Kircheip -EYPE - ein Dorf an der Grenze
Aus dem Jahrbuch 1979 des Kreis Heimatverein Altenkirchen - Westerwald
Nachdruck mit dessen Erlaubnis
Autor: Artur Bitzer
Eype, das heutige Kircheib, wird erstmals 1330 in der Grafschaft Sayn nachgewiesen. Anno 1331 ist es die Grenze des Landfriedens Erzbischof- Baldewins von Trier; ,,in der strazen bi dem dorfe Eype, da die grafschaft von Seyne anegeit . . .,, So ist es nachzulesen in Landesgeschichte des Westerwaldes" von Dr. H. Gensicke.
Was mag sich in den vergangenen Jahrhunderten, etwa im Mittelalter, hier zugetragen haben? Erwähnt seien das 11. Jahrhundert, als große Hungersnöte mit ihren Folgen Europa derart heimsuchten, daß die Menschheit glaubte, das Ende der Welt sei gekommen, und das 14. Jahrhundert, als die Pest, der schwarze Tod, umging. Zwei Jahrhunderte, die Millionen Opfer gefordert haben. Einzelheiten hierüber aus unserer engeren Heimat sind sehr spärlich überliefert.
,Wenn auch um das Jahr 1600 in Kircheib nur eine Kirche und drei Häuser gestanden haben, kann und muß angenommen werden, daß dieses Dorf in den vorausgegangen Jahrhunderten mehr Feuerstellen gehabt hat. Eine Kirche, wenn auch nur eine kleine, hat man stets dahin gebaut, wo eine größere Zahl Menschen zusammen wohnten. Urkundlich ist darüber nichts bekannt. Aus dem 16. Jahrhundert sind der Nachwelt die Namen dreier Männer überliefert worden. In einem Visitationsprotokoll des Kirchspiels Mehren vom 6. November 1589 heißt es: Brabender zu Eype und Gerhard und Theis seindt nicht zur Visitation komen, jeder 2 Albus (Strafe). Die drei Kircheiber hatten, aus welchen Gründen auch immer, die Sayner Kirchenordnung ignoriert, dafür mußten zu nun zahlen. Ein Zeichen dafür, daß die alten Westerwälder von der Obrigkeit nicht gerade mit Samthandschuhen angefaßt worden sind.
Nach Jakob Rausch, Geschichte des Kreises Altenkirchen, zählte Kircheib am Ende des 16. und zu Beginn des 17.Jahrhunderts 3, Reisbitze 6, Neuenhof 2 und Bleckhausen 3 Räuce bzw. Feuerstellen, die damalige Bezeichnung für bewohnte Gebäude. Kircheib ist das am weitesten westlich gelegene Dorf der ehemaligen Bürgermeisterei
Weyerbusch, der jetzigen Verbandsgemeinde Altenkirchen und des gleichnamigen Kreises im Westerwald. Die Grenze zum Siegburgischen und zum Neuwiedischen hin verläuft seit altersher bei der Straßenkreuzung Hennef-Altenkirchen
(B 8) und Eitorf-Asbach-Neuwied. Hierzulande kennt fast jedermann den auf der topographischen Karte 1: 25000, Eitorf mit Vierwinden bezeichneten Schnittpunkt. Der Name hat mit Wind oder Windrichtung nichts zu tun. Er bedeutet vielmehr vier Windungen oder Wendungen, also vier Straßenwendungen. Vierwinden ist auch keine Ortschaft. Dort steht zwar abseits der Straße seit dem Ersten Weltkrieg ein Haus, das zu Griesenbach, Verbandsgemeinde Asbach, gehört.
Diese Straßenkreuzung ist geschichtlich ein historischer Punkt aus der Zeit der deutschen Kleinstaaterei. Nach einer Karte Jordans van der Waye aus dem Jahre 1607 standen am Kreuzungspunkt Vierwinden, der damals noch nicht so geheißen hat, drei Grenzsteine mit den Nummern 1, 2 und 3. Auf der Karte ist dazu vermerkt.. ,,Stein ahn welche drei Herrn Landen Scheiden". Also eine Dreiländerecke. Es waren: ,,Cölnische hochheitt und Ambt Aldewedt (heute Burgruine Altenwied), ,,Hertzogdumb Bergh" und ,,Grafschaft Sein". Die Grenzsteine sind längst verschwunden.
