Bad Marienberg

Karl Kessler

Im Wandel der Zeit: Bad Marienberg und der Hohe Westerwald

Meeresboden, Vulkane und "verschüttet oder unterirdisch Holz"

Inmitten des geographischen Westerwaldes, der von den Flüssen Rhein, Sieg und Lahn umrahmt ist, liegt Bad Marienberg im Hohen Westerwald. Der Grundgebirgssockel aus Schiefer entstand vor mehr als 350 Mio. Jahren aus den Ablagerungen eines devonzeitlichen Meeres, die bis in eine Tiefe von ca. 5000 Meter reichen. Durch den Vulkanismus im Tertiär, vor etwa 25 Mio. Jahren bildeten sich bis zu 100 m starke, mehr oder weniger zusammenhängende Basaltdecken, die nur hier und da, so zur Marienberger Höhe hin, durch eine Devonquarzit- Oberfläche unterbrochen sind. Im Miozän bildeten sich in Einsenkungen aus versunkenen subtropischen Wäldern Braunkohlen (verschüttet oder unterirdisch Holz) In den Hanglagen der Wälder um Bad Marienberg fallen mächtige Basaltblockfelder auf. Es sind Rutschmassen, die während den Eiszeiten von den Basaltdecken abgeglitten sind und hier am Plateaurand das Devonfundament überlappen. Mit 657 m ü. NN ist die Fuchskaute die höchste Erhebung des Westerwaldes. Auf der Marienberger Höhe werden 567,5 m erreicht.

Frühe Spuren

Ein Steinbeil der jungsteinzeitlichen Bandkeramiker und einige Feuersteinwerkzeuge belegen die erste Anwesenheit von Menschen schon vor 7000 Jahren, die langsam begannen die Kulturlandschaft zu prägen. Weitere Bodenfunde der Eisenzeit (600 – um Chr. Geb.) bezeugen eine wenigstens zeitweise Besiedlung des Bad Marienberger Raumes in jener Epoche. Eindeutige Funde aus dem ersten Jahrtausend n. Chr. fehlen noch. Urkundliche Überlieferungen bis zum 12. Jahrhundert sind ebenso wie die Erkenntnisse der Mittelalter-Archäologie und der geographischen Forschung dürftig. Allein wenige Orts-, Gau-, Gewässer-, Berg- und Flurnamen reichen in die fränkische Zeit oder gar in die Vor- und Frühgeschichte zurück. Der Landausbau des Hohen Westerwaldes geht auf eine alte Siedlungskammer, den Oberlahngau mit dessen Untergau, dem Haigergau zurück, die uns schon 778 begegnen.

Wald im Westen

In einer sonst in lateinischem Text verfassten Urkunde aus dem Jahr 1048 mit der Grenzbeschreibung des Haigerer Kirchensprengels, begegnet uns erstmals der Westerwald in unveränderter Schreibweise bis heute, dessen Bezeichnung also damals schon längst ein feststehender Begriff war. Am Grenzverlauf werden u. a. der Große Wolfstein (Drutgerestein), der Wäschbach (Abelebach) zwischen Kirburg und Bad Marienberg, die Große Nister (magnam Nistram) und die Herborner Mark (Herboremarca) erwähnt. Der Westerwald war ein Königswald, ein Forst, westlich vom fränkischen Königshof Herborn gelegen. Dieser ursprüngliche alte Westerwald umfasste nur das Gebiet der drei Kirchspiele Marienberg, Emmerichenhain und Neukirch, die Herrschaft zum Westerwald. Seit dem späten Mittelalter hat sich der Name Westerwald für die Mittelgebirgsregion bis in die schon beschriebenen Flusstäler eingebürgert.

