vor uns waren, wie sie gelebt haben und wie sie zusammen kamen. Wovon haben sie gelebt, hatten sie Besitz in Form von Höfen mit Land, oder waren sie „arme Schlucker und Habenichtse“? Wie war ihre Umwelt, wie die Zeit und die Umstände, in der sie lebten? Dann fängt es erst an, interessant zu werden. Aber ich meine, das ist der schwierigere Teil der Ahnenforschung. Daten kann jeder sammeln, besonders in der heutigen Zeit, nämlich mit oder durch den Computer.
Dann kenne ich z.B. Leute, die ganz streng nur ihre eigene Linie verfolgen – keine Nebenlinien oder Geschwister der eigenen Vorfahren. Ich möchte doch z.B. wissen, wie viele Kinder meine Vorfahrin zur Welt gebracht hat und was aus ihnen geworden ist. Erst dann kann ich mir ein Bild machen, was die, die vor uns waren, vor allem die Frauen, geleistet haben.
Wenn ich diese Nebenlinien oder Geschwister bis in die Jetztzeit verfolge, entdecke ich plötzlich Menschen, die vor 3, 4 oder 5 Generationen aus dem gleichen Nest kommen.
Dieses sgn. „Fleisch ans Gerippe“ bekommt man, indem man Notariatsarchive oder Hauptstaatsarchive besucht. Es ist schier unglaublich, was man hier findet. Dann drucke ich mir Beschreibungen von Orten aus, in denen meine Vorfahren lebten, soweit sie im Internet vorhanden sind. Fast jeder Ort hat einen Heimatverein, in dem man sich Informationen holen kann. Das ist natürlich alles zeitraubend und mit einigen Schwierigkeiten verbunden.
Darum möchte ich heute einmal am Beispiel von zwei Linien erzählen, was ich dabei herausgefunden habe.
In meiner Geschichte geht es also zuerst mal um die Sippe der Lisette Giesen, die meine Urgroßmutter wurde. Wie schon am Anfang gesagt, gab es in dieser Sippe allerhand Rätsel zu knacken, an denen ich damals scheiterte. Ich wußte aber auch damals schon, daß ihre Vorfahren aus Bislich stammten. Da ich aber niemals aufgebe, versuchte ich, auf anderen Wegen dieser Sippe näher zu kommen. Im Internet gab ich bei Google „Bislich“ ein und siehe da – es gab eine Menge Informationen und E-Mail Adressen. Es war sogar ein Museum abgebildet, dessen Leiter „Peter von Bein“ hieß.
Auf meine Anfrage bekam ich auch gleich eine „Super Antwort“. Es gäbe sogar dort einen Herrn, der seit einiger Zeit die Sippe „Giesen“ erforscht. Ich traf mit dem Museumsleiter eine Verabredung und fuhr dort hin. Auch der Bislicher Giesenforscher war anwesend und wir stellten schnell fest, daß wir die gleichen Vorfahren hatten. Der Unterschied war der, daß seine Vorfahren in Bislich geblieben waren, während meine den Ort verlassen hatten. Außerdem hieß er immer noch „Giesen“.
Beim nächsten Treffen in Bislich gesellte sich noch ein dritter Giesenforscher hinzu, dessen Vorfahren ebenfalls Bislich verlassen hatten, der aber schon in zweiter Generation Holländer ist und in Arcen wohnt. Mit ihm hatte ich aber schon länger Kontakt, weil ich seine Daten und Adresse in einer Liste von Dr. Eugen Perau fand, die sich „Genealogie – Seite zum Ort Bislich“ nennt. Dieser Teng Giesen aus Arcen hatte ebenfalls schon eine Menge Unterlagen über die Sippe Giesen zusammen getragen. Nun waren wir also schon drei, die der Sippe „Giesen“ angehören und sie möglichst bis zum I-Tüpfelchen erforschen möchten.