Was im Kataster zu Altenkirchen auf der Flurkarte ,,Hinten auf der Heide" heißt, ist auf einer alten Karte mit ,,Eyppener heyde" benannt. Dort sind noch, wenn auch undeutlich, alte Verteidigungsanlagen (Landwehren) zu erkennen mit Front gegen das Herzogtum Berg (heute Siegkreis) und das ehemals kurkölnische Gebiet (heute Kreis Neuwied). Ein Teil der ,,Seinsche Schantz und Landwehr" zog sich von der Eyppener heyde bis hin zur Kirche, in deren Nähe davon heute keine Spur mehr zu sehen ist.
Und die Kirche selbst? War sie ursprünglich nur als kleine Kapelle gedacht? Hatte sie eine Vorgängerin aus Holz, wie viele ältere Kirchen dieser Gegend? War sie eine Wehrkirche? Nichts Verläßliches darüber ist urkundlich nachgewiesen. Nicht einmal der Namensheilige von ihr ist bekannt. Und überhaupt ihr eigenartiges Äußeres! Vermutungen gehen dahin, daß der Baustil, den die Kapelle aufweist, von ,,Pilgertouristen" (die gab es schon im 4. Jahrhundert nach Christus ), Heiliglandfahrern. und Kreuzrittern aus dem Morgenland, und zwar aus Armenien, nach Europa, vor allem nach, Frankreich, importiert worden sei. Die Art des äußeren Mauerwerks bezeichnet man mit " jalus". Aus dem französischen übertragen bedeutet das ,,Abdachung' Böschung" Das ist für die Eyper Kirche im übertragenen Sinne durchaus zutreffend: unten dicke Mauern, die sich nach oben verjüngen. Andere Meinungen gehen dahin, daß die sich verjüngenden Mauern erst Jahrhunderte später zur Stützung des Mauerwerks angebracht worden seien. Es heißt, daß die Kirche mehrmals umgebaut worden sei.
Dieses Kirchlein hat manche Rätsel aufgegeben. Richtig gelöst wird wohl keins. Auf den ersten Blick glaubt man, eine kleine Burg vor sich zu haben.,, Ein feste Burg ist unser Gott" hat ein Pfarrer einmal von ihr geschrieben. Und ihr Alter? Sie kann eine der ältesten Kirchen in diesem Teil des Westerwaldes sein, wenn sie nicht gar die allerälteste ist. Der aus dem 12. Jahrhundert stammende Taufstein läßt diese Alterstheorie nicht ganz unbegründet erscheinen. Die kleine Kirche ist, man möchte fast sagen: ,,Ein Buch mit sieben Siegeln". Irgend etwas ist an ihr, was andere Gotteshäuser hier nicht aufzuweisen haben. Für viele ausländische Besucher, allen voran den Franzosen, ist sie ein kleiner Wallfahrtsort. Das jedenfalls weiß die Glöcknerin und Küsterin, zu berichten.
Das Eyper Kirchlein ist das höchstgelegene Gotteshaus im Kreise Altenkirchen und die größte der beiden Glocken die älteste im Kreisgebiet. Es gibt fast keine Dokumentation über den Kreis Altenkirchen bzw. den Westerwald, in dem diese Dorfkirche nicht Erwähnung findet. Kommt man von Eitorf das Eiper Tal hoch, denkt man bei ihrem Anblick auch unwillkürlich an das vertonte Gedicht des Schwaben Ludwig Uhland: ,,Droben stehet die Kapelle, schauet tief ins Tal hinab . ."
Fest steht, daß in und um Kircheib und wohl auch bei der Kirche viel Blut vergossen worden ist. Trierer, Kölner, die Bergischen und die Sayner werden ab und zu die Klingen gekreuzt und das Blut ihrer Untertanen nicht gerade geschont haben. Grafen, Herzöge und weiß wer, waren allemal landhungrig, und jeder war bestrebt, sein Ländchen zu vergrößern. Keiner konnte den Hals voll kriegen, wie man ja auch heutzutage noch bei irgendwelchen Anlässen zu sagen pflegt. Der Kaiser war weit weg, residierte in Wien oder sonst wo und hatte hier sowieso wenig ,,zu kamellen" (zu sagen).
Ein blutiger Tag war der 19. Juni 1796. Die Sansculotten unter General Kleber, einem Elsäßer, verloren in einem siebenstündigen Handgemenge durch die Osterreicher unter Feldrnarschall Kray und Erzherzog Karl 2500 Mann, davon an Gefangenen 700 Mannschaften und 11 Offiziere. Die Verluste der Kaiserlichen betrugen insgesamt 400 Soldaten. Nach "Geschichte der Stadt Hachenburg" sind die Gefangenen eine Nacht lang in der Kirche eingesperrt gewesen. Die niedergemetzelten Franzosen sind wohl samt und sonders in der Umgebung von Kircheib unter die Erde gebracht worden. Daß von den Toten, ob Franzosen oder Osterreicher, auch etliche auf dem Friedhof bei der Kirche begraben worden sind, dürfte wahrscheinlich sein.
