Juden im Umland von Puderbach

(aus: Vom Holzbach zur Wied, Puderbach 1992. Seite 131-146 (Verbandsgemeinde Puderbach) - hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors Dr. Albert Hardt)

Zwar lebten schon im 14. Jahrhundert Juden in der Obergrafschaft Wied, jedoch trifft man sie fast ausnahmslos in der Herrschaft Runkel. Vereinzelt hatten sich die Juden in den nachfolgenden Jahrhunderten in den kleineren Orten um Puderbach niedergelassen.

Graf Maximilian Heinrich (1693-1706) hatte vernommen, daß die Juden in ihren Schulen und Versammlungen zu Streitigkeiten neigten.1 Daher beschloß er im Jahre 1703 (5.9. ), einen ehrbaren Juden als Judenoberschultheiß einzusetzen. Zunächst hatte der Graf nur an die Herrschaft Runkel gedacht, als er den Juden Mordekai (Mardochei) für dieses Amt auserkor. Er sollte für das richtige Maß und Gewicht sorgen. Die Verbrecher müßte er dem landesherrlichen Gericht anzeigen. Von allen Strafen, die verhängt wurden, durfte der Judenoberschultheiß ein Drittel für sich einbehalten.

Nach dem frühen Tod des Grafen mußte dessen Witwe Florentina (1704-1758) ebenfalls die unzulängliche Organisation der Juden in ihrem Lande feststellen. Mordekai trug ihr die Klage vor, daß man seinen Anordnungen nicht Folge leisten würde.2 Er war nunmehr der Vorsteher aller Juden in der Obergrafschaft. Die Gräfin ermahnte die Juden zur Folgsamkeit in den Fragen der Schule und der Zeremonien. Strafen, von Mordekai verhängt, mußten auch noch 1709 der Rentkammer gemeldet werden. Selbst war er von dem üblichen Schutzgeld befreit.

Im Jahre 1733 war Mordekai, der in Runkel gelebt hatte, verstorben. Graf Johann Ludwig Adolf (1706-1762) ernannte daraufhin den Schutzjuden Moses aus Schupbach zum Vorsteher der gesamten Judenschaft im Lande. Von Moses wurde gesagt, daß schon sein Großvater als ehrbarer Jude in Schupbach weilte.

Im Jagdhaus Ludwigsburg wurde 1733 (1.8.) das Ernennungspatent des Juden Moses verfaßt:

1. ) Moses soll die Interessen des Landesherrn wahren und den Regierungsbeamten gehorsam sein, alle ungehorsamen Juden anzeigen.
2. ) Er soll Ordnung unter den Juden halten, die Juden entsprechend dem Schutzbrief zu gutem Handel und Wandel anhalten und darauf achten, daß alle Gesetze und Verordnungen gehalten werden. Bei Verstößen gegen Zeremonien darf er entscheiden, auch Strafen verhängen, eine Strafliste hat er alle 1/4 Jahr der Rentkammer einzureichen. Er soll gerecht und unparteiisch sein.
3.) Bei der eidlichen Schatzung wegen Verpflegung ihrer Armen soll er die richtige Durchführung beachten. Das jährliche Schulgeld beträgt 12 Rtl. Falls jemand eine Ermäßigung zu Unrecht erschleicht, soll er Meldung machen.
4.) Keiner soll unter fremder Firma Handel treiben und dadurch diejenigen schädigen, die das volle Schutzgeld zahlen. Jeder, der handelt, muß selbst Schutzgeld zahlen.

Für die treue Ausübung seines Vorsteheramts braucht Moses selbst kein Schutzgeld zu zahlen, ist auch frei von der Weinakzise.

Ab 1737 (1. 6.) wurde der besseren Ordnung wegen und auch hinsichtlich der Größe des Landes der Jude Mayer zu Runkel mit dem Amt des Judenvorstehers betraut. Um die Mitvorsteherstelle zu erhalten, hatte Mayer 100 Rtl. hinterlegt.

Diesen beiden Vorstehern folgte Herz Raphael aus Weyer , der 1769 starb, so daß Graf Christian Ludwig (1762-1791) den ebenfalls aus Weyer kommenden Gumprich Meyer zum Judenvorsteher ernannte. Die Judenvorsteher vermochten das religiöse Leben nicht zufriedenstellend zu gestalten. Daher baten die Juden der Grafschaft Wied-Runkel1737 den gnädigen Herrn, ihnen zu gestatten, daß der Rabbiner zu Koblenz, Lieftmann, die bei ihnen aufgetretenen 131 Streitigkeiten und Irrungen schlichte und ihre Zeremonien ordne. Der Graf nahm den Rabbiner, der sich bisher wohl geführt hatte, in Schutz und bestellte ihn (neben seinem Koblenzer Amt) zum Rabbiner in der Grafschaft Runkel und Dierdorf.Er könne ungehindert kommen, gehen und abreisen. Wenn er Strafen verhänge, solle er diese sofort bei der Regierung anmelden, damit die Strafgelder richtig vereinnahmt würden. Wenn er den Bann verhänge wegen Ungehorsams und der Gebannte sich nicht innerhalb dreier Monate absolviere, solle er den Bann später nur mit Erlaubnis des Grafen lösen dürfen. Der Inhalt der Schutzbriefe werde durch diese Patente nicht berührt. Die Juden der Grafschaft Runkel sollten dem Rabbiner 25 Rtl. , die aus dem Amt Dierdorf 5 Rtl. jährlich zahlen. Er dürfe aber keinen Vertreter stellen. 3

