Günter Heuzeroth

Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkrieges im Westerwald (II. Teil)

(veröffentlicht im Heimatbuch 1986 des Kreisheimatvereins Altenkirchen - hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Heimatvereins)

Juden und Angehörige slawischer Völker galten in den Köpfen der Nationalsozialisten als "Untermenschen"; ihre Kultur sollte ausgelöscht und jedem die Möglichkeit einer höheren Bildung genommen werden. Vom NS-Staat war beabsichtigt, die Menschen dieser Staaten zu Sklaven einer hochstilisierten ?deutschen Herrenrasse? zu machen. Diesen Sklavenvölkern hatte man in Sonderheit die Polen und den sowjetischen Menschen zugeordnet. Zu diesem Zweck wurden diese Länder von Hitlers Wehrmacht überfallen, okkupiert, das Land verwüstet und die Menschen in ihrem eigenen Land zu Frondiensten eingesetzt oder vernichtet. Deutschlands Kriegswirtschaft jedoch machte einen erheblichen Bedarf an Arbeitskräften erforderlich. Hierfür waren vor allem die "Untermenschen" für den NS-Staat ein willkommenes Arbeitskräftereservoir. Je mehr deutsche Männer und Frauen zum Kriegseinsatz aus Wirtschaft und Industrie abgezogen wurden, um so mehr Kriegsgefangene und Ostarbeiter wie Polen und Ukrainer wurden ins deutsche Reich deportiert, um dort unter meist menschenunwürdigen Bedingungen für ihre Feinde Knochenarbeit zu leisten.

Ostarbeiter(-innen) und sowjetische Kriegsgefangene im Eifelwerk in Eichelhardt Fotos: Stein

Für den Einsatz von Kriegsgefangenen war die deutsche Militärverwaltung und für den der Zivilarbeiter die Arbeitsverwaltung zuständig. Benötigte die Industrie und Wirtschaft solche Kräfte, so traten sie schriftlich an die entsprechenden Stellen mit ihren personellen Forderungen heran. Fast alle metallverarbeitende Betriebe sowie die Eisenerzförderung im Westerwald hatten während des Zweiten Weltkrieges Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter beschäftigt.

Das Weißblech-Walzwerk in Wissen, ein Betrieb der heutigen Nachfolgegesellschaft Hoesch Siegerlandwerke AG, beschäftigte während des Krieges offensichtlich die meisten Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter. Nach zuverlässigen schriftlichen Informationen der Betriebsverwaltung in Wissen ergibt sich folgendes Bild:

"In der Zeit v. Januar 1943 bis Frühjahr 1945 waren insgesamt 1.504 Personen in unserem Werk Wissen als ausländische Zivilarbeiter, Zivilarbeiterinnen und Kriegsgefangenen beschäftigt:

a) Zivilarbeiter: Russen   b) Kriegsgefangene (nur männlich)  
männlich 205 Franzosen 348
weiblich 370 Russen 240
    Italiener 203
    Belgier 57
    Holländer 51
    Luxemburger 25
    Polen

3

    Serben

2

Der höchste Beschäftigungsstand aller dieser Personengruppen im Werk war im Monat Juli 1943.

Die Zivilarbeiter (Frauen und Männer) wie die Kgf. waren in allen Bereichen des Werkes eingesetzt, d. h. in Platinenhalle, Warmwalzwerk, Kaltwalzwerk, Verzinnerei, Scherenhalle, Leichtmetall, Glüherei, Beize, Bauabteilung, Platz, Kistenfabrik und Reparaturwerkstatt. Ferner waren auch einige russische Zivilarbeiter bei Landwirten in der Nähe der Umgebung von Wissen beschäftigt, welche die Mitarbeiter des Werkes vor allem bei Erntearbeiten einsetzen durften.

Die Personen waren nach Nationalitäten getrennt in einem großen Barackenlager im Werksbereich untergebracht. Als Schlafgelegenheiten dienten Etagenbetten. Die Verpflegung wurde durch die Beschaffungsstelle (Einkauf) des Werkes beschafft. Sie war sehr schlecht. Die Gefangenen konnten unter Aufsicht des Lagerleiters zum Teil selbst ihre Mahlzeiten zubereiten und kochen. Der Lagerleiter wie der Angestellte für die Beschaffung sollen ausgesuchte, überzeugte Nationalsozialisten gewesen sein.

Am 19. März 1945 erfolgte ein Fliegerangriff auf das Barackenlager. Getroffen wurde hauptsächlich der Teil mit den französischen Gefangenen, von denen etwa 20 Personen getötet wurden. Außerdem kamen bei den Angriffen mehrere Ostarbeiterinnen ums Leben.

Zwei Ostarbeiterinnen hatten sich am 11.3.1945 aus einem von Bomben zerstörten Geschäft im Ort einiger auf der Straße verstreuten Textilien bemächtigt. Dieser Tatbestand wurde den beiden Russinnen im Alter von 19. und 24 Jahren als Plünderung zur Last gelegt. Das reichte nach den damaligen Gesetzen aus, um sie einige Tage später und kurz vor Kriegsende auf dem Wissener Waldfriedhof zu erschießen . . ."