Leben im Mittelalter

Durch die Ausbau- und Rodezeit zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert und der damit verbundenen dichteren Besiedlung als Folge einer expandierenden Bevölkerung erwuchs daraus die Notwendigkeit einer Steigerung der Getreideproduktion. Damit wurde die alte Weidewirtschaft mit den Produkten Fleisch, Milch, Butter und Käse bald zum großen Teil vom Getreideanbau abgelöst, dem bis um 1350 eine überlebensnotwendige Bedeutung zukam. Als Getreide wurde Hafer angebaut. Anspruchsloser Haferbrei wurde zum Hauptnahrungsmittel der alten Wäller. Getränke waren Wasser, Molken und Milch. Gebrauchsgeschirr waren Kugeltöpfe, Wellenfußkrüge und Becher aus Ton sowie Eimer und Schüsseln aus Holz. Aus Schafwolle stellte man Tuch her. Flachs wurde gezogen und diente in erster Linie der Leinenweberei. Aus gegerbten Tierhäuten, Wollentuch und Leinen wurde die Kleidung angefertigt. Lederstücke wurden oberhalb des Knöchels zu Schuhen zusammengebunden. Gruben- und Pfostenhäuser wurden ab dem 13. Jahrhundert von Fachwerkhäusern in Ständerbauweise, die gestützt auf Schwellbalken, Steinsockeln und später auch auf Kellermauern auflagen. Die starke Rauchentwicklung im einzigen großen Herdraum führte im 11. Jahrhundert zu einer markanten Redensart. Danach waren die drei schlimmsten Dinge im Haus ein undichtes Dach, ein böses Weib und Hausrauch (sunt tria dampua domus, imber, mala femina, fumus). Die Gewinnung von Kulturland, die Waldweidewirtschaft und die Ausbreitung der Eisenverhüttung führten mit ihren Auswirkungen zu gravierenden Veränderungen im Waldbild bis hin zur fast vollständigen Entwaldung besonders des Hohen Westerwaldes. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts kam es infolge von Missernten, Hungersnöten, Pestschüben und Viehseuchen zur Dezimierung der Bevölkerung. Damit wurde die Wüstungsperiode eingeleitet, die erst in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts zu Ende ging. Von etwa 80 Siedlungen um 1350 blieben 38 Dörfer übrig.

Von mons sanctae Mariae zu Marienberg

Am 6. Januar 1258 wurde Marienberg als mons sanctae Mariae urkundlich zum ersten Mal erwähnt. Der damals zufällig genannte Ort war sicher weitaus älter. Man nimmt an, dass im frühen Mittelalter auf dem strategisch günstigen Bergsporn ein befestigter fränkischer Hof, eine sog. Curtis, gestanden hat. Wie aus dem Ortsnamen erschlossen werden kann, war das auf den Berg gebaute Gotteshaus der hl. Maria gewidmet. Die Errichtung einer Marienkapelle, als Filiale der Herborner Mutterkirche, vielleicht an einer vorchristlichen Kultstätte, erfolgte wohl um 1100. Dadurch war der Anstoß zur Siedlung auf der Höhe gegeben. Noch in mittelalterlicher Zeit entstand bedingt durch das Bevölkerungswachstum anstelle der Kapelle eine größere Kirche. Die Loslösung von der Mutterkirche erfolgte schon vor 1231. Als Mittelpunkt eines ursprünglich aus 22 Dörfern bestehenden Kirchspiels war der Ort zugleich Sitz eines Kirchspielgerichts. Als erster Geistlicher wurde 1283 ein C. plebanus montis sanctae Mariae überliefert. An der Kirche bestand vor der Reformation eine geistliche Bruderschaft. Die ev. Lehre gelangte 1561 zum Durchbruch. 1813 brannte die alte Kirche durch einen Blitzstrahl entzündet ab. Von ihr ist nur noch der spätromanische Taufstein erhalten, der in der 1819-1822 in spätklassizistischem Baustil neuerrichteten Kirche heute wieder seinem alten Zweck dient. Eine kath. Kapelle wurde 1932 erbaut. Sie wurde 1986 mit der modernen und größeren Kirche Maria Himmelfahrt verbunden. Marienberg bestand bis Ende des 17. Jahrhunderts aus Obermarienberg mit wenigen Höfen ringförmig um die Kirche gelegen, und Niedermarienberg im Tal, das erstmals 1487 erwähnt wurde. Vor 1800 kam es zu einer Verbindung beider Siedlungen. Den eigentlichen Wachstumsanstoß erhielt der Ort 1782 durch die Einrichtung eines nassauischen Amtes. Marienberg hatte, wie alle Dörfer auf dem Westerwald, lange eine niedrige Einwohnerzahl. Es zählte 1514: 11, 1565: 12 Hausgesessene, 1635: 10, danach lag das Dorf Marienberg durch die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges mehrere Jahre lang verwaist. 1645 gab es 4 Haushalte, 1665: 51 Einwohner, 1741: 155 und 1905 waren es 969 Einwohner.

