Aus den Erinnerungen von Franz Eduard Gunkel - Kgl. Preuss.
Bahnhofsvorsteher – über seine Zeit in Siershahn
(freundlicherweise
zur Verfügung gestellt von Karl-Heinz Gunkel –
E-Mail: kgunkel@nexgo.de )
Aus meinem
Leben
Ernstes
und Heiteres!
Meinen
lieben Kindern und Enkeln gewidmet
Von
August Gunkel
……………..
Am 1. Juli 1897 ging’s ab von
Fulda zu den Höhen des schönen Westerwaldes.
Unser lieber Vater war
Bahnhofsvorsteher in Siershahn, Unterwesterwaldkreis,
geworden.
Eine schöne, neue Welt tat sich
auf. Elf Jahre war ich wohl, und bis zum 27. Jahre
blieb ich ihm treu, da draußen in der Welt aber immer Westerwälder. Zu viel hat
die Landschaft, haben die Menschen dort mir
mitgegeben.
Ein Stück vom irdischen Traumtal ist’s natürlich wie jede Heimat, und kein Engel
und kein Mitengel sind die Mitmenschen, alles seufzt und leidet bald schwer,
bald leichter, bald anscheinend frei steht für kurze, kurze Zeit, die Blume
Mensch, die verblühte. „Der Wind weht darüber, und niemand weiß, wo sie
gestanden.“ Und trotz aller Sünde und Schuld, trotz aller Schwäche und
Vergänglichkeit: Heim und Heimat gab der gütige Gott; in ihnen sprechen wir am vertrautesten mit unserem himmlischen Vater und allen guten
Geistern. Heim und Heimat gibt’s nur einmal, wenngleich mancher Mensch im Zuge
seiner Lebensbahn andere Landschaften, andere Wohnstätten, den Stempel von Heim
und Heimat mit Erfolg aufdrückt. Denn
da, wo die Seele in Gott Ruhe findet, da ist Heimat, dort reiht sich alles
andere ein, das ist auch so Gott gewollt; aber ein großes, großes Sehnen bleibt
wie im Alter nach der Jugend, und sei das Alter noch so jugendlich durch den
Geist und vor allem das Gemüt gestaltet, es bleibt das Sehnen, die Unruhe wie
in gesühnter Schuld nach Unschuld, „bis es ruht in dir!“ (Augustinus)
Heimat fand ich später auch im
Industriegebiet, weil unser Heim sich dort gestaltete nach dem Besten aus den
Elternhäusern, weil dort ein Gottesheim, eine Kirche stand mit ragendem
Turmkreuz, weil sich Mitherzen fanden und Werte der ersten Heimat in irgendeiner,
mitunter ganz verstümmelten Form; aber Sonne, Mond und Sterne standen darüber,
und Wind und Regen und Schnee, und Tag und Abend kamen und gingen wie Hoffnung
und Schlaf, und die vier Jahreszeiten gaben und nahmen in ihrer feststehenden
Art. In all das trägt das Herz seine ersten Glücksempfindungen und sein Sehnen,
seine Sehn-sucht. Gebüsch ersetzt so den tiefen Forst
und wird ganz anders erfaßt, aufgewertet der einzelne
Baum, die kleine Baumgruppe.
Der Lebensbaum auf dem Grab,
die Mäusestätte am Wegesrand. Und gar der Tümpel im Garten oder da draußen im
Gelände irgendwo! Was ersetzt er dem „wilden Wassermann?“
Im geschlossenen Abteil II.
Klasse ging es am 1. Juli über Gießen nach Limburg an der Lahn. Bruder Fritz
stand still am Zuge, er blieb in Fulda als Lehrling der
Eisenbahnhauptwerkstätte zurück und wohnte bei Bäckermeister Winzler. In Gießen begrüßte uns Bruder Heinrich, der als
Elektromonteur eine Stellung daselbst begleitete. Anfangs interessierte uns das
ständig neue Landschaftsbild, aber bald schlief einer nach dem anderen ein in
der Tageshitze. Wir waren froh, als es hieß: Limburg, aussteigen!“ Familie
Schmitz, Werkmeister, die ehedem an der Leipziger Straße über uns gewohnt,
holte uns ab und über Nacht waren wir Limburger. Mit der Westerwaldbahn ging’s
in Richtung Siershahn-Altenkirchen mittags weiter.
