„En Republik woll mer schu, aber usern Herzog Adolph woll mer behale!“

Die Ursachen der Bauernnöte im alten Herzogtum Nassau

Der „Zehnte“ war eine auf Grund und Boden lastende Abgabe. Er wurde gehoben auf dem Westerwald wie anderswo in Nassau und war die eigentliche Ursache der bäuerlichen Armut. Seine Geschichte lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Ein Zehntel der Ernte von den betreffenden Grundstücken musste an den Zehntberechtigten abgeliefert werden. Zu Beginn wurde die Abgabe in Naturalien geleistet, später in Geldwert. Jeder war zehntpflichtig, der zu dem Grundherrn in einem Abhängigkeitsverhältnis stand.


Die Bauern unserer Heimat mussten hart und übermenschlich arbeiten; konnten aber trotzdem weder für sich noch für die Ihren das Nötigste anschaffen. Es fehlte an Kleidung und Schuhwerk. An Geistesbildung war überhaupt nicht zu denken. Er lebte von schlechten Kartoffeln und einer schwarzen Brühe, die aus gerösteten Kartoffeln und Gelberüben hergestellt war. Viele mussten früh sterben, weil ihnen das Geld für den Arzt und die Medikamente fehlte. Die nächste Apotheke für Frickhofen und das Kirchspiel war zu dieser Zeit in Hadamar. Den Weg dorthin musste man zu Fuß gehen. Bei uns gab es fast ausschließlich Kleinbauern.


Im Zehnten sahen die Ideen der Aufklärung in der nassauischen Revolution 1848 – 1849 eine ungerechte Behandlung der Minderbemittelten und hielten ihn für abschaffungswürdig. Die Beseitigung der schroffsten Form der Abhängigkeit erfolgte in Nassau im Jahre 1808 durch Aufhebung der Leibeigenschaft. Die Nassauer Bauern strebten die Abschaffung der Grundabgabe an und sahen in deren Beseitigung das Heilmittel für ihre schlechte wirtschaftliche Lage.


So lange Herzog Wilhelm regierte, geschah gegen diesen Übelstand nichts. Als 1839 Herzog Adolph seinem Vater auf den Thron folgte, hatte er sich entschlossen, das Hauptübel der Bauernverarmung zu beseitigen. Er war festen Willens, der wirtschaftlichen Not seiner Untertanen abzuhelfen. Aus diesem Grund erließ er am 20.01.1840 das Edikt über die Ablösung der Zehnten.


Das Herzogtum Nassau war, wie noch aus dem Geschichtsunterricht bekannt, ein aus dreißig Fetzen und Fetzchen in den Jahren 1802 bis 1816 zusammengeflickter Landlappen. Nicht nur die Zehntabgabe und die direkten Steuern, sondern auch die vielen indirekten Leistungen waren es, die die Bauern haßten. Die Abwickelung der Zehntabgabe ging recht langsam und willkürlich vonstatten. Dazu drückten die Spannfronen, d.h. der Vorspann, den der Bauer mit seinem Vieh (Pferde, Ochsen oder Kühe) zu leisten hatte. Die Handfronen waren ein weiterer Grund zu Unzufriedenheit und Opposition gegen die „Stadtfräcke in Wisbore“ (Wiesbaden). Die Handfron wurde verlangt in der Hauptsache beim Wege – und Chausseebau und selbst Kinder mussten Steine zum Auffüllen der Löcher in den Straßen zusammentragen. Bei der herrschaftlichen Jagd hatten die Bauern das Wild zu treiben und die Jagdbeute zu schleppen. Sie durften sich nicht einfallen lassen, den ihre Äcker und Gärten verwüstenden Herren, Hirschen und Rehen ein Leid zuzufügen.


Mit einem Male zeigten sich die Vorboten der kommenden Umwälzung. Man las im Volke politische Zeitungen, man besuchte geheime Versammlungen und gab Parolen von Freiheit, von deutscher Einheit und Gleichheit weiter. Als ein Bauer gefragt wurde: „Wollt ihr eine Republik?“, antwortete er unbefangen: „Jo, en Republik wolle mer us schu gefalle lose, aber usern Herzog Adolph wolle mer behale!“ – Es war zunächst gar nicht die Absicht der Nassauer, eine Revolution anzuzetteln, man wollte Reformen. In den ersten Märztagen des Jahres 1848 versammelten sich etwa 40 000 Männer in der Residenzstadt Wiesbaden, es waren fast alle Wehrpflichtigen des Landes , um den Landesvater für ihre Ideen zu gewinnen. Auch aus dem Kirchspiel Blasiusberg waren die Bauern unterwegs im Sonntagsstaat, im Büchsenranzen ein Dutzend hausmacher Handkäsjer, einem Stück Bauernschinken und einem Laib Bakkesbrut. Auf der Höhe von Idstein hatten sich die Jüngeren ein paar Hinkel eingefangen und am Spieß gebraten. So kam man nach Wiesbaden mit den anderen Vortrupps am 3. März. Allmählich wurden es immer mehr und am folgenden Tag rückte das Gros, Trommler und Musikanten voraus.