Die vorher erwähnte Lisette Giesen, die Mutter meiner Großmutter, wurde im Jahre 1827 in Bönninghardt als erstes von 8 Kindern geboren. In ihrer Geburtsurkunde der Gemeinde Alpen steht, daß ihre Eltern
Johann Giesen und Elisabeth Barth
seien, aber die beiden Wörter: seiner Ehefrau sind mit Genehmigung des Standesbeamten durchgestrichen. Das passierte auch noch bei den nächsten 5 Kindern. Bei den beiden letzten waren diese beiden Wörter nicht durchgestrichen. Was war des Rätsels Lösung?
Johann Giesen war, als er die ersten 6 Kinder mit Elisabeth Barth zeugte, noch mit einer anderen Frau verheiratet, also waren diese 6 Kinder unehelich geboren.
Nun ist es an der Zeit, etwas über den Lebensweg des Johann Giesen zu erzählen. Er wurde am 18.07.1788 in Bislich geboren. Aber auch diese Geburt gibt Rätsel auf, denn im Taufbuch der Pfarre steht folgendes:
Die 18. Juli 1788 Spurius ut dicit Henricus Giesen
Joannes
mater
Elisabeth Jorissen
Patrini: Jorissen Peter / Coopmans Elisabeth
Da ich der lateinischen Sprache nicht mächtig bin, habe ich das übersetzen lassen. Demnach heißt es, daß Joannes unehelich geboren ist, genannt als Vater Henricus Giesen. Es kann aber auch bedeuten, daß die Mutter, Elisabeth Jorissen, den Namen des Vaters angegeben hat. Komischer Weise wird Johannes aber „Giesen“ genannt. Nach heutigen Gebräuchen hätte er den Nachamen „Jorissen“ nach der Mutter bekommen
Leider sind die Bücher der Pfarre nicht sehr ergiebig, denn es gibt keinen Eintrag einer Eheschließung der Eltern von Joannes Giesen. Nun könnte man einwenden, daß der Eintrag, wie man schon oft feststellen konnte, vergessen wurde. Das kann aber nicht sein, denn Johannes Mutter, Elisabeth Jorissen, heiratete am 14.01.1794 in Bislich den aus Rees stammenden Leygrave Johannes. Beide starben in Bönninghardt, er im Jahre 1845 im Alter von 76 Jahren, sie 1853 im hohen Alter von 86 Jahren. Eigenartigerweise blieb die Mutter von Johannes mit seinem Stiefvater ja auch nicht in Bislich. Die Frage stellt sich, warum sie nicht in Bislich geblieben sind und ausgerechnet nach Bönninghardt gingen.
Was wurde nun aus dem leiblichen Vater von Johannes Giesen, dem Heinrich Giesen? Das erfuhr ich durch einen Beleg, den Johann zu der Eheschließung mit Elisabeth Barth beibringen mußte.
Aber vorher möchte ich noch erwähnen, daß Johann im Alter von 20 Jahren in der Kirche von Veen 1809 die 25jährige Anna Maria Ravens aus Weseke heiratete. Es eilte sehr, denn 24 Tage später kam das erste Kind zur Welt, dem noch zwei weitere folgten – das zweite eigenartigerweise in Weseke, der Heimat der Mutter und das dritte wieder in Bönninghardt.
Auch über diese Kinder kann ich später noch einiges berichten. Hier erst mal nur, daß eine Tochter im Alter von 22 Jahren in Bockum heiratete. Wieder taucht eine Frage auf: Wie kommt sie ausgerechnet nach Bockum? Hier stirbt auch im Jahre 1836 ihre Mutter, die Ehefrau von Johann Giesen, im Alter von 52 Jahren. In der Sterbeurkunde steht, daß sie in Alpen wohnt. Ich schließe daraus, daß sie zu Besuch ihrer Tochter in Bockum war.
Nun kann Johann Giesen endlich die Frau heiraten, mit der er außerehelich schon sechs Kinder gezeugt hat. Zu dieser Eheschließung mußte er Belege beibringen. 1.) daß seine Ehefrau 1836 gestorben war und 2.) daß sein Vater, der Heinrich Giesen , 1813 in Wesel verstorben war. 3.) Dieser hatte im Jahre 1805 in Wesel Maria Catharina Demann geheiratet, sein Stand: Herbergist. Heute würde man sagen: Hotelier. Diese beiden letzten Aussagen, belegen doch, daß seine Eltern nie verheiratet waren.