In den sechziger Jahren ist die Kirche im Innern modernisiert und mit Heizkörpern ausgestattet worden. Bei den Ausschachtungsarbeiten an der Kirche sind eine Anzahl menschlicher Totenschädel gefunden worden. Sie wurden zunächst von den ,,Findern" auf Weidepfähle nahe der Kirche aufgespießt' wenig später dann auf dem neuen Friedhof zur letzten Ruhe beigesetzt.
1757 bis 1773 war ein Mann namens Israel Grün aus Kircheib Richter an der Kirche zu Mehren. Seinem Namen nach zu urteilen, könnte es sich um einen zum Christentum übergetretenen Juden gehandelt haben. Er starb 1783 im Alter von ,,71 Jahre, 6 Monathe und 17 Täge". Ein Johann Friedrich Grün, ebenfalls aus Kircheib, war von 1773 bis 1794 Schultheiß des Kirchspiels Mehren. Zur Zeit der Saynischen Kirchspielsverfassung war der Schultheiß nach dem Pfarrer der oberste Kirchenmann und gleichzeitig eine Art Bürgermeister im Kirchspiel.
Seit 1879 gehört Kircheib zur ev. Kirchengemeinde Asbach.
Nach dem Inventarium der Gemeinde aus dem Jahre 1821 besaß das Dorf 526 Morgen und 114 Ruthen Wald, desgleichen mit Obereip gemeinschaftlich 147 Morgen und 129 Ruthen und gemeinschaftlich mit Neuenhof 196 Morgen und 127 Ruthen. Als Eigentum sind ferner ausgewiesen: 1 Feuerleiter, 2 Feuerhaken und 1 Wachthorn. Der Schöffe (heute Ortsbürgermeister) war ein Mann namens Frank und die beiden Deputierten (Gemeinderäte) hießen Mäuler und Schmidt.
Als in den ehemaligen Saynischen Landen nach 1817 ,,preußische Zucht und Ordnung" Einkehr gehalten hatten, wurde 1830 vom Landratsamt Altenkirchen bemängelt, daß an der Heerstraße in Kircheib (heute B 8) 150 Stück Vogelkirsch- und Pappelbäume fehlten. Sie mußten unverzüglich durch die Gemeinde angepflanzt werden.
Anno 1831 hatte durch Hagelschlag ein Teil des Getreides gelitten. Gute Erfahrungen hatten die Eyper in derartigen Fällen mit der preußischen Obrigkeit anscheinend nicht gemacht, denn ein Teilbericht betreffend Hagelschlag hatte folgenden Wortlaut.. ,,Am 17. Mai dieses Jahres hat der Kisel von diesem angegebenen Korn Cirka ein Drittel Verschädigt, worüber wir keine Bericht wollten ergehen lassen, welche uns mehrmal mehr Schaden als Nutzen zugebracht, daher doch die Königl.-hochlöbl. Regierung bitten, daß sie dabey selbst einsicht brauchen möchte. Kircheib am 28t Juni 1831. -Schöffe Marenbach -.
Nach Mehren war Kircheib im Jahre 1843 das zweitgrößte Dorf in der Bürgermeisterei Weyerbusch. Die Einwohnerzahl betrug 211 Seelen, wovon 62 kath. waren. An Gebäuden waren vorhanden 35 Wohnhäuser, 61 Schuppen, Ställe und Scheunen. An Viehbestand weist die Statistik 3 Pferde, 30 Ochsen, 80 Kühe, 76 Stück Jungvieh' 12 Schafe, 9 Ziegen und 30 Schweine aus. Neuenhof, bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg eine selbständige Gemeinde, zählte zu der Zeit 10 Häuser, 13 Ställe, Schuppen und Scheunen. 10 Ochsen, 20 Kühe, 21 Stück Jungvieh, 5 Schafe, 3 Ziegen und 4 Schweine bildeten den Viehbestand. Von den 58 Einwohnern waren 17 evangelisch.
In Neuenhof wurde am 16. 11. 1618 Graf Friedrich von Wied geboren, der 1653 die Stadt Neuwied gründete.