Höhenluft erfrischte, dazu die formenreichen Landschaftsbilder eines
Mittelgebirges. „Plem, plem,
plem!“ läutete die 3 Achser
Lok, uns Jungen etwas ganz Neues. Über Eichen und Buchen- und dunkle
Tannenwälder schweifte der Blick in kleine Bäche, hohe Basaltsäulen in
Tagesbrüchen stellten feste Palisaden. Ton! Gelber, weißer, blauer, ein ganzer
Güterzug rollt vorbei. Und Goldhausen im Bahnhof nur Tonwaggons, überall
Schuppen mit Tonstücken, die Straße sogar ganz weiß von Tonmehl. Das
Kannenbäckerland kündete sich an, Wirkes! Und jetzt
kommt Siershahn! Flaches Gebäude rechts neben der
Chaussee mit vielen Obstbäumen, weiterhin Wiesen, leicht ansteigende Höhen,
Laubwald allenthalben; schnell drüben geschaut, wellig der Boden, da unten ein
Talkessel mit Tongruben, Tagleuten und Schächten. Auf der Straße Pferdewagen
mit Ton unterwegs. Rechts Gartenländer mit viel Obstbäumen; aber jetzt schnauft
das Zügelchen mit seinen 5 Wagen durch einen tieferen Einschnitt, besonnte
Böschungen, Weißdornhecken, und da liegt das Dörfchen vor uns, rechts eine
Senke mit einzelnen Wasserstellen, linker Hand flache, bäurische Fluren, mit
einem Hügel hinauf, den eine Linde krönt. Siershahn!
Aussteigen, heiße, helle Sonne steht in klarer Luft. Unser lb. Vater begrüßte
die Wanderer zwischen zwei Welten, Stadt und Land. Ein mächtiges
Bahnhofsgebäude nimmt uns im 1. Stock auf. Aus dem Möbelwagen werden schnell
Decken geholt, Bettstroh liegt schon, und bald fallen die Augen zu. Ein
furchtbares Gewitter, wie ich es selten erlebt, tobte sich um die Station aus,
wir aber schliefen, schliefen ruhig weiter.
Am anderen Tage fanden die
ersten Besichtigungen statt; die Gegend und das Dorf gefielen uns. Der alte
Hauptlehrer, „Babba Papst“, war der Vater eines
Seminaristen in Fulda, also bekannt. Bis heute gedenke ich seiner in
Dankbarkeit. Die Stationsleiter Marx und Hehl, ein Bremser Ludewich,
sie beantworteten unsere Fragen und kannten unsere Wünsche. Spielkameraden
wurden Jöschs Buben, hauptsächlich der Schorsch, ein
großer, gutmütiger Kerl mit Bärenkräften. Er half schon seinem Vater beim Chamottebrennen.
Siershahn war
der Mittelpunkt der Tonförderung und besaß 2 Chamottefabriken.
Sonntags ging’s nach Wirges ½ Stunden zur Kirche. Der
Wald lag etwa 300 m von der Station; das war die Hauptsache. Ludwig zeigte uns
in der Weißdornhecke Stockfinkennester, Bluthäuflinge
und im Walde die Nester von Amsel, Singdrossel und Eichelhäher. Wir waren
gelehrige Schüler. Der Wald – nah und fern – kannte uns bald und wir ihn. Was
gab es da Himbeeren, Walderdbeeren, Brombeeren. Förster Stoll war unser Freund.
Vorerst suchten wir Hummel- und Wespennester. An einer Tongrube gab’s eines
Sonntags zu tun; aber die Wespen waren stärker, bis es einem einfiel, weißen,
frischen Ton um das Flugloch zu werfen, naß zu machen
und dann mit Jungtännchen aus der benachbarten Schonung tüchtig draufzudreschen, dass alle im Ton hängen blieben. Gesagt,
getan! Mit Erfolg! Am Ende unserer Schlacht, wie sahen die neuen blauen Anzüge
aus? Perlhühner! „Ach, wir reiten über die Jungchristbäume in der Schonung“,
die Nadeln fegen. Tu ihm so, du hast ihm recht getan, dem Anzug. Verschwunden
die hellen Tüppel und Plaggen
waren verschwunden, dafür glänzten Harzflecken und- manche Träne im Auge zu
Hause.