Aber außerdem werden jetzt seine sechs Kinder von Elisabeth Barth als ehelich geboren erklärt.
Nun möchte ich etwas über die Vorfahren des Johannes Giesen berichten.
Wie schon erwähnt, hieß sein Vater Heinrich Giesen. Dieser war der älteste Sohn von insgesamt acht Kindern, die auf dem sgn. Giesen / Hansenhof geboren wurden. Der Vater dieser Kinder steht im Taufbuch der Pfarre St. Johannes Baptist im Jahre 1727 als „Giesen oder Hanssen“ Johan eingetragen. Er ehelichte im Jahre 1763 Anna Sybilla Tenbieg, die acht Jahre jünger als er war. Außerdem stammte sie aus Ginderich, ein Ort der auf der linken Rheinseite liegt. Nicht alle ihre Kinder, die nachweislich auf dem Hof geboren wurden, kamen ins Erwachsenenalter. Ich habe nur von dreien eine Eheschließung gefunden, darunter natürlich die Verbindung des ältesten Sohnes mit Elisabeth Jorissen.
Man sollte doch meinen, daß eines Tages der älteste Sohn den Hof übernimmt. Das wäre natürlich in diesem Fall der Sohn Heinrich mit der Mutter ihres Sohnes Johannes, der Elisabeth Jorissen, gewesen.
Nun fängt mein sgn. „Rätsel“ an. Man kann sich leider nicht in die längst vergangene Zeit vor ca 220 Jahren zurück versetzen. Hatten die Eltern mit ihrem ältesten Sohn Heinrich ein Problem? Warum heiratete er die Frau nicht, die von ihm ein Kind bekommt? War sie nicht ebenbürtig? Ich vermute, daß es einen sehr triftigen Grund gegeben hat. Elisabeth Jorissen heiratete einen anderen Mann und geht später weg aus Bislich, wie auch Heinrich, der nach Wesel geht und dort eine andere Frau ehelichte. Der 1788 unehelich geborene Sohn Johannes verschwindet ebenfalls aus Bislich und taucht plötzlich ausgerechnet in Bönninghardt auf. Warum Bönninghardt? Ich weiß natürlich, daß man die Verhältnisse in jener Zeit in keiner Weise mit den heutigen vergleichen kann, aber dort in Bönninghardt lebte man in sgn. Plaggenhütten. (Diese werde ich später noch beschreiben.)
Wer übernahm nun den Hof? Nach unseren Recherchen wird das das jüngste der Kinder mit Vornamen Rotgerus gewesen sein, 16 Jahre jünger als sein Bruder Heinrich. Er heiratete zweimal. Als seine erste Ehefrau im Alter von 25 Jahren starb, hatte sie schon sieben Kinder geboren, davon zweimal Zwillinge. Ein halbes Jahr später heiratete er die Schwester der Verstorbenen, die leider 13 Tage nach dem zweiten Kind auch starb. Deren ältester Sohn ging erst im Alter von 45 Jahren die Ehe ein, bekam aber noch 7 Kinder. Zwei dieser Geschwister übernahmen später unverheiratet den Hof, den sie bis 1926 bewirtschafteten und an die Familie des heutigen Besitzers verkauften.
Mein Interesse an dem Hof war natürlich geweckt. Mit meinem Giesenforscher aus Bislich konnte ich mir diesen ansehen, der in der Nähe seines Hauses lag. Auch der heutige Besitzer ließ sich blicken und ich erfuhr so manches aus vergangener Zeit über den Hof.
