Kulturdenkmäler von hohem Rang
Jüdische Friedhöfe im Westerwaldkreis sind Erinnerungen und Mahnmale
Angela Schumacher
(aus "Wäller Heimat" - Jahrbuch des Westerwaldkreises 1989 - hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Westerwaldkreises)
Im heutigen Westerwaldkreis gibt es noch neun jüdische Friedhöfe: in Gemünden, Hachenburg, Hartenfels und Höhr-Grenzhausen, in Maxsain, Meudt, Monta-baur, Selters und Westerburg.
Sucht man diese Friedhöfe, die abseits der Ortschaften fast versteckt liegen, und betritt die eingefriedeten Begräbnisplätze, so beeindrucken Stille und Einsamkeit, die Naturverbundenheit der Anlage und die Einheitlichkeit der Grabsteine.
Die Friedhöfe mit ihren Grabmälem sind die einzigen erhaltenen Zeugnisse jüdischen Lebens in unserem Landkreis. Da die übrigen Dokumente jüdischer Geschichte, z. B. Synagogen und Betsäle, zerstört oder zweckentfremdet wurden, sind es nur noch die Friedhöfe, die als erlebbare Zeugnisse, als Mahnmale und Erinnerung an die leidvolle Geschichte der jüdischen Bevölkerung geblieben sind.
In der Frühzeit wurden in Israel die Toten, wenn eben möglich, in natürlichen Grotten oder Höhlen beigesetzt. Seit Urzeiten ist die Körperbestattung für das jüdische Volk belegt - Feuerbestattung, wie z. B. im antiken Griechenland gebräuchlich, wurde von den Juden abgelehnt. Die ältesten jüdischen Begräbnisstätten finden sich in Europa, in Italien, ebenfalls in natürlichen oder künstlich ausgebauten unterirdischen Höhlenanlagen: in den Katakomben.
In den traditionsreichen Römerstädten, z. B. in Köln und Trier, ist die Anwesenheit von Juden seit spätrömischer Zeit nachgewiesen. Infolge der immerwiederkehrenden Pogrome und Vertreibungen im Mittelalter blieben jedoch auch auf den seit dem 11./12. Jahrhundert nachgewiesenen Judenfriedhöfen, z. B. in Worms und Mainz, nur wenige Grabsteine aus der Frühzeit erhalten. Immer wieder wurden die Steine von den jüdischen Friedhöfen verschleppt und als billiges Baumaterial verwendet, die Friedhöfe geschändet und zweckentfremdet.
Christliche Friedhöfe wurden bis zum 19. Jahrhundert stets in unmittelbarer Nähe der Kirchen angelegt (Kirchhof). Höchste Würdenträger, wie Klerus und Adel, ließen sich in den Kirchen selbst bestatten, da man sich dort Gott am nächsten glaubte. Die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung wurde, oft in Massengräbern, auf dem Totenacker, dem Gottesacker nahe der Kirche, beigesetzt. Da die eng begrenzten, oft mit Mauern umgebenen Begräbnisplätze innerhalb der Siedlungen nicht beliebig zu erweitern waren, wurden die beigesetzten Gebeine in gewissen Zeiträumen gehoben und in Beinhäuser (Karner) verbracht. Die Grabstätte wurde anschließend neu belegt. Die Wiederbelegung von Gräbern nach bestimmten Ruhefristen ist bis heute auf christlichen Friedhöfen üblich und gebräuchlich.
Das Symbol der segnenden Hände auf zwei Grabsteinen in Montabaur.
Im Gegensatz hierzu haben nach jüdischem Glaubensverständnis alle Toten ein ewiges Ruherecht. Dies gründet in der Glaubensgewißheit, daß alle Verstorbenen nach dem Erscheinen des Messias auferstehen und zu Gott und den Vätern eingehen werden.
Dieses ewige Ruherecht bringt die Pflicht zur dauernden Erhaltung der Friedhöfe mit sich und verbietet ein Umbetten von Verstorbenen, die Neubelegung von Grabstätten oder ein Abräumen bzw. Umnutzen von nicht mehr belegten Friedhöfen. Diese Bedeutung der Begräbnisplätze spiegelt sich auf in den hebräischen Namen, die den Friedhöfen gegeben wurden:
Bet ha-chajim - Haus des Lebens
Bet ha-kwarot - Haus der Gräber
Bet ha-olam - ewiges Haus.
Während christliche Friedhöfe innerhalb der Siedlungen angelegt wurden, findet man jüdische Begräbnisstätten stets außerhalb der Ortschaften, oft weit ab und in unwegsamem Gelände.
Dies gründet zum einen in religiösen Vorschriften, die eine räumliche Trennung der Wohnungen von Lebenden und Toten fordern; zum andern war der Erwerb und Besitz von Land jahrhundertelang für Juden stets streng reglementiert oder ganz verboten. So konnten für die Friedhöfe oft nur ungünstig gelegene Parzellen erworben werden oder solche Grundstücke, die für eine landwirtschaftliche Nutzung nicht lohnend waren.
So liegen denn auch alle jüdischen Friedhöfe im Westerwaldkreis weitab von den historischen Ortskernen. Die von Hartenfels und Meudt wurden inzwischen von Neubaugebieten eingeholt und liegen nun inmitten von Wohnbebauung.