Landesherren, Rechte und Ämter

In der Herrschaft zum Westerwald, einer Reichvogtei, besaßen die Herren von Runkel und Westerburg ausgedehnte grundherrliche Rechte. Ab 1255 erlangten verschiedene Linien des ottonischen Hauses der Grafen von Nassau die Landesherrschaft bis 18o6. Von 18o6 bis 1815 gehörte Marienberg nacheinander zum Herzogtum Berg und zu Nassau-Oranien, seit 1815 bis 1866 zum Herzogtum Nassau, danach zu Preußen und ab 1946 zum Land Rheinland-Pfalz. Verwaltet wurde Marienberg vom Amt Beilstein aus, bis es 1782 selbst Amtssitz wurde und bis 1885 blieb. Von 1867 bis 1932 war hier der Oberwesterwaldkreis ansässig, der sich mit dem Kreis Westerburg vereinigte und nach dort verlegt wurde. Seit 1974 gehört Bad Marienberg zum Westerwaldkreis, dessen Verwaltung sich in Montabaur befindet.

Amtshaus, Landratsvilla, Europa-Haus und Westerwälder Humor

1784 begann man mit dem Bau des Amtshauses in der Wilhelmstraße, das 1786 bezogen werden konnte. Im Erdgeschoss waren außer der Wohnung für den Amtmann eine Amtsstube und eine "Ansprachstube" eingerichtet. Im Obergeschoss befanden sich Verwaltungsräume, "Fourageraum", drei Fremdenzimmer, eine Kammer für die Magd und ein "Abtritt". Pferde-, Kuh- und Schweineställe waren angebaut. Im Hof gab es noch einen weiteren "Abtritt". Nach 1867 waren im Amtsgebäude die Wohnung des Landrats, die Amtsräume des Landratsamtes, die Geschäftsräume des Amtes Marienberg und das Amtsgericht untergebracht. Außer dem Landrat arbeiteten dort noch zwei Kreissekretäre, Hilfsarbeiter und einen Kreisboten. Später kamen je ein Kreiskommunal- und Sparkassenrendant sowie ein Amtsbote hinzu (wie sich doch die Zeiten geändert haben) An der Stelle des baufällig gewordenen, ortsbildprägenden historischen Gebäudes, ist, wie Phönix aus der Asche, das stattliche Gästehaus des Europa-Hauses entstanden. 19o9 wurde eine neue Dienstwohnung, die "Landratsvilla" in der Büchtingstraße errichtet. Die Baukosten beliefen sich auf 65.000 RM einschließlich der Gartenanlage und der Bauleitung. Den Entwurf dazu besorgte Professor Karl Cäsar aus Berlin-Charlottenburg. Vor 50 Jahren wurde das architektonisch eindrucksvolle, dem landschaftlichen Charakter angepasste Gebäude zum Domizil für das Europa-Haus, dem Mutterhaus aller Europa-Häuser. Nach erfolgtem Anbau und einer gründlichen Modernisierung in jüngster Zeit, hat es den der Namen "Villa Europa" erhalten. Urwüchsiger Humor ist den Westerwäldern eigen. Landräte kommen dabei nicht zu kurz. So war Robert Büchting, der Landrat des Oberwesterwaldkreises, ein wahrer Volkslandrat, der umständlichen Akten- und Bürokram nicht leiden konnte. Viele Angelegenheiten der Gemeinden wurden sofort an Ort und Stelle erledigt. Man wusste um seine kräftige Handschrift und seine noch derbere Unterschrift. Der Bürgermeister Rübsamen von Bach bat ihn der Einfachheit halber einige Schriftstücke gleich bei ihm zu unterschreiben. Büchting war sofort dazu bereit und forderte eine Feder. "Ei, ei, Herr Landrot", sagte der Bürgermeister, "schreiwe Sie dann aach mör’rer Feder? Eich doscht ömmer, Sie schriewe möt’ em Hölzche."