Der erste nachweisliche Judenvorsteher im Amte Dierdorf, wozu die heutige Verbandsgemeinde Puderbach zählt, und zu Maischeid war der von Graf Johann Ludwig im Jahre 1742 (10. 11.) ernannte Hirsch Loeb4. Er leistete vor dem gräflichen Herrn den vorgeschriebenen Eid: er solle die landesherrlichen Interessen wahren, auf Beachtung der jüdischen Gesetze und Zeremonien halten, zusammen mit dem anderen Vorsteher Ruben solle er in Zeremoniensachen Streitigkeiten schlichten. Dabei bleibe die Berufung an den Rabbiner und die Amtskanzlei offen, er dürfe Strafen ansetzen, von denen 2/3 an die Rentkammer flössen. Darüber habe er jeweils eine Aufstellung zu geben. Das letzte Drittel solle, wie in Runkel, zum besten der armen Juden verwendet werden. In Kriminal- und Zivilsachen sollten die Vorsteher aber nicht entscheiden, sondern nur die landesherrlichen Beamten, denen sie es anzuzeigen hätten.

Am 1. August 1750 regelte derselbe Graf die Berufung der Rabbiner. Er bestätigt den neuen Rabbiner Israel Lazarus, bisher zu Diez. Die Zahl der Juden ist gewachsen, so daß ein Rabbiner notwendig ist. Die Juden haben ihn vorgeschlagen; der Graf gibt ihm das Ernennungspatent als Rabbiner der Herrschaft Runkel.

1.) Er soll ehrlich und fromm sein, nichts gegen die christliche Religion und gegen den Landesherrn unterneh- men.
2.) Neben den Vorstehern soll er in Zeremoniensachen Strafen bis zu 10 Rtl. festsetzen dürfen, je die Hälfte der Strafe geht an die Rentkammer und an die Juden-Armen-Büchse. Vierteljährlich soll er die Strafgeldliste einsenden.
3.) Er kann die Juden zusammenrufen, für minder wichtige Sachen Deputierte einsetzen, Versammlungen leiten, die Stimmen sammeln, Beschlüsse publizieren.
4.) Den Beschwerten steht die Berufung an die Regierung frei, die nicht behindert werden darf.
5.) Die Juden haben die Weisungen und rechtlichen Entscheidungen des Rabbiners zu beachten bei 5 Rtl. Strafe.
6.) In Zeremoniensachen darf der Rabbiner den kleinen Bann und den großen Bann verhängen.
7.) Der Rabbiner hat alles zu tun, was die Zeremonien verlangen und bei Verlesung der Tora alle vier Wochen an den Sabbathen vor dem Neumond, an den Festtagen wie Neujahr aufzurufen.
8.) Er soll die Umlagen regeln, die Wahl der Vor- steher leiten und den Gewählten zur Bestätigung melden. Neu ankommende Juden soll er anteilmäßig zum Gehalt des Rabbiners und des Vorsängers heranziehen.
9.) Bei Sterbefällen soll er die Obsignation unter Aufsicht und Leitung der landesherrlichen Regierung selbst vornehmen oder anordnen. Die Witwe wegen ihres eingebrachten Gutes zu befriedigen und alle Unterschleife zu verhüten. Die Berufung an die Regierung bleibt offen.
10.) Seine Ausgaben zum Besten der Gemeinde werden erstattet.
11.) Die Beitreibung seines Rabbinergehaltes und der Strafen soll exekutorisch bewilligt werden, wenn er darum nachsucht.
12.) Bei Aufstellung einer neuen Matrikel soll der Rabbiner anwesend sein, nichts Unbilliges zulassen. Was ohne gräfliche Einwilli gung geschieht, soll nichtig sein.
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Rabbiner Israel Lazarus von Diez hatte die Rabbinerstelle im Lande Runkel bis 1762 (8. 8. ) verwaltet. Jetzt ist der zu Koblenz wohnhafte Rabbiner, der die Dierdorfer Juden betreute, gestorben. Die Juden hatten ihn sich eigenmächtig geholt und fuhren deshalb sogar nach Koblenz. Für das Land wäre es aber besser und nützlicher gewesen, wenn er diese Stelle bekäme. Er erhielt von den Juden nur 10 fl. jährlich. Gegen Bezahlung des Bestätigungsgeldes soll er ernannt werden.6 Judenvorsteher Mayer zu Runkel hatte den Oberrabbiner Israrel Lazarus von Diez -wie es 1763 (25.3.) hieß -angewiesen, sich seiner Amtstätigkeit zu enthalten, bis er von dem neuen Grafen bestätigt worden wäre. Er hatte bisher schon 12 Jahre lang in den runkelischen Landen als Rabbiner gewirkt und erhielt dafür von den Juden nur 10 fl. Gehalt. Er bat um Bestätigung seines Oberrabbinerpatentes. Graf Christian Ludwig ernannte 1764 (30. 11. ) Süßkind Hirsch Gundersheim zum Rabbiner über die Juden in der Herrschaft Runkel und im Oberamillierdorf. Die Instruktion wurde ihm zugestellt. Sämtliche Schutzjuden zu Runkel, Weyer, Münster wurden von der Regierung am 19. 12. 1764 aufgefordert, dem Rabbiner Süßkind Hirsch Gundersheim den gewöhnlichen Bestellungsbrief auszufertigen und zuzustellen. Nach jüdischem Brauch mußte sich der Rabbiner erst bei der Gemeinde melden, bewerben und vorstellen. Da er das nicht getan hatte, baten sie um vorläufige Befreiung von der Ausfertigung des Briefes. Der Schutzjude Schilo Moses von Schupbach beschwerte sich 1765, daß die Judenschaft sich bisher geweigert hatte, dem zum hiesigen Rabbiner bestellten Koblenzer den gewöhnlichen Rabbinerbrief auszustellen. Zwar lebten in und um Puderbach auch im 16./17. Jahrhundert vereinzelt Juden, aber schienen wenig seßhaft zu sein.