 

Zur Zusammensetzung und zum Status der verschiedenen genannten ausländischen Personengruppen ist folgendes zu sagen: Als Mussolini, der Verbündete Hitlers, Ende 1943 vom italienischen König abgesetzt worden war und sein Nachfolger Badoglio bei Eisenhower Anfang September um einen Waffenstillstand gebeten hatte, war der Bruch mit Deutschland vollzogen worden. Von da an behandelte die deutsche Wehrmacht ihre vormaligen italienischen Waffenbrüder als ?Militärinternierte?; sie wurden nicht besser behandelt als andere westliche Kriegsgefangene. Holländische, französische, belgische Zivilarbeiter hatten mit der deutschen Arbeitsverwaltung entsprechende Arbeitsverträge abgeschlossen. Das gleiche gilt auch für die Luxemburger und die Arbeiter der südöstlichen Länder wie Rumänien, Bulgarien, Serbien usw. Die Verträge erfuhren vom Inhalt her allerdings gegen Kriegsende hin eine enorme Einengung. Die Arbeiter aus den von Deutschen okkupierten Ländern unterlagen immer mehr einem Zwang, der auf sie ausgeübt wurde, im eigenen Land oder in Deutschland selbst um für die Kriegswirtschaft der Nazis zu arbeiten. Sie können deswegen mit Fug und Recht auch "Zwangsarbeiter" genannt werden.

Wie schon im ersten Bericht erwähnt, wurde in der Behandlungsmethode der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen gegenüber jenen aus den östlichen Ländern ein gravierender Unterschied gemacht. Russen, Polen und zuletzt auch die Ukrainer unterlagen weit mehr Repressalien, als das bei ihren westlichen Kameraden der Fall war.

Der Ausspruch eines Obermeisters vom Walzwerk in Wissen vor den deutschen Arbeitern soll uns die angeführte unterschiedliche Behandlung der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern noch einmal drastisch vor Augen führen:

"Möd den Russen konnt ihr machen, wad ihr wollt, wenn se nett parieren ore offsässiscch wärn, dann haut drob; awer nett bei den Franzosen on denn anneren!"

Auf dem Weißblechwerk wie auch in anderen Fabriken sind vor allem in den letzten Kriegsjahren an den Arbeitsstellen mehr Ausländer als Deutsche eingesetzt gewesen. Die schlechte Behandlung der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter am Arbeitsplatz war keine Ausnahme, aber auch nicht die Regel. Diese wie auch die Verabreichung der Verpflegung und die Ausstattung mit Bekleidung war von Betrieb zu Betrieb, zum Teil erheblich verschieden. Das Weh und Ach dieser Menschen hing wesentlich davon ab, ob am Arbeitsplatz und in der Verwaltung hitzköpfige und linientreue Nazis das Sagen hatten oder nicht. Humanitäres Verhalten, Mitgefühl, ja sogar Solidarität gab es bei vielen deutschen Arbeitskollegen gegenüber den Ausländern. Im stillen wurde einiges gewagt, und mancher Kriegsgefangene wie Ostarbeiter hat Hilfe in der Not erhalten. Das sei zu Ehre und Dank denen gesagt, die in jener schwierigen Zeit diesen Mut aufgebracht haben.

Ein weiterer mittelgroßer Betrieb, in dem Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter(-innen) beschäftigt waren, war die Firma für Apparatebau PATT & DILTHEY an der Wilhelmstraße in Betzdorf. In einer schriftlichen Information beschreibt die Verwaltung die Situation von damals wie folgt:

"... Man weiß heute noch soviel, daß Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene beiderlei Geschlechts in unserem Preßwerk und Apparatebau zu Hilfsarbeiten eingesetzt wurden. Die Zahl liegt wahrscheinlich bei ca. 30 Männern, französischer und italienischer Nationalität, und ca. 10 bis 15 Frauen russischer bzw. östlicher Nationalität. Die Unterbringung erfolgte getrennt nach Nationalitäten, wobei die Italiener in einer Baracke, die Franzosen und Russinnen in festen Häusern wohnten. Die Italiener und Franzosen waren Selbstverpfleger, wobei der Einkauf von deutscher Seite erfolgte. Die Russinnen wurden aus der eigenen Werksküche mitversorgt. Interessant ist vielleicht, daß die Franzosen durch ihr französisches Rot Kreuz mit Paketen unterstützt wurden . . ."

Arbeitsbuch einer Ostarbeiterin bei Patt & Dilthey in Betzdorf Privatarchiv: G. Heuzeroth

Privatarchiv G. Heuzeroth Französische Kriegsgefangene und Ostarbeiterinnen bei der Fa. Patt & Dilthey in Betzdorf

 

Die Fa. Patt & Dilthey stellte mir einige Arbeitsbücher von Ausländern zur Verfügung, die sie bei Aufräumungsarbeiten vor einem Jahr gefunden hatte. Hier soll einiges davon als Dokumentation wiedergegeben werden. Im Heimatjahrbuch 1987 wird über den Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in weiteren Industriezweigen im Kreis Altenkirchen berichtet.

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