Im Schloß erwartete den Volkshaufen die Herzogin – Witwe. Zu den Fenstern herauf erschollen die Rufe „Bewilligen!“ und „Teilen!“. Da entschloß sich Pauline, Herzogin von Nassau und ihr Sohn Nicolas von Nassau zu einer beruhigenden Proklamation. Sie bewilligten auch im Namen des Herzogs die Forderungen. Minister von Dungern verlas den Aufruf mit den Schlussworten: „Nassauer, bleibt treu! Bürger, schützt Euere Stadt! Seid deutsch! Seid einig!“


Dann kam der Herzog. Zu Fuß schritt er durch die breite Wilhelmstraße nach dem Schlosse. Vom Balkon rief er der aufgeregten Menge zu: „Nassauer, die Forderungen, die ihr an mich gestellt habt, deren Gewährung euch mein Minister versprochen und meine Mutter und mein Bruder verbürgt haben, genehmige ich und werde ich halten!“ Jubel brandete hoch. Hoch – und Heilrufe erfüllten den Platz, dann folgten die ruhigen Schlussworte: „Nun geht mit Gott nach Hause und habt Vertrauen zu mir, wie ich zu euch!“


Man empfand den 4. März als den Geburtstag der nassauischen Freiheit. Die erhobenen Sensen, Dreschflegel und Heugabeln senkten sich vor dem Monarchen. Man glaubte ihm und war beschämt. Der Abend sah ein prächtig illuminiertes Wiesbaden. Das Verbrüderungsfest zwischen Volk und Fürst wurde ausgiebig gefeiert. Im guten Glauben an die Obrigkeit und das vom Fürsten gegebene Wort, die katastrophalen Zustände im Lande zu bessern, kehrten die monarchenfreundlichen Märzrevoluzzer heim in ihre Dörfer.


Aber bald fanden die von Reformen und freiheitlichen Ideen durchdrungenen Bürger und Bauern neuen Grund, rebellisch zu werden. Auf den Häuptern der nassauischen Schultheißen sammelten sich feurige Kohlen. Es waren die herzoglichen Beamten, die nicht gewählt, sondern von den nassauischen Büros auf ihre Posten gesetzt waren. Sie „residierten“ wie die Grafen und behandelten die Bauern und Bürger von oben herab. In vielen Gemeinden wurden sie verjagt und eigene Schultheißen gewählt, denen man den „Gemaaschrank“, das Siegel und die Schreibutensilien ins Haus brachte. Freudenfeste schlossen diese Bürgermeisterwechsel ab.


Jetzt fühlten sich die Bauern als souverän und Herren der Lage: „Mer wolle kenn frieme Scholles im Dorf!“ Das zeigte sich auch in Frickhofen, als nach Neujahr 1849 die neubestellten nassauischen Gerichtsvollzieher ihr Amt antreten wollten. Der Schultheiß prozedierte zwar, strafte, verurteilte, mahnte und pfändete, aber niemand leistete Folge. Der Herzog war ja weit und die Soldaten brauchten tagelang um auf den Westerwald zu kommen. Die Gerichtsvollzieher sollten nun mit Eifer den Anordnungen der Obrigkeit Nachdruck verschaffen. In der Gemeinde Fussingen wurden sie an den Ohren gezogen und verprügelt, dass ihnen das Wiederkommen verging. In Frickhofen, so berichtet die Chronik, jagte man sie mit Steinwürfen aus dem Dorf. Daraufhin kamen die Landjäger und aus war es mit der gemütlichen Anarchie.


Als am 01.01.1849 die Landesbank eröffnet wurde, hatten die Bauern die Möglichkeit, mit Hilfe des ihnen gebotenen Kredits sich nach und nach des verhassten Zehnten zu entledigen. Es kam (22.03.1848) die gesetzliche Aufhebung der Reste der Chaussee – und Jagdfronen, wie überhaupt der Dienstleistungen. Das Gemeindegesetz von 1848 und das revidierte von 1854 gewährten auch auf dem Land Selbstverwaltung in vollem Umfange. Die Gemeindeverwaltung besaß ihren Bürgermeister, ihm zur Seite der Gemeinderat, die Gemeindeversammlung und das Feldgericht.


Nassau hatte den Anfang gemacht, gerade den Bauernstand aus seiner ungeheuren Verschuldung und Not zu befreien. Den Landleuten war endlich die Möglichkeit gegeben, neu aufzubauen und zu dem Wohlstand zu gelangen, den sie heute dank ihres Fleißes haben.


Heribert Heep


Quellen:
Dr. C. Spielmann „Geschichte von Nassau“ / II Teil 1926
Dr. C. Spielmann „Achtundvierziger Chronik“ 1899


Zurück / back