Im Jahre 1693 war unter den 81 Haushalten im Kirchspiel Puderbach und den 60 Haushalten von Urbach keine Judenfamilie dauerhaft anzutreffen. Der Schultheiß Dilthey berichtete 1767, daß in dem Dorf Urbach die Juden Jacob, Michele leben würden, also nur zwei Familien. Damals gab es in Urbach keinen adeligen Hof mehr. Die Bauern bewirtschafteten insgesamt 299 Morgen Ackerland. Diese Juden lebten in Kirchdorf, während sie in Überdorf nicht angetroffen wurden. In Niederhofen war schon längere Zeit der Jude David (Dauvidt). Mithin wurden im Kirchspiel Urbach 1767 nur drei jüdische Haushalte vermerkt. In Woldert hatte sich vor 1767 der Jude Amschel niedergelassen. Auch in Puderbach gab es drei Judenfami- lien, nämlich Ahron, in Mühlendorf (Mollendorf) noch der Jude Abraham mit seiner Frau. In Sensenbach stößt man noch auf einen namentlich nicht erfaßbaren Juden.

Im Jahr 1769/70 zogen einige Juden nach Woldert. Doch waren es die Angehörigen des schon dort wohnenden Amschel. Nach Puderbach kam in diesen Tagen der Jude Geißel mit seiner vierköpfigen Familie. Viele Juden wohnten in Brechhofen: Leib, Feit, Seligmann David, Wolfs Witwe, insgesamt vier Familien. Für Urbach wurden 1768 Jacob und Michel genannt. Jeder von ihnen hatte ein eigenes Haus. In Raubach trifft man 1770 des Jonas Witwe (mit 1 Sohn, 1 Tochter, Schwiegertochter mit 2 Kindern). Das Kirchspiel Freirachdorf (Orte: Hilgert, Elgert, [Wiedisch-] Hausen) vermeldete im Auftrage des Schultheißen Jacob Oettgen 1766: keine Juden.

Damit hatte der Jude Baruch in Lautzert nicht gerechnet, daß ihm 1771 so große Schmach angetan würde, die er sich selbst zuzuschreiben hatte. So traf ihn die Anklage , daß er zur nächtlichen Zeit etliche Male Schafe gestohlen hätte. Dies wußte des Peter Hachenburgs Witwe aus Lautzert dem Schultheißen Peter Born zu berichten. Auch wußte man sehr bald, daß er in gleicher Weise Möhren und gar Äpfel stahl. Bei Dendert hatte man wahrgenommen, daß er auch nicht vor dem Stehlen von Holz zurückschreckte. Aus der anfänglichen Mutmaßung wurde für alle Beteiligten die bittere Gewißheit, als auf des Schultheißen Befehl die unerwartete Haussuchung erfolgte. Alles Gestohlene befand sich irn Gewahr des Juden Baruch. Bald war klar, daß Baruch die Schafe irn sogenannten Oberdreiser Pferch nächst Dendert gestohlen hatte und sie dem Juden Sudel in Oberwambach zum Schlachten überließ. Für die Schaffelle hatte er 12 Batzen bekommen. Das Schaffleisch hatte er verkauft (je Pfund 3 Stüber). Man munkelte, daß Baruch auch als Dieb der einst bei Berod gestohlenen Schafe in Frage käme. Erspart blieb dem Juden nicht die Strafe jener Zeit, nämlich der Turm. Bernhard Koch zu Raubach war der Wasernmeister (nur er vollzog die Strafen) und stellte den Juden Baruch (Barg genannt) am 13. September 1771 an den Pranger nach erfolgten Staupenschlägen. Im Arrest (Turm) hatte der Jude zwei Brote verzehrt. Der Dierdorfer Unterschultheiß Weber wickelte während der Haftzeit die Angelegenheit ab. Immerhin wurde vermerkt, daß der Jude Effekten besäße und nach deren Veräußerung die ausstehenden Schulden damit beglichen werden könnten. Und so wurde der Fall abgeschlossen mit der Begleichung von Rechnungen: Schultheiß Born 6 Rtl., Unterschultheiß Weber 2 Rtl., Wasernmeister Koch 3 Rtl., Schutzgeld und Strafe 10 Rtl. , für den bestohlenen Anton Geyer 1 Rtl. Insgesamt war der Jude Baruch aus Lautzert 26 Rtl. ärmer geworden.