An der Rampe standen
Waggons, geladen mit Selterwasserkrügen
aus Mogendorf, hinter dem Wald gelegen. Krüge
überall. Das gab zunächst Zielscheiben, dann aber Talglichtschalen für unsere
Burg. Ohne eine Burg kein Leben! Ein Grenzgraben, trocken, führte als Wallhecke
ins Feld abseits der Landstraße. Im grünen Zoo hausten Zaunkönige, Braunellen,
Laubvögel, Hänflinge, Grasmücken, Igel, Wiesel, und – wir. Von hier aus ging’s
auf Streife, während der „Koch“ brotzelte. Dabei bedachte niemand, dass Talg
und Docht aus dem Magazin Rauch entwickeln, der blau und grün anstieg und
schließlich unser Lager verriet. Wir staunten nicht wenig, und der Nachbar noch
mehr, als uns die bergenden Zweige auf einmal freigeben mussten. Auf die Bäume!
Hoch sitzen, von oben über grüne Wipfel
schauen, das ist schön. Schon in Fulda musste oben auf dem Hang ein mächtiger
Bocksdornstrauch auch uns ins „Storchennest“ tragen. Von oben her wurde er
bestiegen wie im Allgäu die Tanne vom Bergeshang. Im dichten Jungeichenbestand
ging’s hoch in die Gipfel, bis sie sich nachbarlich zuneigten. Schnell die
zähen Loden der Baumspitzen richtig zusammengebunden, Unser Hochsitz konnte
gleich bezogen werden, ein „erhebendes“ Gefühl für uns Erdkröten, so ähnlich
beseligend wie die allererste Fahrradstrecke. Ja, eine Fahrradstrecke! An der
Leipziger Straße saß die Krack auf einem Hochrade und vollführte ihre Künste
uns zum Neide. Auf einmal fliegt ein langes, dünnes Gestell durch die Luft und
landet im Staub. Gebrüll ringsum! Schorch Jösch hatte im Frühjahr ein schönes neues Rad für seinen
Arbeitslohn erstanden und führte es uns vor. Es war an der Zeit, da die Straßen
schon trocken aber die Gruben noch gefüllte sind und ihre Wände noch
schmierigen Lehm haben –da –da saßen Rad
und Schorsch auch schon abseits- und wie sah der „Freihänder“
aus? Der reinste Lehmkuchenmann. Und das schöne neue Rad! Mit der ihm eigenen
Gemütsruhe schob er ab, aber das Bild, Schuhsohlen nach oben, blieb haften und
wurde nacherinnert.
Aber der Herr Bahnmeister besaß
auch ein Rad, ein zweisitziges Schienenrad auf Gummi. Das war etwas für uns
Jungen! Hinter dem Vorhange wurde gelinst, ob der Herr im Packwagen mit dem
letzten Zug nach Ramsbach fuhr, oder mit dem Rade.
9.20 Uhr etwas schnaubte der letzte Güterzug ab in Richtung Engers,
dann war’s für uns Zeit in den herrlichen Sommerabend oder auch in die
Herbstnacht zu strampeln, so leicht, so leise, so lau der Abend, zu schön. Aber
Hannes Pitter, der rote Vollbart, hatte kein
Verständnis. Er sah uns kommen, eben als er seine Weichenstellerbude
abgeschlossen hatte und den Heimweg antrat. Schnell den Weichenklotz herum,
dann müssen Inspektors Buben entgleisen; aber wir waren schneller. Er grimmte und am anderen Tage war’s zu Hause unsicher.