Aber auch im Stadtarchiv von Wesel konnten wir sehr interessante Einzelheiten über den ehemaligen Hof unserer Sippe erfahren. Ursprünglich wurde er Piepershof aus mir unbekannten Gründen genannt. So finden wir ihn im Jahre 1496 als Eigentum des Makkabäerklosters in Köln. Das Kloster lag dort, wo sich heute das Chor des Domes befindet, dessen Neubau es weichen mußte. Der Hof war ein „Behandigungs – oder Leibgewinnsgut“ des Domstiftes in Xanten. Es war dies ein Gut, an dem ein anderer als Eigentümer – in diesem Falle war es das Stift Xanten – das erste Nutzungsrecht hatte. Jährlich mußte eine bestimmte Summe aus diesem Hofe demjenigen ausgezahlt werden, dem das erste Nutzungsrecht übertragen war. Meistens stand diese Person in einem bestimmten Verhältnis zum Stifte Xanten. Dies Recht mußte für eine bestimmte Summe erkauft werden. Der Käufer erhielt es dann für seine Hand oder seinen Leib, d.h. auf Lebenszeit.
Gleichzeitig konnte man dieses Recht noch für weitere zwei Personen kaufen oder zugewinnen. Meistens waren es die Frau des Betreffenden und eins seiner Kinder. War eine von den drei Personen gestorben, konnte man gegen eine entsprechende Gebühr gleich eine neue Hand gewinnen, d.h. einen neuen Anwärter, meist ein jüngerer Verwandter.
So finden wir denn im Jahre 1441 als „Behandete“, also als erste Nutznießer des Pieperschen Hofes Nonnen aus dem Makkabäerkloster, das ja Eigentümer des Hofes war.
Im Laufe der nächsten Jahrhunderte werden in den Unterlagen mehrere „Behandete“ als Nutznießer des Pieperschen Hofes genannt.
Im Jahre 1720 wird Gerhard Hansen, ein Sohn von Gerhard Pipers genannt Hansen und der Aletta Pipers mit dem Hof behandet.
Durch verschiedene Verkäufe resp. Ankäufe findet eine Verschmelzung mit dem benachbarten „Giesenhofe“ statt.
Hansen verläßt anscheinend bald den Hof, nicht ohne, daß er dem Hofe den Namen gegeben hat (also: Hansenhof) und vom benachbarten Giesenhofe tritt Heinrich Giesen, der 1680 geboren wurde, mit seiner Ehefrau Sibilla Hansen, das Erbe an.
Eine Generation vorher läßt sich in den KB noch feststellen, denn diese fangen erst im Jahre 1656 an. Alle vorherigen Aufzeichnungen sind in den spanisch / holländischen Kriegen vernichtet worden.
Man kann aber auch von großen Schäden lesen, die das Rheinhochwasser anrichtete. Da wird von mehreren schlimmen Katastrophen in den Jahren 1688 und 1784 berichtet. Trotz des angelegten Deiches sind auf dem Giesenhof die gesamten Milchkühe bei einem Bruch des Deiches im Stall ertrunken. Nach diesem letzten Hochwasser ordnete Friedrich der Große eine künstliche Rheinverlagerung an. Durch diesen Eingriff entstand die heutige Bislicher Insel, die zu den bedeutendsten Naturschutzgebieten des unteren Niederrheins zählt. 1855 kam es erneut zu einem Bruch des Deiches, bei dem Teile von Bislich überflutet wurden und letztmalig Hochwassertote zu beklagen waren.
All diese Katastrophen überstand der Hof vorerst, bis er im Jahre 1790 teilweise abbrannte. Es hieß, daß einer gezündelt haben soll. Das gleiche Unglück ereilte den Hof 1884, von dem er sich nicht mehr richtig erholte.
Der jetzige Besitzer erzählte uns, daß zum Ende des letzten Krieges der Hof große Schäden beim Einmarsch amerikanischer Soldaten erlitt. Das eigentliche Wohnhaus wurde stark beschädigt und mußte erneuert werden.
Ich muß schon sagen, daß es ein eigenartiges Gefühl ist, wenn man auf so einem Stück Erde steht, auch wenn inzwischen viele Jahrhunderte vergangen sind, als die eigenen Vorfahren dort lebten.
Dann trieb es mich noch ins Katasteramt nach Wesel. Vorher rief ich den Leiter des Amtes, den Herrn Vendt an, der mir schon oft behilflich war. Ich fragte ihn, ob es Katasterunterlagen bei ihm über den Giesen / Hansenhof in Bislich gäbe. Wenn der Hof 1926 verkauft wurde, müßte es ja auch Unterlagen geben. So war es denn auch. Nun erfuhr ich, welche Größe er im Jahre 1926 hatte. Mit Haus, Hof, Scheunen, Schuppen und Feldern waren es fast 40 Hektar. Wenn ich richtig umrechne, sind das über 140 Morgen.