In den Wirren des Krieges, den um 1795 Napoleon über den Rhein getragen hatte, wurde es still irn Leben der Juden, wenn auch manche den Gedanken der Emanzipation nachgegangen sein mögen. Auch das Herzogtum Nassau griff eher noch verschärfend seit 1809 in die bisherigen Organisationsformen der Juden ein. Immerhin lebten in Urbach seit 1767 schon drei jüdische Familien.8 Genannt wurden damals die Juden Jacob und Michell (Kirchdorf) und David (Niederhofen). Der Nassauischen Hofkammer erging 1811 (24. 8.) die Mitteilung des dierdorfischen Amtes, daß zu Urbach die Juden Leib, Moses, Heyrn und Jacob lebten.9 In der Tat erhellt die nassauische Zeit die Zahl und das Leben der um Puderbach und Urbach lebenden Juden. 10

Der Dierdorfer Beamte Cramer berichtete 1811 dem neuen nassauischen Landesherrn über »die Judenabgaben«. Damals zählte man alle irn Amt Dierdorf lebenden Juden zur Synagogengemeinde Heddesdorf, später Neuwied. Cramer wußte darzulegen, daß seit 1781 sich alle Juden, auch die der späteren Bürgermeisterei Puderbach und Niederwarnbach nach Dierdorf zu dem Judenschulmeister Elias gingen. Die Judenschule war irn damaligen Verständnis mit dem Gotteshaus (später Synagoge) gleichzusetzen. Elias führte zwar ein Beschneidungsbuch, aber kein Sterberegister. Das Amt des Judenvorstehers lag zu jener Zeit ( ab 1781) bei Herz Sirnon, später dann bei dessen Söhnen Löw Herz und Joseph Herz. Die jüdische Ehe wurde in Dierdorf vor dem Judenschulmeister geschlossen (kein Rabbiner). Nötigenfalls mußte der Rabbiner aus Frankfurt, Mainz oder Bonn herbeigeholt werden, wenn beispielsweise Fragen des Erbrechtes oder in Konsistorialsachen verhandelt wurden. So erhielten die Söhne bei der Vererbung stets die Immobilien, auch Tora und alle Bücher, die Töchter dagegen die Mobilien. Ein Handwerk durfte nicht ausgeübt werden, so daß die Juden auf den Handel verwiesen waren. Es war ihnen das Hausieren in den Nachbarämtern untersagt. Mithin wuchs bei ihnen die häusliche Not. Landwirtschaft betrieben sie nicht. Lediglich -wie Cramer damals wußte- hatten sie allesamt einen Garten.

Man kann sagen, daß die meisten Juden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in das Land um Puderbach und Urbach gefunden hatten. So wohnten irn Jahre 1811 die nachstehend genannten Juden im Gebiet der heutigen Verbandsgemeinde Puderbach:

Urbach, Oberdreis, seit 1786 Leib Jacob (57 Jahre alt), seit 1790 Faiß Samule (48 Jahre), seit 1781 Moses Jacob (61 Jahre), seit 1795 Tobias Herz (52 Jahre), seit 1786 Heym Jonas (54 Jahre),

Udert: seit 1799 Jacob Samule (44 Jahre). seit 1786 Josef Süsel.

Raubach, Daufenbach: seit 1786 Mausche Lazarus (42 Jahre), seit 1779 die 1811 verwitwete Morges (62 Jahre). seit 1786 Haune (56 Jahre). Freirachdorf: Puderbach: seit 1755 die 1811 verwitwete Leib (78 Jahre). seit 1781 Mayer Jacob (30 Jahre), seit 1802 Anschel (34 Jahre ) , seit 1791 Leib Meyer (42 Jahre), seit 1789 Baer Jonas (45 Jahre). Verwitwet waren in dieser Zeit Mindel (später Mendel zu Meinborn, zuvor Thaihausen) und Mordges (62 Jahre).

Das Gesetz von 1847 (23. 7. ) forderte die Juden auf, eine geordnete Form des Zusammenlebens zu schaffen. In der Folgezeit entstanden die Synagogengemeinden, wie sie bis in den Zweiten Weltkrieg bestanden. So konnte noch 1847- betreffend die Juden um Dierdorf, Puderbach und Urbach - von der Synagogengemeinde Neuwied gesprochen werden, darin sich der Wahlbezirk Dierdorf mit den Orten Puderbach, Raubach, Daufenbach, Urbach-Überdorf, Oberdreis, Rodenbach, Niederwarnbach und Lautzert befand. Dieser Wahlbezirk wurde aufgefordert, drei Repräsentanten zu wählen. Bereits 1850 bestand die Synagogengemeinde Dierdorf, wozu jedoch die um die Orte Puderbach und Urbach wohnenden Juden nicht gehören wollten.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Juden irn Lande neu zu organisieren. 1853 meinte die königliche Regierung, daß einerseits sich die Orte Niederwarnbach, Rodenbach und Oberdreis, andererseits Puderbach mit Raubach, Urbach-Kirchdorf und Dürrholz zusammenschließen sollten. Es blieb indes bei dem bloßen Gedanken. Schon im Jahre 1850 befanden sich zu Puderbach zwei jüdische Betstuben. Die Urbacher Judengemeinde hatte sich 1813 gebildet; dazu zählten die Orte Raubach und Daufenbach. Diese Gemeinde wies im Jahre 1852 nur 5 jüdische Familien (39 Personen) auf. Zur jüdischen Gemeinde Puderbach gehörten die Orte Niederwarnbach, Rodenbach, Oberdreis und Lautzert, insgesamt 14 Familien (78 Personen). Die meisten rechtlichen Angelegenheiten erledigte der Lehrer (später Kantor) in Dierdorf. Irn Gespräch blieb der Gedanke der Bildung eines Synagogenbezirks, der alle Juden in der Bürgermeisterei Puderbach und Niederwarnbach erfaßte. 1853 lebten in Oberdreis die Familien Samuel Fultheim, Michael Tobias, Herz Tobias und Anschel Veit, zu Lautzert Aron Veit, zu Urbach die Familien Abraham Moses, Jacob Seligmann, Aron Moses und Jacob Levi, zu Daufenbach die Familie Ezechiel Meyer, zu Puderbach wohnten die Familien Hein Becker, Anschel Aron, Aron Aron, Hele Baer, Jacob Moses und Max Baer.11

