Benno Solbach

Die Entwicklung Kirchens

 

-dargestellt in der Geschichte seiner Ortsteile-

VII.Teil

 

(aus: Heimatjahrbuch 1986 für den Landkreis Altenkirchen - Hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Kreisheimatvereins)

 

Im VI. Jahrgang der „Westdeutschen Blätter, Düsseldorf vom Juni 1930 heißt es u. a.: „... Kir­chen, die an Fläche zweitgrößte Bürgermeisterei (im Kreis Altenkirchen). Der 195 m hoch liegende Ort Kirchen wird gleichfalls schon um 913 erwähnt. Zur Karolinger Zeit gehörte es zum Haiger-Gau. Nach dem Zerfall der Gauverfassung kam es (Kirchen) unter die Herrschaft der benachbarten Grafen von Freusburg, später gehörte es zur Saynischen Herrschaft. Aber immer wieder wurde es der Kampfplatz streitsüchtiger Fürsten. - Erst als Kirchen im Jahre 1815 nach wechselvollem Schicksal an Preußen kam, begann ein stetiges wirtschaftliches Aufblühen. Reiche Industrie siedelte sich an, so daß man vor dem Kriege scherzhaft davon sprach, daß in Kirchen die meisten Millionäre wohnten... Der von der Talsohle des Siegtals bis auf die umlie­genden Waldhöhen sich herauf erstreckende Ort zeigt ein überaus freundliches und malerisches Bild. Spazierwege leiten unmittelbar über zu herrlichen waldigen Höhenwegen nach allen Seiten ...“

 

In der Tat lag das „alte Kirchen“ auf einem herrlichen Bergrücken, welcher sich vom Siegtal (195 m NN am Bahnhof Kirchen) bis hinauf zum Galgenberg (354 m) oder zum Kahlberg (406 m) erstreckte. Insgesamt zeigt also der Ort einen Höhenunterschied von 159 m bzw. 211 m. Während dieser Bergrücken nach Westen und Südwesten verhältnismäßig steil abfällt, ist die Böschung nach Norden und Nordosten hin sanfter. Daher auch erklärt es sich, daß lediglich zwei kleine Bäche im Oberdorf ihr Quellgebiet haben und das dort gesammelte Wasser zur Sieg hin führen: der Klotzbach und der Girnsbach.

Foto: Robert Kalleicher

Belegschaft der Gärtnerei und Baumschule C. Lohse, Mitte der zwanziger Jahre


Die längste Straße in Kirchen ist der Baumschulweg. Bereits um die Jahrhundertwende war Kirchen an der Sieg in den Kreisen des deutschen Gartenbaues kein unbekannter Ort. Im Jahre 1885 gründete hier der Ende Januar 1929 verstorbene C. Lohse sen. eine Gärtnerei und anschließend daran einige Jahre später eine Baumschule. Aus kleinsten und bescheidensten Anfängen entwickelte sich das Unternehmen zu einer Familien-GmbH mit 2.000 qm Gewächs­häusern und Frühbeeten und 120 preußischen Morgen Baumschulbeständen. Durch ihre Höhenlage und den geeigneten Boden, bestehend aus einer Mischung von Lehm und verwitter­tem Grauwackenschiefer, lieferten die Baumschulen ein Pflanzenmaterial, welches für das Rheinische Schiefergebirge ein ausgezeichnetes Gedeihen bot.

 

Vom Baumschulweg führt die Wiesenstraße hinüber zum „Inken“. Inken (oder Önken) ist eine mundartliche Bezeichnung für eine Winkelecke, z. B. Ecke in der Küche, wo das Holz liegt, oder ein Wiesenwinkel im Wald u. dgl. Hier handelt es sich um einen Häuserwinkel, welcher schon seit den ältesten Zeiten Kirchens besiedelt sein dürfte. Als im Jahre 1983 in der Wiesenstraße am Feuerwehrhaus die Kanalisation verlegt wurde, wurde hier ein Teil der vermutlich ältesten örtlichen Wasserleitung gefunden: ein fast zwei Meter langer Eichenbalken mit zentrierter Bohrung für den Durchlauf kam zum Vorschein. Fachleute schätzen, daß die Eichenbalken der Länge nach durchbohrt oder mit glühenden Eisenstäben ausgebrannt wurden. Obwohl die Zuführung von Wasser durch ausgehöhlte Baumstämme etwas primitiv erscheint, konnte man sich auf die Holzrohre doch verlassen. Durch die Feuchtigkeit quoll das Holz auf und die Leitungen waren dicht.