Ob der Hof vor etwa 280 Jahren, als der Hansen – mit dem angrenzenden Giesenhof verschmolz, schon die gleiche Größe hatte, weiß ich natürlich nicht.
Nun möchte ich wieder zum Anfang meiner Geschichte zurückkehren, dem Vater meiner Urgroßmutter Lisette Giesen, dem Johannes Giesen, der im Jahre 1788 in Bislich geboren wurde.
Natürlich beschäftigte mich sein weiteres Leben und die Umstände in Bönninghardt sehr. Durch meine vorherige Schilderung der Sippe Giesen in Bislich kann man jetzt vielleicht nachvollziehen, warum ich seinen Weggang aus Bislich und den seiner Eltern nicht verstehen kann.
Noch einmal zur Erinnerung: Er war 20 Jahre alt, als er in Veen 1809 seine erste Ehefrau heiratete. Er lebte zwar in Bönninghardt, aber dort gab es noch keine Kirche. Eine standesamtliche Eheschließung konnte ich in keinem der in Frage kommenden Orte finden, obwohl es zu dieser Zeit schon Standesämter gab.
Ich könnte mir denken, daß seine Großeltern, die zur Zeit seiner Geburt den Giesenhof bewirtschafteten, doch viele Hände für die Arbeit auf dem Hof brauchen konnten. Darum geht es mir nicht in den Kopf, warum er sein Dorf verließ.
Na, wie dem auch sei – er taucht also in Bönninghardt auf. Seine Eheschließung mit Anna Catharina Raven in Veen im Jahre 1809 war der erste Hinweis auf seinen neuen Aufenthaltsort in Bönninghardt.
Nun muß man wissen, was sich zu dieser Zeit in Bönninghardt abspielte. Hier hatten die ersten Bewohner schon im Jahre 1774 versucht, Fuß zu fassen. Sie waren die Abkömmlinge der Pfälzer Auswanderer, die 1741 in Pfalzdorf ankamen. Ich habe auch diese Geschichte recherchiert, sie würde aber zu weit führen, um sie jetzt zu erzählen. (Nur ganz kurz:)
Die Sippe, von der ich kurz berichten möchte, hieß Barth und kam ursprünglich aus Simmern in der Kurpfalz. Sie wollten mit dem Schiff von Bacharach aus nach Rotterdam, um von dort nach Amerika auszuwandern. Bedingt durch den englisch/spanischen Seekrieg stockte jedoch die Überfahrt und so häuften sich die Auswanderermassen in Rotterdam. Das veranlaßte die Niederländer ihre Grenze zu sperren, und so wurden die Menschen bei Schenkenschanz einfach an Land gesetzt. Nach zwei Monaten im ungewissen wandten sie sich an die preußische Regierung, und nach längeren Verhandlungen bot ihnen die Stadt Goch die etwa 10 000 preußische Morgen große „Gocher Heide“ zur Besiedelung an.
Weil aber eine Generation später in Pfalzdorf kein Platz für die sich stark ausbreitenden Familien gab, versuchten einige von ihnen, in dem unbewohnten Waldgebiet der Bönninghardt Fuß zu fassen, was ihnen aber regelrecht mißlang.
In einer Chronik wird berichtet, daß die ersten Ansiedler der Bönninghardt meist solche Menschen waren, welche nicht mehr viel zu verlieren hatten. Bei der Unfruchtbarkeit des Bodens mußten sie äußerst arm bleiben und in der kümmerlichsten Weise ihr Leben fristen. Eine konkrete Starthilfe, wie sie 30 Jahre zuvor in Pfalzdorf gewährt wurde, gab es hier nicht.
Wie erging es nun hier meinen Vorfahren mit Namen Barth?