Herbstabend im Bahnhof. Diesig schaut die Dämmerung aus den Gleisen und in
Hannes Pitters Bude hinein, derweil der Alte seine
Laternen putzt, wie wir Jungen vom Brückenrand über ihn feststellen, Vier
schwarze Pelzkappen verschwinden zunächst auf dem Runkelstück nebenan und dann greifts emsig in den Klopfsteinhaufen. 1,2,3! Da bricht auf
dem Wellblechdach die Hölle mit Kanonenschlägen los, begleitet vom
Maschinengewehr der Klopfsteine. Gab das ein Geprassel! Mit einem Satz, der
reinste Katerfanspsrung, stand der Verräter vor der
Tür, Nebenschwaden standen in der Waldtraufe. Da waren die beiden
Maschinenputzer, der alte Lind und der alte Hahn ganz unsere Freunde. Wir
kletterten auf den Ungeheuern herum, machten Feuer mit an und auf der kleinen
Rangierlok ging’s mit hinaus, wenn die Luft sauber war.
Eines Tages, Maleur im Maschinenschuppen. Hahn musste abtransportiert
werden in sein Heimatdorf. Eberhahn. Der selige Vater machte sich auf zur
protokollarischen Vernehmung. Das war ein Stück Arbeit, etwas Einleuchtendes
aufs Papier zu bekommen; denn die Wirklichkeit stand im Fastnachtskostüm. Der
alte Hahn meinte: „Ich glaube nicht, dass der Dampf der schon einige Stunden in
Ruhe stehenden Lok mich noch hochheben könnte.“ „Leg doch ein Blech auf den
Kamin und setze dich darauf, ich mach dann den Regulator etwas auf! Du wirst
sehen, dass ich recht habe, du wirst gehoben!“ „Nein! Wir wetten um einen
Schnaps.“ Hähnchen war aufs Dach geflogen und lag nun mit geschundenem Körper
für längere Zeit im Bett! Und das waren zwei alte „Männers“.
Anfang Herbst war’s über Tag
noch schön warm. Herbstzeitlosen steckten schon hie und da ihre Lämpchen aus.
Dem Siershahner „Bach“ nach hatte uns die Lange- und
Kurzweile getrieben. In einem kleinen Tümpel stürzte sich der Kleinwasserfall,
es perlte und brodelte wie Selters, kreiste, drehte und zierte sich ein
Weilchen zwischen den engen Uferlappen, die mit langen Grassträhnen weit
überhingen und zog dann, so ganz bescheiden, knietief weiter nach Wirgen zu. Ruirenbach, unser
Kumpel, stand im kleinen Kolk und griff und griff
unter die Ufer, auf einmal hat der Kerl eine schöne Forelle. Jeder von uns
bekam Futterneid, und jeder wollte sie einmal „halten“, aber der Raubfischer
kannte seine Zunftgenossen und enteilte, freudestrahlend nach Hause. „Wo eine
ist, sind noch mehr“, leuchtete meinen Brüdern ein, die auch Abziehluft
verrieten. Es dauerte nicht lange und eine Rotgesprenkelte, ein Prachttier lag
im Grase – weiter! 6 oder 7 Stück holte ich noch heraus, Dann aber war nichts
mehr zu spüren. Abends kamen Willi, Fritz und Emil von Limburg nach Hause.
Sonntag großer Gang – aber ein Metzgergang – umsonst.
Im Frühjahr stand die Sonne so
blank an den Stationswänden, dass die Fliegen sich sonnten. „August! Du kannst
mir doch einmal mit dem 12 Uhr Zug nach Selters in die Apotheke fahren?“ „Gern,
Frau Seelof!“ Die Medizin steckte in der Tasche, aber
wo jetzt die Stunden bis zum 4 Uhr Zug verbringen? Ich geh zu Fuß zurück, immer
in der Nähe der Bahn, das muß hinkommen. Mehr als 1
Std. ist das auch nicht. „Also los!“ Da floß ein Bach
in eine Unterführung, stellte einen zahmen Wasserfall, zog seicht und breit
weiter in ein herrliches Wiesental. Hohe Buchen
schauten ins Wasser und weit und breit kein Haus, kein Mensch, dazu auf der
Westseite des hohen Dammes unter Wind herrlich warm, zu warm. Wie blühten die
Weidenkätzchen! Und da untern, Fische, Fische! Ganze Schwärme! Das war ja eine
Entdeckung! Die hat uns Jungen gefehlt wie damals im Alten Amerika. Am Walde
entlang ging’s weiter, da liegt ja schon Mogendorf,
alles bekanntes Gelände. Hier geht’s aber hin! Die Botschaft von den neuentdeckten, reichen Fischgründen zog meine Brüder mit.