 

Während auf der einen Seite die Wohnhäuser standen, lagen die Scheunen und Ställe diesen gegenüber und bildeten so am Klotzbach einen schützenden Winkel, „den Inken“. Winkel oder Ecken sind aber in der heutigen Zeit oft zu eng, vor allem für den modernen Verkehr. Deshalb muß auch die Kirchener Feuerwehr aus diesem engen „Inken“ heraus. Ein neues Feuerwehr-Gerätehaus soll errichtet werden mit besserer verkehrstechnischer Anbindung, mit besserer Infrastruktur.

 

Unweit von dem „Inken“ steht die alte „Heringsburg“-Schule. Welch seltsamer Name für einen der sieben Hügel Kirchens: „Heringsburg“! Schon oft ist die Frage nach der Herkunft dieses eigenartiges Namens gestellt worden. Von allen Deutungsversuchen scheint mir die des verstor­benen Kirchener Chronisten H. Schneider am einleuchtendsten. H. Schneider berichtete von einigen Familien, welche als erste dort oben „Im Wirtsgarten“ siedelten und ihr bescheidenes Ei­genheim errichteten. Nach englischem Vorbild - „My home is my castle“ - waren sie sehr stolz auf ihr Haus, ihr Schloß, ihre Burg, welches sie mit großen Mühen und viel Fleiß und Entbehrung errichtet hatten. Da das eigene Ersparte nicht ausreichte zum Hausbau, mußten sie eine Hypothek aufnehmen und diese hoch verzinsen. Daher mußte gespart werden, z. B. was die Nahrung und Kleidung anging. Nicht jede Woche kam Fleisch auf den Tisch oder allenfalls ein­mal am Sonntag. Ein billiges Essen armer Leute waren in dieser „guten, alten“ Zeit Salzheringe als Fleischersatz. So wie in unserer Zeit hier und da die Neubaugebiete am Stadtrand als „Hypothekenhügel“ bezeichnet werden, so gab es eben in Kirchen „die Heringsburg“.

 

Während die ganz alten Schulen Kirchens in der Nähe der Kirche - und später der beiden Kirchen - lagen, baute die Gemeinde im Jahre 1911 die katholische Schule „auf der Herings-burg“. Hier oben bestand die Möglichkeit der Ortsausdehnung, hier oben bauten und wohnten junge Familien mit Kindern, daher war es sinnvoll, die Schule dorthin zu bauen.

 

Eine Zier der „Heringsburg“ ist der „Buschhof“. Diese schmucke Villa wurde kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges bis in den Krieg hinein von Helene Busch erbaut. Frau Busch war die Tochter des Kirchener Arztes Dr. Heinrich Prigge. Mit ihr lebten im „Buschhof“ ihre Gesell­schafterin, Else Meißner, und eine Gärtnerin, Ehrentraud von Stetten. Vom „Buschhof“ bietet sich ein wunderbarer Ausblick auf die Au, den Brühlhof, die Freusburg und den Grindel, ja, bis hinüber nach Wingendorf.

 


Repro: H. Stoessel

Im Vordergrund Kirchens „Inken“, dahinter die ehemalige „Heringsburg“-Schule

Wer nun von der „Heringsburg“ hinübergeht zum „Hartkopf“, überquert - auch wenn er dies heute kaum mehr bemerkt - das Girnsbachtal. Der Girnsbach hat seine Quelle im „Vogelsang“ und floß früher recht unregelmäßig der Sieg zu. Wegen seines starken Gefälles schwemmte er dabei vielen wertvollen Grund fort, bis im Jahre 1855 32 angehende Kulturbautechniker der Siegener Wiesenbauschule zum Abschluß ihrer Prüfungsarbeit im Girnsbachtal umfangreiche Meliorationen durchführten. Diese Arbeiten zu beiden Seiten des Girnsbaches schufen aus Wildwuchs eine moderne Wiesenanlage. Der von Hand geleistete enorme Arbeitsaufwand der Studenten, verbunden mit einer einzigartigen Planung, fand seine Krönung mit dem meisterhaft gelungenen Bau dieser Musteranlage. Der Girnsbach mußte zunächst reguliert und seine Ufer durch Weidengeflecht befestigt werden. Dann wurden die zum Teil mehrere hundert Meter langen Bewässerungsgräben mit dem „Wiesenbeil“ und einer Spezialschaufel in das hängige Gelände gegraben.