Es blieb dabei, daß die Juden sich um die Orte Puderbach und Urbach scharten. Im Jahre 1856 wurde mitgeteilt, daß in Puderbach zwei Betstuben bestünden, nämlich im Hause von Heinrich Baer (etwa 30 Personen fassend) und zudem -wohl in demselben Hause- bei Hele Baer. Für die jüdischen Frauen war im Keller des genannten Hauses ein Baderaum eingerichtet.

In Urbach bestand 1856 keine Synagoge. Vielmehr begaben sich die Juden der zuvor erwähnten Orte eben dort zu Abraham Moses, der die Betstube (für 48 Personen) unterhielt. Etwas später hatte man auch in Oberdreis eine Betstube, dort in einem »Mietlokal«, untergebracht. Im Jahre 1857 wurden die Urbacher und Puderbacher Juden zur Synagogengemeinde Neuwied gerechnet. Streitig ging es stets bei der Wahl der Repräsentanten zu. In dieser Zeit wurde vermeldet, daß die meisten Juden, die zuvor genannten, sich »selbst ernähren« könnten. Betteljuden gab es nicht, wohl aber solche, die bettelarm waren. Fast alle betrieben den Viehhandel; das Fleischerhandwerk war erst später gestattet. Jacob Levi aus Urbach hatte sich auf das Lumpensammeln verlegt, dort lebten auch die Fleischer Moses Moses und Abraham Moses. In Puderbach hatte sich der Jude Moses Simon Frankenberg (aus dem Nassauischen) vor 1857 eine Blaufärberei eingerichtet.

Noch 1862 fragte die Regierung, ob die Juden Puderbachs und Urbachs (Puderbach 36 Personen, Raubach 7, Urbach-Kirchdorf 20, zusammen 63) immer noch keine tragfähige Organisation gefunden hätten.12 Es blieb bei der gefundenen Lösung: Synagogengemeinde (-bezirk) Dierdorf (mit den Orten der gleichnamigen Bürgermeisterei, auch Großmaischeid), Neuwied (nicht mehr Puderbach und Urbach betreuend), Oberbieber (mit Wollendorf, Niederbieber, Fahr und Rengsdorf) sowie Linz. Dierdorf erhielt 1864 die Statuten.13 Für die Dierdorfer Synagoge zahlten Dierdorf, Großmaischeid und Giershofen.14 Eine offene Frage blieb für die Puderbacher und Urbacher Juden, wie die Kinder schulisch betreut werden könnten. Nur zeitweise trifft man die Kinder in Dierdorf, denn die Bezahlung des dortigen jüdischen Schulmeisters bereitete Schwierigkeiten. Als 1907 die niederen Kirchendienste von dem Amt des Lehrers getrennt wurden, gestand der Dierdorfer Lehrer Ginsberg seine Ratlosigkeit, wie es um sein Einkommen bestellt sein sollte. Die Dierdorfer jüdische Volksschule war -wie 1913 gesagt wurde- um 1910 völlig neu erbaut worden. Noch 1931 trifft man in Dierdorf den Lehrer Ginsberg. 15 Nachdem spätestens 1908 die Bildung eines Synagogenbezirks erneut gescheitert war, gaben sich die Puderbacher Juden eine Satzung.

m Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden noch die nachfolgenden Begebenheiten venneldet: Die Regierung in Koblenz ermächtigte 1831 (5. 8.) den Landrat, dem Nathan Hecht aus Mogendorf (in Nassau) den Aufenthalt in Diensten des Hele Bär in Puderbach zu gestatten. Beide Juden waren nach Mitteilung des Bürgenneisters in Puderbach sehr ordentliche Leute. 16 Abraham Moses zu Urbach erhielt 1842 (10. 5.) die Erlaubnis, einen ausländischen Dienstboten zu beschäftigen. Er hatte seit sieben Jahren einen jüdischen Knecht von Oberdreis, der dorthin zurückkehrte. Jetzt hatte er einen aus dem Amt Selters, der zwei Jahre in Waldbreitbach und 1/2 Jahr in Erpel gedient hatte und geprüfter Schlachter war. Nach drei Wochen machte der Bürgermeister ihn aufmerksam, daß er ihn nur mit Genehmigung der Regierung behalten dürfte. Er betrieb eine Krämerei und Schlächterei und fand keine hiesigen jüdischen Knechte. Der Bürgermeister in Urbach stellte dem Abraham Moses ein sehr gutes Führungszeugnis aus. Die Erlaubnis wurde für ein Jahr erteilt. 17 Die Schutz- und Handelsjuden Löw Mordchen und Mordchen Scheye in Dierdorf hatten 1829 beide Dienstmädchen aus Mogendorf im nassauischen und wiedischen Amt Selters. Der erstere war Witwer mit 5 kleinen Kindern seit drei Jahren, der andere Witwer mit zwei Kindern seit 1 1/2 Jahren. Da sie keine hiesigen Mädchen fanden, verlängerten sie die Dienstverträge. Die beiden Mädchen hießen Fratchen Gumbel und Bäss Seligmann, doch der Bürgermeister verlangte ihre Entfernung. Sie dürften nur bis Weihnachten bleiben, damit inzwischen andere Mädchen eingestellt werden könnten. Angeblich wollte Löw sein Mädchen heiraten. Aber die Regierung lehnte die Beschwerde ab und gab nur 6 Wochen Ausstand. Auch eine neue Eingabe von 1830 wurde abgelehnt. Fratchen Gumbel beantragte 1830 (21. 4.) eine Aufenthaltserlaubnis. Sie wollte ihre armen alten Eltern unterstützen, konnte aber in ihrem Geburtsland keine Stellung finden. Sie beabsichtigte später nach Mogendorf zurückzugehen, doch die Regierung lehnte ab.

Nathan Seligmann in Dierdorf beschäftigte ein ausländisches Dienstmädchen. Dem Bürgermeister war das bisher nicht bekannt. Die Ausweisung wurde ebenso wie bei dem ausländischen Knecht des Leib Daniel von Großmaischeid durch Regierungsrat Pasch verhindert. Nathan Seligmanns Frau war gestorben. Er brauchte seine Magd zur Kindererziehung, wollte sie bis Ostern behalten und sich inzwischen nach einer anderen umsehen. Er ist ein armer Mann; die Magd ist schon fünf Jahre bei ihm. Die Regierung gibt für beide eine Aufenthaltserlaubnis, bis Michaelis gültig.

Löw Daniel in Großmaischeid möchte 1835 (26.1.) seinen Knecht Jacob behalten, der aus dem Nassauischen stammte. Er war fünf Jahre hindurch in Anhausen bei Tobias Marx als Knecht, jetzt aber bei dem Antragsteller, brav und arbeitsam, treu und rechtschaffen. Unerwartet hatte der Ortsschöffe die Ausweisung verfügt. Bei dem Betrieb der Krämerei und Schlachterei war aber die plötzliche Entlassung nicht möglich. Er hatte eine Frau und sechs kleine Kinder, so daß die Frau im Geschäft nicht aushelfen konnte. Er brauchte den Knecht zum Ankauf von Schlachtvieh und für seine Landwirtschaft, Futterschneiden usw. Bis zum vorigen Jahr war sein verstorbener Bruder als Knecht bei ihm, einen hiesigen Knecht konnte er nicht finden, weil jüdisches Gesinde erst zu Michaelis wechselte, konnte er jetzt keinen Ersatz finden. Der Bürgermeister bezweifelte den Mangel an inländischem Gesinde. Die Ausweisungsverfügung erfolgte 1835 (30.12.). Nathan Seligmann in Dierdorf bat 1835 (26. 12. ) die Regierung um sechs Monate Ausstand. Er hatte keinen Ersatz finden können. Drei kleine gebrechliche Kinder, denen allzu früh die Mutter genommen wurde, waren zurückgeblieben. Die Magd versorgte die Kinder so treu. Der Bürgermeister bestätigte dies: es werde ihm bei seiner Armut schwer fallen, eine Magd zufinden, die die verkrüppelten Kinder so gut wie diese pflege. Die Magd dürfe vorläufig bleiben.

Löw Daniel in Großmaischeid beschwerte sich 1835 (30. 12. ) gegen die Ausweisung seines Knechtes Jakob Josef aus Quirnbach, in Nassau gebürtig. Dieser wäre treu und redlich, hätte alle Arbeit, besonders die Feldwirtschaft, gut erledigt, die in der Regel den Juden doch fremd war. Außerdem besorgte er die Krämerei und Schlachterei. Davon mußte er seine große Familie ernähren. Er selbst hatte keine Kenntnisse vom Acker- bau und war darauf angewiesen, einen gelernten Knecht zu beschäftigen. Einen christ- 137 lichen Knecht fand er auch nicht, und die meisten jungen Juden betätigten sich irn Han- del. Er bat um Ausstand bis Herbst 1836. Der Bürgermeister bestätigte die Angaben. Gutes Führungszeugnis. Die Regierung genehmigte für ein Jahr . Löw Jacob in Dierdorfsollte 1837 (1.2.) die Dienstmagd Be.rta Löwvon Grenzhausen noch sechs Monate behalten dürfen- Der Schöffe Weber in Großmaischeid berichtete, daß Jacob Josef, Knecht des Löb Daniel, bereits irn Herbst nach Montatfaur verzogen wäre. Isaac Marx in Dierdorf beantragte 1837 (2. 2. ) Ausstand zur Entlassung seiner Dienst- magd Jette Kahn (von Hachenburg). Genehmigtbis 1837 (1.9.), dann Ausweisung. Isaac Marx in Dierdorf beantragte 1837 (4. 9. ) den weiteren Ausstand seiner Magd (aus Grenzhausen). Die Genehmigung erfolgte bis 1838 (1.. 3.). Löw Daniel in Großmaischeid wurde 1837 (10.8.) ein für allemal mit seinem Antrag, einen ausländischen Juden beschäftigen zu dürfen, abgewiesen.