Die Großeltern von Lisette waren im Jahre 1774 in die Bönninghardt gezogen. Darüber besitze ich ein Dokument. Vorher wurden in Pfalzdorf drei Kinder geboren, in Bönninghardt kamen noch vier dazu. Ich habe aber von diesen sieben Kindern nur von dreien die Sterbedaten gefunden und weiß, daß sie auch geheiratet haben. Wahrscheinlich wurden die Sterbedaten nicht eingetragen, denn man erlaubte den Menschen viele Jahre nicht, ihre Toten in den umliegenden Orten Sonsbeck, Alpen oder Veen zu beerdigen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn um diese Zeit gab es dort weder eine Kirche noch andere feste Häuser, denn die ersten Bewohner der Bönninghardt hausten lange Zeit in Erdhöhlen oder auch in sgn. Plaggenhütten. Das waren kaum menschliche Behausungen, von denen die letzten erst im Jahre 1896 verschwanden. Plaggen sind abgetragene Grasnarben.
Von der letzten Plaggenhütte existierte ein Foto, sowie eine Beschreibung über deren Bau. Im Herbst 2001 faßte die „Interessengemeinschaft Bönninghardt“ den Entschluß, so eine Behausung zu rekonstruieren. Diese Hütte sollte dem Original so weit als eben möglich, gleichen.
Anhand des Originalfotos wurden folgende Maße ermittelt: Grundfläche Wohnhaus 4 x 3 m – Grundfläche Stall 3 x 2 m.
In einer Beschreibung dieser Zeit heißt es sogar:
Im Jahre 1794 / 95 wurde die Region französisch. In den unruhigen Zeiten danach zogen auch viele zweifelhafte Existenzen hierher; die Zustände eskalierten, Schule und Kirche gab es noch nicht. Armut und Verwahrlosung waren bald die Regel. Die Menschen zogen mit selbstgebundenen Besen bettelnd und hausierend durch die Umgebung und wurden zu einer Landplage. Man sprach sogar von den „Vogelfreien der Bönninghardt“.
Um diese Zeit machte ein junger Mann besonders von sich reden: Wilhelm Brinkhoff, den man den „Schinderhanes vom Niederrhein“ nannte.
Wie geht es nun mit meiner Familie Barth auf der Bönninghardt weiter? Man kann sich ja jetzt vorstellen, daß sie genau in solch einer Plaggenhütte gelebt haben müssen.
Man erinnere sich: Sie waren im Jahre 1774, von Pfalzdorf kommend, auf der Bönninghardt gelandet. Von dort brachten sie wahrscheinlich nur eins ihrer drei noch dort geborenen Kinder mit. Vier wurden dann ja noch in Bönninghardt geboren, 1776 ein Mädchen, 1780, 1783 und 1788 jeweils ein Sohn. Mein direkter Vorfahre, der das sechste aller geborenen Kinder war, wurde auf den Namen Johann Christoffel in der reformierten Kirche zu Alpen angemeldet und getauft. Immerhin wären es noch insgesamt fünf Personen gewesen, die auf den 12 qm der Plaggenhütte leben mußten. Man kann sich kaum vorstellen, wovon sich die mehrköpfige Familie ernährt hat. Aber auch darüber gibt es ausführliche Berichte. Man sammelte Beeren oder stellte aus Reisig und Heidekraut Besen her, die man in den umliegenden Orten für wenig Geld verkaufte. Erst durch die zunehmende Urbanisierung und eine sich im Laufe der Zeit verbessernde Agrartechnik wurden die Voraussetzungen für eine verstärkte landwirtschaftliche Nutzung des Teilraums entwickelt. Der ehemals sehr kärgliche Boden ist heute sehr ertragreich.
Christoffel zog schon in sehr jungem Alter als Musikant durch die Lande. Natürlich weiß ich nicht, welches Instrument er dabei spielte. Er hatte sicher kein Geld, um sich ein solches zu kaufen und hat vermutlich aus Rohr ein Flöten ähnliches Gebilde selber hergestellt. Aber das ist eine reine Vermutung.