 

So mühevoll diese manuelle Tätigkeit „in der Girnsbach“ gewesen, so uneingeschränkt war damals auch die Anerkennung, und so begehrt erschien den hiesigen Landwirten gerade dieser üppige Wiesengrund. Als in den ersten Junitagen des Jahres 1865 Prof. Dünkelberg von der Landwirtschaftlichen Akademie in Bonn-Poppelsdorf mit seinen Studenten eine Exkursion nach Kirchen machte, befand sich in seiner Begleitung ein Journalist der „Landwirtschaftlichen Zeitung für Westfalen und Lippe“. Eben dieser faßte seine Eindrücke später in dieser Zeitung so zusammen: „Die Rieselwiesen zeigen sich freilich dem Wanderer am liebsten im Juni, ehe der Schnitter ihr reiches Vließ in Mahden gelegt hat, indessen bietet eine Besichtigung jetzt im kahlen Herbste den Vorteil, daß man das Gerippe und das Adernetz erkennt, ohne dessen künstlichen Bau der Schmuck des Mai nicht sein würde. Man kann jetzt sozusagen „die Anatomie des Wiesenbaues studieren. . .“

 

Lange Jahrzehnte hindurch diente der üppige Graswuchs im Girnsbachtal den Kleinbauern und Ziegenzüchtern im Kirchener Oberdorf als unentbehrliche Futtergrundlage, und zwar noch bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Girnsbachtal ist ein typisches Beispiel dafür, wie aus einer Naturlandschaft eine Kulturlandschaft wird. Wenn heute die damaligen Wiesenbau­schüler, deren Einsatz sicherlich auch Geld gekostet hat, den derzeitigen Zustand ihrer geleisteten Meisterarbeit noch einmal sehen könnten, würden sie nicht wenig erstaunt sein. So hatte die Gemeinde doch „in der unteren Girnsbach“ eine seit Jahren völlig überlastete Kläranlage errichtet, und Spaziergänger wußten um die große Geruchsbelästigung in diesem Tal zu berichten. Hier ist im Jahre 1982 ein Regenüberlaufbecken mit einer vorgeschalteten Beruhi­gungsstrecke der Abwasserbeseitigung entstanden.

 

Weit reicht der Blick vom „Hartkopf“. Hier oben ist der Boden in der Tat hart und die Ackerkrume nicht allzu dick. Kein Wunder, daß die Gemeinde dort, wo der Wind recht scharf weht, einen Kommunalfriedhof anlegte. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war man darüber einig, daß der im Jahre 1809 eröffnete und mitten im Dorf gelegene Kirchspielsfriedhof in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichen würde. Rechtzeitige Verhandlungen der behördlichen und kirchlichen Stellen ergaben die Bereitschaft einiger Grundbesitzer zur Hergabe ihrer Grundstücke „Auf dem Hartkopf“. Der Plan, nunmehr ein großräumiges Gelände für eine neue Begräbnisstätte herzurichten, konnte im vollen Umfang verwirklicht werden. Am 6. 4. 1918 wurde der Hartkopf-Friedhof evangelischerseits durch Superintendent Trommershausen einge­segnet. An eben diesem Tage bettete man Frau Elise Dreißig aus der Siegstraße (Schwelbel) dort zur letzten Ruhe. Erst nahezu 40 Jahre später, nämlich im Jahre 1954, anläßlich der Bestattung von Herrn Josef Husch, weihte Pfarrer Dr. Blasen von der katholischen Gemeinde den Gottesacker. Inzwischen ist der Hartkopf-Friedhof erweitert und eine pietätvolle Leichenhalle errichtet worden. Immer aber umgeben noch die „Kirchener Baumschulen“ diesen Friedhof; und jedes Jahr am Volkstrauertag versammeln sich die Kirchener Orstvereine „auf dem Hart­kopf“, um der Opfer von Krieg und Gewalt zu gedenken. Dies ist wohl der rechte Ort des Gedenkens, der Friedhof; denn wir hegen dort Gedanken des Friedens und nicht des Unheils.