Was haben wir in dem Vielbach gefischt, wie die
Ottern. Frühling, Sommer, Herbst und
Winter, freie Weid, herrliche Stunden allein, zu zweit und in der Horde. Da
draußen in der freien, schönen Gottesnatur; Wasser, Wiese, Wald und Feld, dazu
die Mutter Sonne und Vater Wind, auch Regen, Nebel und Schnee, nur Menschen
vermissten wir nicht.
Wintertag am Vielbach! Das Wasser steht flach, kalt, dunkel, weiß eingelegt
in Schneeperücken bis in die Augen. Wo sind die grüngefaßten
kleinen Buchten, Landzungen, Vorsprünge, Inseln und Halbinseln, die ragenden,
grünen Leuchttürme und Gras und Schilfmasten? Es fehlt in wallender Welle das
fallende, steigende Blatt, der mitgezogene grüne Grashalm, die abdeckende
Strähne vor dem sicheren Hafen unter des Ufers weitreichendem Gewölbe. Kahl stehen Erle und Eiche, Genistplatten bindet die Zweige der Korbweide. Keine
Libelle sirrt, keine Ammer singt, keine Grasmücke müllert.
Kein Fisch? Wo sind sie geblieben? 10 Augen stechen das Wasser ab, indes die
Füße das Ufer erschüttern. Nichts, da, endlich. „Hier stehen sie alle, hier
unter der Brücke aus Bohlen.“ Gegen
Reiher und Eisvogel gesichert, aber nicht vor zweibeinigen Jungottern. Im Nu
ist Sicht geschaffen, und jetzt werden Fische gegerrt!
Das flutscht! Von Nässe und Kälte keine Spur. Es ist aber auch Zeit; denn da um
den Bergeshang von Nordhafen her tauchen die ersten „Haubenmännchen“ auf. Westerwälder Bauernweibchen aus Mogendorf, die den evangelischen Gottesdienst besuchten und
gegen die Kälte die Röcke hochschlugen. Schnell alle Bohlen weg! Die letzten
Fische auf die Weide gestreift, - ab geht’s in den nahen Wald. Am kalten Ufer
trippeln die Weiblein auf und nieder bis ein Mann das Fußbad verwindet und die
Balken und Bohlen verbindend fügt. Von Eisenbahnschwelle zu Schwelle
gesprungen, das gibt nach ½ Std. warme Füße, wenn auch Schuh und Strumpf von
Schneewasser quatschen und hutschen. Und dann abends ins Bett, da wird geschlafen
und auch noch Bohlen weggeräumt oder durchgesägt.
Sonntags fahren keine
Güterzüge, Personenzüge um 6, 10, 12, 4 7 9 Uhr; im übrigen
ist der Bahnhof fürs 6mm Tesching auf Spatzen und
(leider) Lerchen, Goldammern und Finken frei. Das war eine stille Emsigkeit in
der Küche. Zwei brühten und rupften, einer sengte und nahm aus. Sachverständig
gewürzt das Füllsel. Und dann roch es in der ganzen Station wie
Hochzeitsbraten, ja noch bedeutend besser. Erst recht, wenn uns der Metzger
gratis die Milz überlassen hatte, das gab ein Fest, gefüllte Milz, dazu gab’s
oftmals Krebse; denn jedes Wässerlein beherbergte in
den Uferlöchern die harmlosen Krustentiere.
Ganze Pelzkappen und Hüte voll
wanderten mit nach Hause, in kochendem Wasser färbten sie sich sofort herrlich
„krebsrot“ Wie viele Wasser- und Waldstreifen habe ich allein gemacht. Wie
leicht ein Absturz! Ein Beinbruch im tiefen Forst! Nie hat einer daran gedacht.