In früheren Jahrhunderten hat es in Kircheib zwei Jahrmärkte gegeben. Der bedeutendste war der Markt am St. Michaelstag' am 29. September, mundartlich wohl auch ,,Micheismaad" genannt. 1668 wurde verfügt, daß dieser Markt und der am 1. Mai stattfindende jeweils am darauffolgenden Montag zu halten seien. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts sind in Kircheib zwei weitere Märkte veranstaltet worden, und zwar am jeweils ersten Dienstag nach Pfingsten sowie am St. Jakobstag (25. Juli). 1784 bzw. 1785 verfügte die Regierungskanzlei in Altenkirchen die strikte Einhaltung der Termine. Sie schritt damit gegen die vermutlich auf Betreiben der Wirte eingetretenen Mißstände ein, die Jahrmärkte am jeweils darauffolgenden Sonntag zu halten. . Wann der letzte Markt in Kircheib gehalten worden ist, vermag kein Mensch mehr zu sagen.
1858, vor nunmehr rund 120 Jahren, ist auf dem Söller eines Hauses in Kircheib ein totes Knäblein gefunden worden, welches Merkmale eines gewaltsamen Todes zeigte. Eine ledige Dienstmagd hatte, wohl aus Verzweiflung, ihre Leibesfrucht gleich nach der Geburt umgebracht.
Auf der Eyppener Heyde standen zu Ende des vorigen und noch zu Beginn dieses Jahrhunderts uralte Eichen, auf denen unzählige Krähen nisteten, bis zu einem Dutzend und mehr Nester auf einem Baum. Es war, wie auch anderswo, eine sogenannte Krähenkolonle, wie es sie heute nicht mehr gibt.
Als die Bauern um die Jahrhundertwende anfingen, Weizen anzubauen, in der Hoffnung auch zu ernten, machten ihnen die gefräßigen Krähen schwer zu schaffen. Galgenvögel nennt man die schwarzgefiederten Gesellen bis auf den heutigen Tag, weil sie auf Bildern mittelalterlicher Motive oft auf einem Galgen hockend dargestellt werden. Weizenkörner war für sie etwas Neues, ein Leckerbissen. Um der Plage Herr zu werden, wurden Prämien ausgesetzt. Für einen Krähenkopf mit Federn sind zehn, für einen ohne Federn zwei und für ein Krähenel ebenfalls zwei Pfennige gezahlt worden. Das Beweismaterial mußte an dafür bestimmten Sammelstellen abgeliefert werden. Nun blühte der Weizen zunächst einmal für klettergewandte, junge Burschen, meistens im schulpflichtigen Alter.
Im Grenzdorf Kircheib ist schon in vorpreußischer Zeit, also unter den Saynern, Schule gehalten worden. Dazu diente ein angemieteter Raum. Zum Inventar der Schule gehörten 1821, gemeinsam mit Neuenhof, zwei Tische, vier Bänke und ein Stuhl, nebst Büchern und sonstigen Schulutensilien. Der erste Lehrer im 18. Jahrhundert soll ein Mann namens Pfeifer gewesen sein, 1824 hieß der Lehrer Ersfeld. 1861/62 ist in dem zentral gelegenen Reisbitzen ein Schulhaus errichtet worden, das 1891 / 92 durch ein massives Gebäude ersetzt wurde. In dieser Schule haben die Kircheiber Mädchen und Jungen bis zur Neuordnung des Schulwesens im Jahre 1969 das Rüstzeug für ihr späteres Leben erhalten. Der letzte Lehrer war von 1949 bis 1969 Hans Schebesch, ein Siebenbürger Deutscher aus Rumänien. Schebesch hat in mühseliger Kleinarbeit versucht, die durch Kriegseinwirkung im Jahre 1945 in Verlust geratene Schulchronik zu rekonstruieren.
Nach dem Heimatadreßbuch des Kreises Altenkirchen aus dem Jahre 1966 hatte Kircheib mit den Ortsteilen Reisbitze, Neuenhof, Tente, Eckenbach, Bleckhausen und Grünewald einen Flächeninhalt von 654 ha mit 373 Einwohnern. Flächenmäßig stand Kircheib an erster und der Einwohnerzahl nach hinter Weyerbusch, Neitersen und Birnbach an vierter Stelle der ehemaligen Bürgermeisterei Weyerbusch. Die Bevölkerungszahl ist in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen.
Mundartlich nennen die Alteingesessenen ihr Dorf Kirrjaib, wobei zu beachten ist, daß das i" vor den beiden r" wie ein Laut zwischen ,,ö", ,,i" und ,,e" klingt. Das ,,a" vor dem zweiten i" hört sich an wie ein Umlaut zwischen ,,ä" und ,,e". Manchmal glaubt man das letzte ,,i" neigt ein wenig nach ,,j" hinüber.