 

Unmittelbar unterhalb des Friedhofs beginnt die Straße „Am Schwedengraben“ und führt hinüber „zur Schwedenschanze“. Beide Bezeichnungen erinnern an die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Die Freusburg, welche sich damals in kurtrierischem Besitze befand, sollte von den Schweden erobert werden. Gegenüber der Freusburg umfließt die Sieg eine schmale Landzunge, den „Queckhahn“, und daher legten die Truppen des Schwedenkönigs Gustav Adolf zwischen „Hartkopf“ und „Queckhahn“ eine Schanze an, um von hier aus die Freusburg zu belagern und sturmreif zu machen. Noch Vorjahren waren die Wälle und Erdbefestigungen der „Schweden­schanze“ sowie die Laufgräben und Grabhügel zu erkennen, von denen der Chronist berichtet: „. . . 22 Soldhaten dahier todts verblieben und elendig umkomen durch unversehens nächt­lichen Ausfall von der Veste . . .“

 

Auch wird berichtet, daß im Jahre 1965 ein Bewohner der Freusburgermühle in unmittelbarer Nähe der „Schwedenschanze“ eine gegossene zweipfündige Kanonenkugel gefunden hat. Diese Kugel ist zweifellos aus den Festungsgeschützen geschossen worden, von denen eines noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts aus der alten Freusburger Bastion unter den Weiden stand. Die Schweden dagegen hatten von Frankfurt her kommend ihre besten Waffen mit, sie schossen schon mit „Zwölfpfündern“.

 

Viel leichter und weicher war jene Kugel, mit welcher die „Rölpeser“ in unserem Jahrhundert „auf dem Hartkopf“ schossen. Nach der Jahrhundertwende fand auch in Kirchen der Fußball seinen Eingang. Anfänglich in loser Vereinigung spielend, mußten sich die Jungen recht ärm­lich durchschlagen. Ihre Fußballschuhe fischten sie aus der Sieg, und der Ball wurde zur Füllung, zum Aufblasen, von Mund zu Mund gereicht. Immer wieder aber jagten die Bauern auf dem Brühlhof, auf der Kircherhütte, oder „auf den großen Feldern“ die „Rölpeser“ von den abgemähten Wiesen. Dann aber gelang es schließlich doch, die „Borussia“ ins Vereinsregister eintragen zu lassen. Sie erwarb „auf dem Hartkopf“ ein Gelände und konnte im Jahre 1907 den soeben aus der Taufe gehobenen Siegener Ballspielklub zu einem Spiel auf dem in luftiger Höhe gelegenen neuen Fußballplatz einladen. Nun war der Bann gebrochen, und immer mehr aktive wie fördernde Mitglieder traten dem Verein bei. Niemand aber konnte damals ahnen, daß endlich im Jahre 1975 auf dem früheren „Borussia“-Gelände ein vorbildliches Spielfeld ein­geweiht werden konnte. Die Faustballabteilung des VfL Kirchen hat den Fußballplatz inzwischen um einen Faustballplatz erweitert.

 


Foto: Vinzenz Krös

Das „Katzenbacher Eichelchen“ vor dem 2. Weltkrieg

Unweit des „Hartkopfes“ steht bis in unsere Tage das „Katzenbacher Eichelchen“. Dieser Baum spielte bereits eine wichtige Rolle, als die Gemarkungsgrenzen der einzelnen Gemeinden weder durch Vermessung noch durch das Setzen von Grenzsteinen festgelegt waren. Damals konnte der Besitzstand eines Dorfes nur in der Weise gesichert werden, daß die Grenzen von Zeit zu Zeit begangen und dabei von immer neuen Zeugen besichtigt wurden, die im Streitfall eidlich auszusagen hatten. Schon in spätgermanischer Zeit waren die sich gewöhnlich in sieben Jahren wiederholenden Grenzbegehungen üblich. Es schloß sich daran häufig ein dreitägiges Volksfest an, das oft Auswüchse übelster Art zeitigte und weder die Billigung der Dorfältesten noch die der Landesherrschaft fand.