Herrlich, so allein im Winterwald oder, wenn das Laub verfärbt und wie Lohe
herb und scharf riecht, wenn der Nebel bis 10 Uhr steht und jeder Strauch und
Baum die Tränen tropfen lässt, wenn die roten Kutten der Eichhörnchen sammeln
und die Drosseln in den Schneisen aufstehen. „Zieh mit, zieh mit“, ruft die
Kohlmeise. „Rätsch, ätsch, ätsch!“ der Waldwärter Eichelhäher! Tauben klatschen
ab! Ein Zaunkönig schimpft! Vor mir dunkler Säulensaal der Tannen. Äolsharmonien wiegen sich im Genadel
der Kronen. Stille, die Geisterkammer dort unten. Nur Goldhähnchen harfen fein. Ein Zwangspaß führt zur Kastenfalle. Da steht
einer! Mir schlägt das Herz im Halse. „Wo geht der Weg
nach Ransbach her?“ „No Rasbich!
So inner här!“ Scheu drückte ich mich mit meinen
Gedanken. Das war auch einer, übrigens der einzige auf meinen Fahrten.
Es brennt! Wir Jungen waren an
dem klar heißen Sommertage gerade in dem kleinen Siershahner
Bach. Eins, zwei! Die Kleider an, Schuhe und Strümpfe halb oder in die Hand und
dann los nach Siershahn, dem schwarzen, riesigen
Dachwurm entgegen, der da zum Himmel stieg. Ruirmbachs
Haus brennt! Da kam auch schon die Dorfspritze an, keine Wasserstelle.
Eimerkette! Das rettende Naß läuft unten wieder
heraus, alles vor Trockenheit undicht, indes das Glöckchen im Gemeindebackhaus
klangt und flennt und klangt und flennt! Wirgeser
Werkswehr! Die von der Glashütte! Das klappt! Eingerissen! Da oben hängt am
Schornstein ganz friedlich ein Hampelmann. Symbol? Die Säu
raus! Das Vieh weg! Bald war’s geschafft. „August! Ruirnbachs
Säue haben sich verlaufen. Nimm noch ein paar Buben mit und sucht den Wald ab!“
Also sprach der liebe Papa Pabst, unser Hauptlehrer, Musik für unsere Ohren!
Und wir Jungen suchten auf unsere Weise, bestiegen dicke Wildkirschbäume,
futterten, saßen in Reihen, futterten weiter und wieder. Hochbetrieb in Manges Weiher, einem ersoffenen Tontagebau. Einer konnte schwimmen, und wir anderen
machten das einfach nach, ruderten wie Jungenten daher. Manges
kommt! Manges
kommt! Halb nackt ging’s ab, Richtung Vielbach. Und
da gab’s Krebse und Forellen! Für Schulsachen hatten wir leider gar keine Zeit,
der Drang nach draußen war zu stark, und draußen war es zu allen Jahres- und
Tageszeiten doch zu schön.
Ein Herbst kam, und mit ihm der
Kommunionunterricht beim „schwarzen Weil“, einem als Schläger weithin in
unseren Herzen gefürchteter Kaplan. Kommunionsunterricht mit Prügeln, in Fulda
erlebt, hier die Fortsetzung, ist ein Verbrechen an heiliger Sache und am
Kinderherz, das büßen muß, was menschliche Schwäche,
vielleicht schon im Elternhaus ist und war. Es fehlte vor Angst eine große
Zahl, darunter auch ich, mir kam eine Fahrt nach Montabaur zum Einkauf von
Lebensmitteln zu Hilfe. Das alles war vor 50 Jahren, obs
heute noch ähnliches gibt? Anklagen will ich niemand, es ist doch alles längst,
längst vorbei und mit den neuen Geschlechtern, zieht zwar keine neue Zeit, aber
Adam und Eva und Kain und Abel, unsere Vorfahren alle, sie ziehen getreulich
mit, sind auch mit mir durchs Leben gezogen, recht, recht breit. – Auffällig
und auch unbemerkt. Scheiben will ich davon gar nichts! Denn durch
Betrachtungen über Schwäche ist noch niemand stark vor seinem Gewissen und
Herrgott geworden. Wie viel tun wir dazu? Wie viel ist Gnade, denn „ohne mich
könnt ihr nichts tun!“ Wohl dem, der tat, was er sollt, wohl dem
Schwachen, der Halt fand und Einkehr und Umkehr.