Handel mit Juden
Hermann Stinner
(aus "Wäller Heimat" - Jahrbuch des Westerwaldkreises 1989 - hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Westerwaldkreises)
Wie manch einer im Westerwald, so hatte auch mein Vater geschäftliche Beziehungen zu jüdischen Firmen. Wenn eine Kuh oder ein Rind verkauft wurde, waren die Juden aus Hachenburg und der be- nachbarten Altstadt die geeignetsten Handelspartner.
Ich entsinne mich noch an den Besuch eines Juden aus Hachenburg namens Stern. Wenn er mittags bei uns zu Gast war, aß er nicht am Tisch, weil das Essen - so habe ich später erfahren - nicht seinen Vorschriften entsprach. Er packte Konserven, Gurken und trockenes Brot aus und aß so sehr bescheiden. Oft wurde im Stall oder im Hof ein Geschäft abgeschlossen, und zwar durch Handschlag.
Meist hatten wir es dabei mit einem Juden aus Altstadt bei Hachenburg zu tun, der das Vertrauen meines Vaters hatte. Wenn dann eine Kuh, ein Rind oder auch ein Ochse vom Knecht dorthin gebracht werden mußte, so durfte ich als Junge ausnahmsweise mitgehen und das Tier treiben. In der jüdischen Familie bekamen wir dann etwas zu essen und eine Belohnung. Soweit ich mich entsinne, hieß der Jude Friedemann. Ich glaube, er ist noch rechtzeitig aus Deutschland ausgewandert, ehe die Juden verfolgt und ihre Banknoten beschlagnahmt wurden. Auch in der Zeit, als es schon schwierig war, mit den Juden zu verkehren, kam er noch bei uns vorbei. Es ist mir noch im Gedächtnis, als mein Vater eines Tages nach Neunkhausen ging, um etwas zu besorgen. Unterwegs begegnete er dem Juden Friedemann, der ihn schon von weitem begrüßte. Ahnungslos ging mein Vater mit ihm durch Neunkhausen.
Nach einiger Zeit wurde er nach Westerburg bestellt. Dort fand eine sehr ernste und harte Unterredung statt, bei der mein Vater beschuldigt und u. a. als Judenknecht betitelt wurde. Ich entsinne mich noch, daß mein Vater abends ganz aufgeregt nach Hause kam, weil man ihn wegen des Handels mit den Juden bedroht hatte. Hätte sich damals der Obermeister für ihn nicht derart eingesetzt, dann wäre es um die Existenz des Mühlenbetriebes geschehen gewesen. Vater mußte versichern, den geschäftlichen Verkehr mit den geächteten Juden zu unterlassen.
Wahrscheinlich war er bei der Begegnung in Neunkhausen gesehen und bei der Behörde angezeigt worden. Die Propaganda hatte ja dafür gesorgt, daß die Juden in Deutschland Menschen zweiter Ordnung waren. Welche schädliche Wirkung die Propaganda hatte, kann man an einem Beispiel demonstrieren. Sie kann einem die niedrigsten Instinkte im Menschen wecken. Hier bewahrheitet sich der Satz:,,Steter Tropfen höhlt den Stein.
Die Menschen wurden immer mehr bearbeitet, denn die staatlich gelenkte Presse hatte das geeignete Mittel in der Hand. In Hachenburg wohnte der geschätzte Uhrmacher Schulte. Er hatte ein angesehenes Geschäft, und die Menschen aus den umliegenden Dörfern kauften ihre Uhren und Schmuck hier. Eines Tages waren die Schaufenster des Ladens mit Farbe beschmiert mit der Aufschrift Judenknecht.
Was war geschehen, daß man den Laden des Uhrmachers so zugerichtet hatte? Das Verhängnisvolle für den Geschäftsmann war, daß keiner seiner ehemaligen Kunden sein Geschäft zu betreten wagte. Herr Schulte hatte nämlich noch in letzter Minute vor der sogenannten Kristallnacht einem bekannten Juden aus Hachenburg Geld von der Bank besorgt, damit er noch rechtzeitig Deutschland verlassen konnte. Das allein war der Anlaß der nächtlichen Schmiererei von irregeleiteten Menschen, zudem es für den Uhrmacher das Ende seines Geschäftes hätte sein können.
Wer wollte oder konnte hier dem schwer getroffenen Herrn Schulte wieder auf die Beine helfen? Sein Laden wäre ruiniert gewesen, wenn nicht unser Pastor, Herr Pfarrer Bruckner, sich den Mut gefaßt hätte und demonstrativ, so daß es alle Leute in der belebten Geschäftsstraße in Hachenburg sehen konnten, in das geächtete Geschäft gegangen wäre. Das konnte sich aber nur der Pfarrer Bruckner leisten, denn er war bei allen Menschen sehr angesehen.