 

Darüber wird u. a. berichtet: „... Es haben sich bei der diesjährigen Grentzbegehung den 12. Oct. 1804 der Gemeindeältesten des Kirchdorfes Kirchen, Herkersdorf, Offhausen und Catzenbach wiederum einige Streitigkeiten und Schlagereien böser Art abgespielt. Die zu Offhausen wollten auch diesmal die nach oben hin fortsetzende Linie des ald Grentzbaum von den Alten gesetzten sog. „Eichelchen“ als nichtig ansehen, haben gar den Hauberg hinauf gewollet und dorten ihr Eigenthum reclamiert. Es ist darob in der nachfolgenden Feierlichkeit in Catzenbach - wo man von jungen Offhauser Burschen hart bedränget - zu den Vorfällen kommen, die hiermit der Cantzley pflichtgemäß gemeldet werden. Die Gendarmerie zu Kirchen hat fünf junge  Burschen aus  beyden Dörfern gefänglich eingezogen, zwey sind der Arretierung entgangen. Es wurden einige eingreifende alte Männer blutig geschlagen. Joh. Heinr. Lixfeld, stellf. Schultheiß dahier, 14. Oct. d. Js. 1804 . . .“ Der Kassationshof zu Ehrenbreitstein setzte daraufhin die Grenze neu fest und bestimmte, „. . . das Catzenbacher Eichelchen ist als Grentzbaum nach dem Westen wie nach dem Offhausener Berge hin unbedingt zu respectieren . . .“

 

Damals stand das Katzenbacher Eichelchen mit seinem Kreuz noch einsam am Wege, heute liegt es an einer vielbefahrenen Straßenecke von zahlreichen Häusern umgeben. Es war in den 30er Jahren, daß in Kirchen mit der Besiedlung des Oberdorfes begonnen wurde. Da war es zunächst die „Höfergartensiedlung“, welche - gefördert durch die Rheinische Wohnungsfür­sorge - im Jahre 1930 begonnen wurde. Zum Bau wurden etwa 300 m3 Steine aus dem Stein­bruch Quast gewonnen. Die Gemeinde gab Grundstücke von über 300 Ruten zum Kaufpreis von 16 Mark pro Rute ab. Das restliche Gelände konnte billig aus Privateigentum erworben werden. Der Name „Höfergarten“ reicht in die Zeit eines uralten Bauerngeschlechtes Höfer hinein, das bis zum Jahre 1797 hier ansässig war und dessen Ländereien durch Tod und Erbaus­einandersetzung zerstückelt wurden. Die „Höfergarten Siedlung“ hat ihr damaliges Gefüge schon längst gesprengt. Beiderseits der Höfergartenstraße stehen heute aus- und umgebaute Häuser mit Gärten und Garagen.

 

Im Jahre 1935 baute dann die Lokomotivfabrik A. Jung, Jungenthal, welche 1985 ihr 100jähriges Bestehen hätte feiern können, eine Werkssiedlung in der Katzenbacher Straße. Durch den 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit wird die Bautätigkeit dann unterbrochen, bis im Mai des Jahres 1955 der Gemeinderat den Start für eine große Siedlung der „Landsiedlung GmbH, Koblenz“ am „Eichelchen“ freigibt. In den folgenden Jahren entsteht ein völlig neuer Ortsteil -Neu-Kirchen - auf den Kirchener Feldern. In der Katzenbacher Straße, im Baumschulweg und der Girnsbachstraße wachsen die Häuser nur so aus dem Boden heraus. In den 60er Jahren folgt der Bauboom in der Schützen-, der Martin-Luther- und der Albert-Schweitzer-Straße.