So lernte er wahrscheinlich auch seine erste Ehefrau kennen, die aus Heinsberg stammte. Sie war die 5½ Jahre ältere Sophia Schock. Er war am Hochzeitstag im Standesamt der Gemeinde Bönninghardt am 25.04.1799 noch nicht einmal ganze 16 Jahre alt. Die wurde er erst zwei Monate später. Komischerweise wird in der Urkunde sein Alter mit 17 Jahren angegeben, obwohl sein Geburtsdatum, der 05.07.1783 ebenfalls aufgeführt ist.
Tatsächlich hatte Bönninghardt seit dem Einmarsch von Napoleons Truppen 1798 schon ein Gemeindeamt, aber noch längst keine Kirche.
Kinder aus dieser Ehe konnte ich nicht entdecken, aber ich glaube, daß die junge Ehefrau einige Zeit später starb, denn Christoffel heiratete 4½ Jahre später, am 02.10.1803 in Böninghardt die Catharia Elisabeth Gerats aus Dahlen, heute Rheindahlen. Sie war 19 Jahre alt. Auch sie wird er wahrscheinlich auf seinen „Wanderungen“ als Musikant kennen gelernt haben, aber geheiratet wurde jedes mal in Bönninghardt. Wie mögen die Menschen damals die doch sehr weiten Entfernungen zurück gelegt haben?
Ein Jahr später wurde in Bönninghardt das erste Kind des jungen Ehepaares geboren. In der Taufe am 31.03.1805 erhielt es in der evangelischen Kirche zu Alpen den Vornamen Elisabeth.
Wahrscheinlich zog die junge Ehefrau mit ihrem Mann gemeinsam übers Land und musizierte mit ihm, denn das nächste Kind wird am 11.05.1807 in Kevelaer geboren. Diesmal ist es ein Sohn, der den Namen Johann erhielt.
Das dritte Kind der beiden Eheleute erblickte am 22.11.1809 in Vennikel das Licht der Welt und wird in der Gertrudiskirche zu Bockum (heute Krefeld-Bockum) einen Tag später auf die Vornamen Maria Catharina getauft. Zu diesem Zeitpunkt war der Vater Christoffel Barth aber schon über vier Monate tot. Demnach war er alleine weiter gezogen und hinterließ seine hochschwangere Frau in der Obhut von Bekannten oder Verwandten zurück. In der Geburtsurkunde des Kindes steht der Vermerk, daß der Vater der verstorbene Christoph Barth sei. Folglich hat man seine Ehefrau über seinen Tod informiert. Er, der Christoffel, starb am 10.07.1809 in Aachen als „Musicus“ im Alter von 26 Jahren.
Interessant wäre es zu wissen, ob ihre Kinder auch mit auf Wanderschaft gingen, oder ob sie, von wem auch immer, in Bönninghardt versorgt wurden.
Die Witwe Catharina Elisabeth bekam drei Jahre später noch ein viertes Kind, ein Mädchen. Es wurde in Straelen am 02.07.1812 geboren und auf die Namen Maria Eva getauft. In der Geburtsurkunde steht, daß der Vater des Kindes der verstorbene Christoph Barth sei. Da ist doch wohl jeder Kommentar überflüssig. Maria Eva starb unverheiratet im Alter von fast 55 Jahren in Bönninghardt. Als „Stand“ wurde Musikerin angegeben, aber auch, daß ihr Vater Christoph Barth gewesen sein soll.
Auch die Sterbeurkunde von Catharina Elisabeth Barth geb. Geraths klingt interessant. Sie starb im Alter von 72 Jahren in Sonsbeck am 05.10.1856, angezeigt von ihrem Ehemann, dem Lumpensammler Christian Heinen.
Wie vorher schon beschrieben, war Elisabeth ihre älteste Tochter. Von dem, was ich über sie gesammelt habe, erfährt man, daß sie ein recht bewegtes Leben geführt hat. Allerdings sollte man nicht den Fehler begehen, das Leben vor ca 200 Jahren mit dem unseren zu vergleichen. Außerdem war für die Menschen in dieser Gegend das Leben ein täglicher Kampf ums Überleben. Darum sollte man mit Kritik vorsichtig sein.