Löw Jakob in Dierdorf beantragte 1837 (4. 5. ) den Ausstand zur Entlassung seiner ausländischen Dienstmagd, genehmigt bis 1838 (1.3.).

Isaac Marx in Dierdorf beschwerte sich 1837 (2. 2. ) über den Befehl, der ihm durch den Polizeidiener zugestellt war, seine Magd Jette Kahn (aus Hachenburg) sofort zu entlassen, widrigenfalls sie zwangsweise in ihre Heimat abgeschoben würde. Er wußte angeblich nicht, daß er keine ausländischen Juden beschäftigen durfte. Der plötzliche Wechsel kam sehr ungelegen. Wenn er jetzt mitten irn Dienstjahr die Magd entließe, müsse er ihr eine Entschädigung zahlen. Gerade den Grenzbewohnern fiel es sehr schwer, inländisches Gesinde zu erhalten.

Löb Daniel in Großmaischeid durfte 1841 (29. 1.) seinen ausländischen Knecht als Tag löhner bis 1.7.1841 weiterbeschäftigen. Dann erfolgte eine Verlängerung bis 31. 12. 1841. Der Knecht hieB Jakob Josef (aus Quirnbach). Im Juli 1842 kam die Meldung, daß er in seine Heimat zurückgekehrt wäre. Der Knecht wurde jetzt ersetzt durch den ältesten Sohn, der gerade 14 Jahre alt geworden war. Löb Daniel zahlte 30 Rtl. jährlich.

Die Witwe Tobias von Niederwarnbach versorgte fünf Kinder und ihren ältesten Sohn, der bei dem Vorbeter in Puderbach nichts lernte. Der jüdische Lehrerin Dierdorfwollte ihn für 12 1/2 Silbergroschen monatlich unterrichten. Der dortige Schulvorstand hatte ihren Schwager aus der Synagoge ausgeschlossen, bis er das Schulgeld für den Knaben bezahlt hatte.

Nach dem Bericht des Bürgermeisters von Dierdorf gingen die jüdischen Einwohner von Niederwarnbach entweder nach Oberdreis oder nach Puderbach in die dortigen Betsäle.

Josef KronenthaI in Dierdorf hatte seinen Enkel, den Sohn der Witwe Tobias, zu sich genommen. Dafür sollte er vierteljährlich 20 Silbergroschen Schulgeld bezahlen, außer der mit dem Lehrer vereinbarten Vergütung. Weil KronenthaI sich nun weigerte, die 20 Silbergroschen zu zahlen, entzog ihm die Gemeinde die sogenannten Ehrenrechte. Er hat zwar die 20 Silbergroschen bezahlt, den Jungen aber wieder zu seiner Mutter geschickt, obwohl er durchaus zahlungsfähig gewesen wäre (1864, 21. 3. )18.

Der Judenvorsteher der Kirchspiele Urbach, Raubach, Puderbach, Niederwarnbach und Oberdreis beantragte 1846 (17. 3.) die Anlegung eines neuen Totenhofes. Nach dem Gutachten der Bürgermeister in Steimel, Urbach und Dierdorf hatten sämtliche Gemeinden des Amtes Dierdorf bisher einen gemeinsamen Totenhof nahe bei Dierdorf besessen, der jetzt ganz angefüllt wäre. Die Juden in Dierdorf wollten einen Platz ankaufen, den die anderen Gemeinden aber nicht für geeignet hielten, weil er häufig überflutet sei. Die Antragsteller wollten in Puderbach, wo billiges Ackerland reichlich vorhanden war, einen eigenen Totenhof schaffen.