 

Kaum 100 Jahre zuvor wäre dies völlig undenkbar gewesen; denn am 30. Oktober des Jahres 1864 wurde den Landwirten in Kirchen eine uralte Gerechtsame erneut bestätigt. Hieß es doch damals, „... daß diese (die Bauern) auf der sogenannten Önner oberhalb des Kirchdorfes Wald, Weide und Hude ohne jegliche Kosten benutzen dürfen, daß an solchem Ort weder eine Bebauung noch weitere Rodung zu erfolgen habe“. - „Önner“ kommt von dem ebenfalls mund­artlichen „Onnern“, welches den Nachmittag bezeichnet, etwa die Zeit von 15 Uhr ab. „Önner“ bedeutet also die Viehschläge, den Nachmittagsruheplatz und die Nachmittagsruhe der Kühe. Die Bezeichnung stammt also aus jener Zeit, da der Kuhhirte noch morgens durchs Dorf zog und sein Horn erschallen ließ. Waren die Tiere gegen Mittag satt geweidet, dann boten „die Önner“ mit ihrem Niederwald, den schattenspendenden einzelnen hohen Bäumen, mit den Wiesen und dem Teich darin (Quelle des Klotzbaches) ein ideales Ruhegelände zum „Nererröcken“ (Wiederkauen).

 

Heute befindet sich dort oben „unter dem Höferwald“ ein Kinderspielplatz mit Schaukel, Wippe und Kletterbaum, und vom Frühling bis in den Herbst hinein plätschert still der Brunnen. Außer den spielenden Kindern kommen häufig ältere Menschen des Weges, welche noch das Geheimnis kennen, daß der Born auch während wochenlanger Trockenzeit nicht versiegt. Er ist eben an einen alten Stollen angeschlossen, der zwar als Lieferant für die gemeind­liche Wasserversorgung ausgedient hat, aber immer noch genügend Wasser für den Holzbrun­nen liefern kann. Nicht weit entfernt befindet sich der Schießstand des Schützenvereins „Tell“ Kirchen-Wehbach. Die heutige Schießsportanlage, welche Mitte der 50er Jahre erbaut worden war, ist in den vergangenen Jahren großzügig erweitert und durch beachtliche Eigenleistungen des Vereins gemütlich ausgestattet worden.

Über dem „Höferwald“ aber thront das „Panorama-Hotel Druidenschlößchen“. Auf der „Sohle“ zwischen Kirchen und Herkersdorf, zwischen „Pracht“ und „Ottoturm“ hat der gebürtige Kirchener und Wanderer Otto Kasch das „Druidenschlößchen“ ursprünglich als Schutzhütte und Erfrischungshalle am Wanderweg Siegen-Betzdorf errichtet. Von hier oben konnte der Heimatfreund gleichzeitig den Druidenstein und die Freusburg erblicken. Hier oben hat Otto Kasch viele Jahre seine Gäste bewirtet und viele Jahre mehr seine Verse geschmiedet und in Hochdeutsch wie in moselfränkischer Mundart eine breite Leser- und Zuhörerschaft erfreut. Als Beispiel für viele soll hier aus O. Kaschs „Lugge looh“ sein Gedicht „Sieglandperle“ zitiert werden:

Sieglandperle

Noch einen Sommer will ich dort erleben, wohin die Sehnsucht treibt mich mit Gewalt, und wieder soll er große Freude geben, wie einst bei meinem Aufenthalt. Wohlgemut will ich dann wandern zu deinen waldbedeckten Höh'n, und singen will ich wie die vielen andern:

 

„O, Sieglandperle Kirchen, du bist schön?“

Noch einmal, Freusburg, werd ich dich dann schauen,
noch einmal dich besteigen, „Weißer Stein“,
den Windhahn such ich auf im Morgengrauen,

und lade dann mich dort zur Frührast ein. Halt endlich Einkehr ich, nach langem Wandern, zu Spiel und Tanz auf deinen Höh'n, dann sing ich wie die vielen andern: „O, Sieglandperle, Kirchen, du bist schön!“

Wenn dann zurückgekehrt ich bin zu meinen Lieben,

und neu gestärkt zu frischer froher Tat,

dann ist als höchster Lohn mir der geblieben,

daß ich jetzt eine zweite Heimat hab',

denn immer werd ich dorthin wandern,

wo frohe Menschen wohnen auf den Höh'n,

und singen werd ich mit den vielen andern:

„O, Sieglandperle, Kirchen, du bist schön!“

 