Von Marienberg zu Bad Marienberg in der Gegenwart

Während seit dem Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts allein die Landwirtschaft, besonders die Viehzucht, die wesentliche Erwerbsquelle der Bevölkerung war, kamen bis um 183o 39 Gewerbetreibende hinzu. Bald belebten Kram- und Viehmärkte das Geschehen. Der Bergbau auf Braunkohle spielte eine untergeordnete Rolle. Die Koalitionskriege, Bevölkerungsexplosion und Realerbteilung führten im 19. Jahrhundert zur Verarmung. Nicht wenige Familien wanderten nach Amerika aus, andere waren als Pendler und Landgänger unterwegs. Erst nach der Verkehrserschließung durch die Eisenbahn führten Bemühungen um die touristische Erschließung des Hohen Westerwaldes um Marienberg zu ersten Früchten. Basaltsteinbrüche wurden eröffnet und boten zusammen mit dem Eisenerz- und Braunkohlenbergbau Arbeitsmöglichkeiten in der näheren Umgebung an. 1936 wurde Marienberg als Höhenluftkurort staatlich anerkannt und erhielt Stadtrechte. Bestrebungen um die Anerkennung als Badeort hatten Erfolg. 1961 erhielt die Stadt das Prädikat "Kneipp-Kurort". Seit 1967 darf sich Marienberg "Kneipp-Heilbad" nennen und alle Anstrengungen führten im gleichen Jahr zur krönenden Namensänderung in "Bad Marienberg". 1969 erfolgte der Anschluss der seither selbständigen Dörfer Eichenstruth, Langenbach und Zinhain als Stadtteile an Bad Marienberg, das 1972 Verwaltungssitz der gleichnamigen Verbandsgemeinde wurde, zu der 18 Orte zählen. Von den kulturellen Einrichtungen bedarf außer dem weltbekannten Europa-Haus das Schulwesen noch einer Würdigung. Zusätzlich zu der vorhandenen Realschule, der Grundschule und der Sonderschule befindet sich im Schulzentrum mit großzügigen Sportanlagen die für die gesamte Verbandsgemeinde zuständige Hauptschule. Seminar-Veranstaltungen zu anspruchsvollen Themen haben sich in der Stadt etabliert und sind zukunftsweisend. Das Wirtschafts- und Erwerbsleben gehört zum buntschillernden Bild Bad Marienbergs, der Einkaufsstadt für ein weites Hinterland. Zahlreiche, nur gering störende Industrie- und Gewerbebetriebe unterschiedlicher Größe, Handel, Handwerk, Hotel- und Gaststättengewerbe, Banken, Schulen und Verwaltungen, geben ca. 4000 Menschen aus Bad Marienberg und der Umgebung einen Arbeitsplatz. Hatte Marienberg 1939: 1699 Einwohner, so waren es 1961: 2283 und heute sind es rund 6400, die Stadtteile eingeschlossen. Der Hohe Westerwald ist durch die kleinen, nicht zusammenhängenden Wälder im Wechsel mit Wiesen, Weiden und einsamen Höhen eine große Parklandschaft, wo der Tourismus noch Chancen hat. Kurbetrieb und Tourismus haben die Badestadt mit geprägt und tragen wesentlich zur Lebens- und Wohnqualität bei. Als typisches Kneipp-Heilbad ist Bad Marienberg ein Kurort "für alle Tage". Einrichtungen wie das Marienbad, der Wildpark, der Basaltpark, der hübsche erweiterte Kurpark mit Apotheker-Kräutergarten, Kneipp-Therapiewege und das gut markierte Wanderwegenetz in Natur- und Landschaftsschutzgebieten, laden zum Kennenlernen, zum Ausspannen, zur Erholung, zum Kuren, zur Genesung, zur Heilung und zum Natur- und Kulturgenuss ein. Die Umsetzung einer von der Stadt in Auftrag gegebenen Stadtmarketing-Konzeption mit einem von Bürgern und Kommunalpolitikern gemeinsam entwickelten Leitbild, lässt auf eine kluge Stadtentwicklung in der Zukunft hoffen. Die Weichen müssen nun endlich einmal gestellt werden. Die kurörtliche Entwicklung darf nicht durch eine weitere Ausweitung als Gewerbestandort ins Hintertreffen zu geraten. Es sollte immer wieder bedacht werden, der Westerwald ist die grüne Lunge zwischen den Ballungsräumen Rhein/Main und Rhein/Ruhr, und erfreut sich ständig größerer Beliebtheit.