Die Dierdorfer kauften 100 Ruten in der Gemeinde Brückrachdorf an, später ein Stück in der Nähe des alten Friedhofes am Giershofer Wege. In Raubach, Urbach, Daufenbach,Puderbach, Niederwambach,Rod enbach,Lautzert und Oberdreis wohnten 1896 zusammen 106 Juden. Der alte Friedhof (nahe bei Giershofen) war wiederholt erweitert worden, eine nochmalige Erweiterung war aber jetzt nicht mehr möglich. Der neue Friedhof sollte zuerst auf der Heide in der Gemeinde Brückrachdorf angelegt werden. Ein allen Anforderungen der Ministerialverfügung vom 1. 3. 1828 entsprechender Platz -näher als der drei Stunden weit entfernte alte - war in Puderbach vorhanden. Zu den Kosten der Friedhoferweiterung in Dierdorf mußten observanzmäßig alle Juden des Amtes Dierdorf beitragen. Es wäre kein Grund vorhanden, die in benachbarten Ämtern wohnenden Juden zu befreien. Der BÜrgermeister in Dierdorf stellte sich gegen den Plan der Puderbacher. Der Bürgermeister in Steimel befürwortete dagegen den Plan des Judenvorstehers Hele Bär zu Puderbach. Die Antragsteller dürften einen eigenen Friedhof anlegen. Ihre Pflicht zur Kostenbeteiligung an dem Friedhof in Dierdorf bliebe bestehen nach der Verfügung der fürstlich-wiedischen Regierung. Dagegen wehrten sich wiederum die Puderbacher, da kein Rechtsgrund bestünde. Die Puderbacher hätten mit den Dierdorfern nur zufällig, aber nicht notwendigerweise einen gemeinsamen Totenhof, der den neuzeitlichen Ansprüchen nicht mehr genügte. Die Gemeinde in Puderbach wäre ebenso selbständig wie die der Dierdorfer. Wenn die Puderbacher zum Bau der Synagoge in Dierdorf beitrügen, wären dies nur freiwillige Geschenke, als solche erbeten und gegeben. Doch die fürstlich-wiedische Regierung blieb bei ihrer Ablehnung und stellte eine Klage vor den Gerichten anheim (1847). Nach dem Gutachten des Dierdorfer Judenvorstehers Isaac Marx bestand der gemeinsame Totenhof seit über 100 J ahren. Die Kosten wurden im Verhältnis aufgeteilt. Beide Gemeinden hatten wechselweise Rechte und Pflichten erworben. Dierdorf könnte sich nicht weigern, die Toten von Puderbach dort zu beerdigen. Aus demselben Grund müßten die Puderbacher zahlen. Es bestünde seit unvordenklichen Zeiten ein stillschweigender Vertrag. Wenn die Puderbacher jetzt ihren eigenen Friedhof anlegten, müßten sie dessenungeachtet weiterzahlen.

Der Bürgermeister in Dierdorf teilte eben falls diese Meinung (1847). Die Puderbacher beschwerten sich nun beim Oberpräsidenten. Nach Ansicht der Regierung unterstand jeder Totenhof der polizeilichen Aufsicht, da besondere Gesetze für Judenfriedhöfe noch bestehen würden, könnte nur ein Gerichtsurteil entscheiden. Die Entscheidung des Oberpräsidenten 1847: da die fürstliche Regierung der Judenschaft die Anlage eines eigenen Totenhofes freigestellt habe, sei die Sache nunmehr erledigt. Wenn die Juden in Dierdorf glaubten, trotzdem Ansprüche gegen die Puderbacher erheben zu können, müßten diese klagen. 19

Die Anlegung eines Totenhofs verblaBte in der Folgezeit doch zu einem bloßen Gedanken. Erst 1904 flossen wieder die Nachrichten.20 Der Puderbacher Bürgermeister Ermisch vermeldete damals, daß nach 1898 der Puderbacher Friedhof eingerichtet worden wäre und nun (1904) schon etliche Jahre rege genutzt würde. Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Puderbach legte erst 1905 eine Ordnung für den Begräbnisplatz und den Totengräber vor. Nochmals verhandelte Hermann Salomon 1922 über die 139 Zahl der Begräbnisplätze mit der Puderbacher Verwaltung. Ein Leichenhaus gab es in Puderbach nicht. 1936 (28. 8. ) teilte Gustav Baer aufgeregt mit, daß auf dem Puderbacher Judenfriefhof etliche Steine umgestoßen wären. Nach reiflichem Überlegen sahen dann Leopold Aron, Leo Tobias und Adolf Aron von einer Anzeige ab und gaben beim Verhör zu, daß es wohl der Wind gewesen wäre, der den Schaden angerichtet hätte. Letztlich waren die Puderbacher Juden doch froh, nicht mehr dem Judenfriedfhof zu Dierdorf zugewiesen zu sein, der 1846 -damals der zweite- unter dem Judenvorsteher Salomon Salomon angelegt worden war.

Dieser lag an dem Weg Dierdorf-Giershofen. Schon längst durchwühlte die nationalsozialistischen Köpfe der Gedanke, daß nur derjenige den Schlüssel der Geschichte in der Hand hielte, der die Reinheit der Rasse, also der arischen, der aufgenordeten, mit blauen Augen, blondem Haar und ausgeprägtem Schädel durchsetzte, verkörperte, dabei einerseits den Lebensborn schaffend, andererseits die Endlösung in der Judenfrage machtvoll angehend. So ereilte die Juden im Puderbacher Land die unüberbietbare Tragik der Geschichte. Es fällt leicht und dennoch unsagbar schwer, die Namen derer auf der beigefügten Aufstellung wahrzunehmen, die in eine »unbekannte«, oft mit dem Jahr 1942 gekennzeichnete Zukunft gedrängt wurden. Die Nazis brandmarkten sie als zu vertilgendes Ungeziefer, als schädigende Schmarotzer, als jene, die den Ersten Weltkrieg den Deutschen aufgedrückt und somit Deutschlands Schmach der 20er/30er Jahre zu verantworten hätten. Wer Ohren hatte zu hören, las schon in den Parteiprogrammen der Nazis (1920/26), in Rosenbergs »Mythos des 20. Jahrhunderts«, in Hitlers »Mein Kampf«, wie das jüdische Schicksal sich entfalten könnte. Anfängliche Verworrenheit bei den Nazis und falsche Hoffnung bei den Juden sorgten für die geschichtliche Entwicklung zur Reichskristallnacht, ein schmachvoller Vorbote des Holocaust. So bleibt das Unaussprechliche in bloßer Andeutung.21

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