Wenn Kirchen und seine Ortschaften vom Panorama-Hotel aus herrlich zu überblicken waren, so gibt es darüberhinaus noch die Möglichkeit, sich einen weiteren Überblick zu verschaffen. Oberhalb des „Druidenschlößchens“ auf dem 405,9 Meter hohen Kahlenberg steht seit dem Jahre 1911 der Otto-Turm. Dieser 18 Meter hohe Aussichtsturm wurde damals von Kommerzienrat Otto Stein, einem Menschen- und Heimatfreund aus einer alteingesessenen Kirchener Familie, dort aufgestellt. Ursprünglich sollte der stählerne Riese an einem anderen Platz aufge­richtet werden, so berichtet Otto Kasch, nämlich auf dem einen Kilometer entfernten „Weißen Stein“. Doch genau dort oben auf dem „Kahlen Kopf brach der Wagen unter der tonnen­schweren Last zusammen, und daher wurde der Turm kurzerhand an derselben Stelle errichtet. Bei klarem Wetter kann man hinüberschauen bis zu den Sieben Bergen am Rhein; und im Juni 1979 führten die Funkamateure des Ortsverbandes Sieg-Hellertal einen internationalen „Field-Day“ auf dem Ottoturm durch, bei welchem Funkwellen hinüberreichten bis nach Minnesota (USA). Ein „kleiner Bruder“ des Ottoturms ist zu bewundern im Haus des Kriegsblinden Peter Molzberger in Aisdorf. In zwölfmonatiger Kleinarbeit hat Herr Molzberger den Turm im Kleinformat maßstabsgetreu nachgebaut.

 

Nachdem „Auf der Narr“ in unmittelbarer Nähe des Ottoturms in den letzten Jahren 65 neue Bauplätze besiedelt werden konnten, wird nunmehr am nordwestlichen Hang des Kahlen­berges fleißig gebaut.

Während das Martinsfeuer in früheren Jahren auf dem „Kirmesfeld“ entfacht wurde, lodert es in den letzten Jahren „auf dem Rißfeld“. Noch ist dies möglich, weil nach der Erschließung nicht

 


Foto: H. Stoessel (1982)

Der Ottoturm auf dem Kahlenberg. Von hier oben haben selbst jene einen weiten Überblick,

die ihn sonst oft vermissen lassen

alle 87 Wohnhäuser bereits errichtet sind. Von den insgesamt neun Hektar Feld- und Haubergs­land oberhalb der Katzenbacher Straße ist aber inzwischen der größte Teil bebaut worden.

 

Hier oben, am Ortsrand von Kirchen, zwischen Kirchen und Katzenbach, hat sich vor 20 Jahren (1964) die Firma Walter Hebel etabliert. Walter Hebel, welcher im Juni 1982 verstarb, hat im Jahre 1932 in Kirchen die Walter Hebel KG gegründet. Sein unermüdliches Schaffen brachte als wichtigste Produkte Zeichenplatten, Zeichenanlagen, Schreib- und Zeichentabuletten und zahlreiche verwandte Produkte auf den einschlägigen Markt. So wie einst die Lokomotiven aus Jungenthal, so haben später Hebels Zeichenbedarfsprodukte den Namen Kirchens in alle Welt getragen. Heute führt der Sohn Ulrich Hebel in Zusammenarbeit mit der Firma Rotring-Werke KG den Betrieb weiter.

 

Wenn in sieben Folgen versucht wurde, die Entwicklung Kirchens darzustellen in der Geschichte seiner Ortsteile, so ist dies unvollkommen und bruchstückhaft geschehen. Vieles bleibt noch zu sagen und zu ergänzen. Wenn es gelungen ist, die eine oder andere Begebenheit der Vergessenheit zu entreißen, sie zu erhellen und zu klären, dann ist viel erreicht. Alle aber, welche Kirchen, der „Perle an der Sieg“, in Liebe und Treue verbunden sind, bleiben aufgerufen, mitzuhelfen, daß Kirchen bleibt ...

 

Eine Perle licht und helle, nicht gewaltig, nicht gigantisch, doch idyllisch, doch romantisch, und voll Armut und voll Reiz!

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