Die große Brücke

(Aus "650 Jahre Hardt. 1332-1982. Eine Westerwald-Gemeinde im Wandel der Zeit!")

Bereits einige Jahre vor der Jahrhundertwende war die Bahnlinie von Hachenburg über Erbach nach Westerburg erstellt worden. Doch auch für Marienberg, welches um diese Zeit (und noch bis 1932) Sitz der Kreisverwaltung des Oberwesterwaldkreises war, wäre eine Bahnverbindung wünschenswert gewesen. Die reichen Basaltvorkommen im Marienberger Raum verlangten ebenfalls nach günstigen Transportmöglichkeiten. Nachdem schließlich die Verbindung Westerburg - Rennerod im Jahre 1904 fertiggestellt war, wurde eine Querverbindung Erbach - Fehl- Ritzhausen über Marienberg ins Auge gefaßt. Zuerst sollte die Trasse am rechten Nisterufer, dem Südhang der Hähn, entlanggeführt werden, doch die geologischen Gegebenheiten dieses Gebiets entsprachen nicht den Anforderungen. So entschloß man sich dazu, die Trasse am rechten Ufer der Nister entlangzuführen und ca. 500 Meter südwestlich der Hardter Mühle den Bachlauf mit Hilfe einer mächtigen Brückenkonstruktion zu überqueren.

Laut einem Schreiben vom 4. März 1909 vom Landrat des Oberwesterwaldkreises an den Bürgermeister in Hardt war das für Trassenführung und Brückenbau benötigte Land, nach Beschlussfassung der Gemeindevertretung, soweit es der Gemeinde gehörte unentgeltlich, soweit es Privateigentum war zum Schätzwert, zur Verfügung zu stellen. Eine Aufforderung, der die Gemeinde Hardt nachkam, so daß u.a. auch ein Teil des Geländes, welches zum Bau der Brücke erforderlich war, von Seiten der Gemeinde zur Verfügung gestellt wurde. Insgesamt steht die große Eisenbahnbrücke zu einem Drittel auf Hardter und zu etwa zwei Dritteln auf Dreisbacher Flur.

Zusammen mit der Streckeneinweihung erfolgte auch die Einweihung der die Nister überspannenden Eisenbahnbrücke am 31. August 1911. Dieser Einweihung war eine circa sechsmonatige Bauzeit am Brückenkorpus vorangegangen; man hatte sich für eine Betonbauweise ohne Stahlarmierung entschieden. Insgesamt wurden ungefähr 15.000 Kubikmeter Beton benötigt, um die gut 300 Meter lange und fast 40 Meter hohe einst größte Betoneisenbahnbrücke Deutschlands zu bauen. Dieser Beton wurde unter Verwendung von Splitt aus den Basaltbrüchen im Stöffelgebiet hergestellt. Das Bauwerk überspannt mit seinen elf Bogen, ruhend auf zehn Pfeilern und zwei Endauflagern, auch heute noch malerisch das Tal der Nister. Die Kürze der Bauzeit (nur etwa sechs Monate) ließ sich nur mit Hilfe von Gastarbeitern aus Italien, Polen und Kroatien verwirklichen. Scheu sowie Befürchtungen um Geld und Gesundheit brachten die Hardter Bürger diesen Arbeitern entgegen und dies führte sogar dazu, daß der längst überflüssig erschienene Beruf des Nachtwächters wieder eingeführt wurde. Selbst während der Arbeitszeit sollen die Einheimischen ihren Kollegen aus dem Ausland häufig mißtrauisch gegenübergestanden haben; von irgendwelchen bemerkenswerten Zwischenfällen ist jedoch nichts bekannt.

Der Brückenbau verschlang die damals ungeheure Summe von 300.000 Goldmark und hat sich somit (einschließlich der Folgekosten) wohl selbst bis heute nicht gänzlich bezahlt gemacht, da der durch die Errichtung der Bahnstrecke erwartete industrielle Zuwachs im Marienberger Raum fast völlig ausgeblieben ist. Sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg hat das einst als Denkmal deutscher Ingenieurkunst viel bestaunte und in kaum einem Buch über den Westerwald fehlende Bauwerk gut überstanden. Doch 1957 schließlich forderte das rauhe Westerwälder Klima seinen Tribut, neben anderen Ausbesserungen mußte das architektonisch wertvolle Betongeländer einer schlichten Stahlkonstruktion weichen, wodurch die Brücke etwas von ihrer Schönheit im Landschaftsbild einbüßte.

Am 26. August 1971 wurde mangels Auslastung der Personenverkehr auf der Strecke Erbach - Fehl-Ritzhausen von der Schiene auf die Straße verlagert. Die Einstellung des Güterverkehrs zwischen Bad Marienberg und Fehl- Ritzhausen führte zur fast gänzlichen Abtragung der dortigen Gleisanlagen. Eine Stillegung des Güterverkehrs auf der Reststrecke zwischen Bad Marienberg und Erbach scheint ebenfalls absehbar, so daß es nur noch zu Fuß und unerlaubterweise möglich ist, den Blick von der großen Eisenbahnbrücke in das herrliche Tal der Nister zu genießen.

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