Alle Friedhöfe weisen eine Einfriedung (Hecke, Zaun oder Mauer) auf. Dies diente und dient nicht nur als Schutz vor unbefugtem Eindringen, sondern auch als genaue Abgrenzung des guten Ortes gegenüber der Umgebung. Zum Schutz gegen Zerstörungen und Schändungen fanden wir einige Friedhöfe fest verschlossen und nicht zugänglich.1
Die Kennzeichnung der Grabstätte durch einen Stein ist schon für biblische Zeit als Brauch belegt: Im ersten Buch Moses (35,20) wird berichtet, daß Jakob auf die Grabstätte Rachels einen Stein setzt.
Die Grabsteine wurden und werden in der Regel zu Häupten des Bestatteten aufgestellt und sind nach Osten, also in Richtung Jerusalem, ausgerichtet. Bis in das 19. Jahrhundert hinein überwiegen auf jü-
![]() Im Wald verborgen Hegt der große Friedhof von Selters. |
![]() Ein Grabstein auf dem Friedhof in Maxsain weist den dort Begrabenen als Nachfahre Aarons aus. |
dischen Friedhöfen wenige traditionelle Grabsteinformen: zumeist Stelen (stehende dünne Rechteckplatten) mit halbkreisförmigem oder seltener auch dreieckigem Abschluß. Die Beschränkung auf wenige Grundformen verleiht den Friedhöfen eine beeindruckende Einheitlichkeit und Gleichförmigkeit. Dies versinnbildlicht auch, daß vor Gott alle Menschen gleich sind. Die Beschränkung auf eine Grundform des Grabsteins ist besonders anschaulich auf dem Friedhof in Maxsain.
Mit zunehmender Integration und Emanzipation der jüdischen Bevölkerung im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden nun auch Grabmalformen übernommen, wie sie auch auf zeitgleichen christlichen Friedhöfen gebräuchlich sind: der Obelisk, der abgebrochene Säulenstumpf als Sinnbild des zu früh beendeten Lebens. Beispiele hierfür finden sich vor allem in Montabaur, Hachenburg und Meudt.
Über Jahrhunderte hinweg bestand der Hauptschmuck jüdischer Grabsteine in einer kunstvoll ausgearbeiteten hebräischen Inschrift. Erst eine systematische Erfassung und Übersetzung aller Grabinschriften würde uns die Geschichte der einzelnen Friedhöfe, das Jahr der frühesten Bestattung, die Familiengeschichte der dort Ruhenden erschließen und zugänglich machen.
Über die historischen Zusammenhänge und die Geschichte der jüdischen Gemeinden und ihrer Friedhöfe im Westerwald ist bisher erst wenig bekannt. Auskunft gibt vor allem das Standardwerk von Paul Arnsberg über ,,Die jüdischen Gemeinden in Hessen.2 Doch nur für zwei Friedhöfe im Westerwaldkreis kann Amsberg urkundlich das Gründungsdatum nachweisen: Urkunden über Grundstücksverkäufe sind für Hachenburg 1781 und Höhr-Grenzhausen 1884 überliefert. Das Alter der übrigen Friedhöfe ist bisher unbekannt.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts verbreitete sich die Sitte, auf der Rückseite des Steins - zusätzlich zu der hebräischen Inschrift auf der Vorderseite - Namen und Lebensdaten des Verstorbenen in deutscher Sprache anzugeben. Besonders schön ist dies heute noch auf den Friedhöfen von Meudt und Hachenburg zu sehen.
Nur wenige Grabsteine weisen neben der Inschrift Ornamente oder Symbole auf. Bei einer ersten Sichtung fand sich fast
Stelen mit halbkreisförmigem Abschluß sind die traditionelle Grabsteinform hier auf dem Friedhof in Maxsain.
ausschließlich ein Symbol: zwei Hände mit gespreizten Fingern, die sich mit den Daumen berühren. Dieses Zeichen weist den dort Begrabenen als einen Nachfahren Aarons aus. Diese Menschen hatten und haben im Synagogendienst eine feste Aufgabe: Sie geben an hohen Festtagen den Segen an die Gemeinde.
Weitere in der jüdischen Grabmalkunst gebräuchliche Symbole wie Davidstern, Kanne und Schüssel als Zeichen des Leviten, Krone als Sinnbild des gläubigen Juden, Weintrauben u. a. fanden sich bei einer ersten Durchsicht nicht.
Erstaunlicherweise haben die jüdischen Friedhöfe in Deutschland - so auch im Westerwald - die Zeit des Faschismus, in der fast alle übrigen Zeugnisse jüdischen Lebens und jüdischer Kultur vernichtet wurden, fast unbehelligt überstanden.
Sie sind heute Kulturdenkmäler von hohem Rang und Mahnmale deutsch-jüdischer Geschichte. Ihre Erhaltung und Pflege gemäß jüdischen Glaubensforderungen sollte uns Anliegen und Verpflichtung zugleich sein.
Anmerkungen:
1 Die Friedhöfe von Hartenfels, Gemünden und Montabaur waren verschlossen. Den Schlüssel für den Friedhof von Montabaur erhält man bei der dortigen Verbandsgemeindeverwaltung. Schlüssel für die Friedhöfe von Harten fels und Gemünden halten die jeweiligen Orts bürgermeister bereit. Die übrigen Friedhöfe sind frei zugänglich.
2 Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen, 2 Bde., Frankfurt 1971
Traditionelle Grabsteine (Stelen) und Gräber in den historischen Formen des späten 19. Jahrhunderts weist der Friedhof in Hachenburg auf.