Als Johann, der im Alter von 52 Jahren in Bönninghardt im Jahre 1840 verstorben war, stand seine Witwe Elisabeth geb. Barth mit sechs Kindern alleine da. Die drei jüngsten waren vier, drei und ein Jahr alt, Lisette die älteste war erst 13. Eine Versorgung, die man heute kennt, gab es damals nicht. Wie mag sie das Leben mit ihren 35 Jahren zuerst ohne Ehemann bewältigt haben? Hatte sie Hilfe? Wenn ja – von wem? Wie waren die Wohnverhältnisse zu dieser Zeit? Lebten sie immer noch in einer Plaggenhütte oder schon in einem festen Haus?
Acht Jahre nach dem Tod ihres Mannes ehelichte Elisabeth zum zweiten Male. Dieser war Witwer und 12 Jahre jünger als sie. Es mag ganz reale Gründe für diese Ehe gegeben haben, aber sie hielt es nur knapp sechs Jahre mit ihm aus und ließ sich 1854 wieder scheiden. Auch das ist ungewöhnlich für diese Zeit. Was mag passiert sein? Zehn Monate darauf ging sie eine dritte Ehe ein. Dieser Mann aus Calcar gebürtig war sogar 21 Jahre jünger als sie.
Im Standesamt von Alpen wird von der Hebamme am 31.07.1842 noch ein Kind von Elisabeth Barth auf den Namen „Gertraud“ angemeldet. Ein Vater wurde nicht angegeben. Der verstorbene Ehemann Johann Giesen kann es nicht gewesen sein, denn sein Todestag lag schon 20 Monate zurück. Aber – wer war der Vater des Kindes? Der jüngere Bruder von Elisabeth mit Namen Johann Barth, trat als einer der Zeugen auf.
Den dritten Ehemann überlebte sie sogar, denn sie starb im Alter von 83½ Jahren in Bockum als Witwe. Ihre älteste Tochter mit Namen Lisette zeigte ihren Tod im Standesamt von Bockum an. Ich vermute, daß Lisette ihre Mutter nach dem Tode ihres dritten Ehemannes nach Bockum holte und sich um sie kümmerte.
Nun komme ich wieder ziemlich an den Anfang meiner Geschichte zurück, zu Lisette Giesen, die meine Urgroßmutter wurde. Sie war ja das erstgeborene uneheliche Kind aus der Verbindung Giesen / Barth. Als ihr Vater starb, war sie gerade 13 Jahre alt. Mit 19½ Jahren heiratete sie in Bockum 1846 einen Holländer, den Leonard Michels aus Venray.
Aber wie kam Lisette nach Bockum? Auch hier kann ich nur Vermutungen anstellen. Wenn man sich an den Anfang der Geschichte erinnert, liest man, daß ihre Halbschwester aus der ersten Ehe ihres Vaters Johann Giesen, schon nach Bockum heiratete. Vielleicht hat diese ihr in Bockum eine Arbeit besorgt, wo sie dann auf ihren späteren Ehemann Leonard Michels traf.
Schon ziemlich am Anfang meiner Erforschung dieser Sippe erfuhr ich, daß Lisette geb. Giesen die Großmutter meines Vaters Josef Tiefers war. Er muß sie gut gekannt haben, denn sie starb im Jahre 1916, fast 89jährig, mitten im ersten Weltkrieg, in Bockum.
Zu dieser Zeit war mein Vater 19 Jahre alt, aber als Soldat in Frankreich im Einsatz. Meine Großmutter, die Witwe Gertrud Tiefers geb. Michels, meldete den Tod ihrer Mutter beim Standesamt in Bockum. Die damals schon fast 90jährige Großmutter meines Vaters wohnte zur Zeit ihres Tode in Bockum auf der Verberger Straße Nr. 37.
(Das ist fast ein Witz, denn ich wohnte über 10 Jahre zwei Häuser davor, nämlich Nr. 33, allerdings 50 Jahre nach ihrem Tod. Das erzählte mir vor vielen Jahren Fräulein Weyers, die in dem Haus noch im hohen Alter einen kleinen Schreibwarenladen hatte.)
Hiermit endet meine Geschichte über die beiden Familien, die aus Bislich und Bönninghardt stammten.