Mittelirsen

Die Irsermühle im Irsertal

- Eine der letzten funktionierenden Wassermühlen des Westerwaldes -

Aus dem Jahrbuch 1999 des Kreisheimat-Verein Altenkir hen - Westerwald

Nachdruck mit dessen Erlaubnis

Autor: Herbert Nicke

Im Irsertal, das der Irserbach durchfließt, hat es früher mehrere Mühlen gegeben. von denen nur noch die Irsermühle in Mittelirsen übriggeblieben ist. Sie ist nicht nur im Irsertal die letzte, sondern auch in der Gemeinde Windeck und im ganzen Westerwald eine der wenigen noch vorhandenen Mühlen. Die Mühle liegt genau auf der Landesgrenze: ihr Wasser bekommt sie aus Rheinland-Pfalz, ihr Mühlrad dreht sich in Nordrhein-Westfalen.

Man sieht dem Anwesen nicht direkt an, was sich in ihm verbirgt. Erst wenn man sich dem schönen Fachwerkgebäude nähert, bemerkt man den Bachzulauf der im Haus verschwindet. Dort finden wir auch das Übrige, das mit der Mühle zu tun hat: das große eiserne Wasserrad, das Räderwerk, die Mahlsteine und Müllereimaschinen. Man glaubt es nicht, aber die Irser Mühle hat noch bis 1990 gearbeitet und Bäckereien der Umgebung mit Mehl beliefert.

Der Besitzer und Betreiber, Herr Alois Schneider, ist also einer der wenigen Müller, die es in unserer Heimat noch gibt. Er hat den Mühlenbetrieb zuletzt mit Walzenstühlen betrieben, das sind die modernen Nachfahren der alten Steinmahlgänge; aber die Mahlgänge sind ebenfalls noch vorhanden und funktionieren auch noch.

Überhaupt befindet sich die Mühlentechnik in einem tadellosen Zustand.

Die Irsermühle wurde erstmals 1577 erwähnt, ist vermutlich aber erheblich älter. Seit 1820 befindet sie sich im Familienbesitz und war bis 1948 Getreidemühle nach alter Art. Die nach dem Krieg einsetzende Standardisierung und Vereinheitlichung, die auch vor dem Mehl nicht Halt machte, erforderte es, das Mahlen des Korns mit Walzenstühlen vorzunehmen, und so wurde die Mühle erweitert, wozu ein ganzer Anbau nötig war, in dem sich die moderne Apparatur befindet. Aber das Gute an diesem Umbau war, dass die Schneiders die alte Technik nicht fortgeräumt haben, wie das damals so oft geschah, sondern dass sie erhalten blieb, und nicht nur das: die ganze Anlage, auch der neuere Teil, kann nach wie vor allein mit Wasserkraft betrieben werden.

Das alte eiserne Wasserrad sitzt im ,,Eishaus", also in einem dunklen (frostsicheren) Raum im Innern der Mühle. Es hat 3,80 m Durchmesser und treibt über ein Kronradgetriebe zwei Mahlgänge an. Von diesem Getriebe zweigt ein Nebengetriebe mit Transmission ab, das die Walzenstühle samt Zusatzgeräten antreibt: Trieur, Reinigungsmaschine, Plansichter und die vielen Transportgeräte (Elevatoren), in denen das Getreide und Mehl von einem Stockwerk zum anderen befördert werden. Uns interessiert natürlich vor allem die historische Technik, die wir uns hier einmal etwas näher ansehen wollen.

Wenn Getreide gemahlen werden soll, dann muss die Mühle zuerst zum Laufen gebracht werden. Das geschieht nicht auf Knopfdruck, sondern der Müller muss dazu das Schütz in der Zulaufrinne öffnen, damit der Wasserstrom auf die Schaufeln des Wasserrades gelenkt wird. Nach ein paar Augenblicken kommt Leben in die Mühle. Zunächst beginnt es an mehreren Stellen im Hause zu knacken und zu knistern, dann spüren wir, wie der Boden unter unseren Füßen leicht zu beben beginnt, und schließlich rumpelt und knarrt es überall. Bald können wir einzelne Geräusche voneinander unterscheiden: das gleichmäßige Stampfen des Wasserrades, das Knarren und Ächzen des großen Getriebes im Keller des Hauses und das Wirbeln und Poltern des riesigen, tonnenschweren Mahlsteines, der sich jetzt mit einiger Geschwindigkeit dreht: etwa zweimal pro Sekunde. Das ist für einen Koloss von 1,42 m Durchmesser allerhand!

Wir erinnern uns dabei unwillkürlich an das Lied ,,Das Wandern ist des Müllers Lust", wo es in einer Strophe heißt: ,,die Steine selbst, so schwer sie sind, sie tanzen mit den muntern Reih'n und wollen gar noch schneller sein .

Wenn die Mühle in Gang ist, dann kann das Mahlen beginnen. Wir kennen den großen Einfülltrichter über dem Mahlgang heute nur noch aus der Bildergeschichte ,,Max und Moritz". In der Irsermühle können wir ihn noch im Original sehen. Der Müller, der an das Tragen und Schleppen schwerer Säcke gewöhnt ist, steigt das Treppchen zum Mahlgang hinauf und schüttet einen großen Sack in den Trichter hinein. Sogleich beginnt unten, am ,,Rüttelschuh", das Korn herauszurinnen. Es fällt in das ,Auge" des rotierenden Läufersteins. Damit das gleichmäßig geschieht, wird es herausgerüttelt. Dazu wird durch den laufenden Stein ein Dreischlag mitbewegt, der ständig gegen den Schuh schlägt und so das bekannte und weithin hörbare Klappern der Mühle erzeugt: ein schnelles, rhythmisches Trommeln, ungefähr acht- bis zehnmal pro Sekunde.

Wo bleibt das Korn, wenn es zwischen die Steine gerieselt ist? Das sehen wir uns besser nicht zu nahe an, sonst geraten wir womöglich selber zwischen die Mühlsteine! Die Steine sind ,,geschärft", wie der Müller sagt, das heißt, sie haben nach einem ganz bestimmten Muster viele Rillen und Furchen eingehauen bekommen, der ruhende Bodenstein wie der sich drehende Läuferstein. Zwischen diesen werden die Getreidekörner zerschnitten und zu Mehl verrieben. Da müssen die groben und schweren Steine also Millimeterarbeit leisten. Der Müller kann den Läuferstein mitsamt seiner Achse in der Höhe verstellen und dadurch den Steinabstand weiter und enger halten, das Mehl also gröber und feiner mahlen. Dazu ist viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl nötig. Er sieht ja nicht, was zwischen den Steinen passiert, er fühlt nur das Ergebnis, wenn er die Hand unter das herausfallende Mehl hält. Dabei spielt auch das Gehör des Müllers eine wichtige Rolle, denn er erkennt am Mahlgeräusch, wie fein bzw. grob das Mehl wird und ob mit dem Stein irgend etwas nicht stimmt.

Wenn die Mahlsteine frei im Raum stehen würden, wäre das an der Seite herausgeschleuderte Mehl im Nu in der gesamten Mühle als Staub verteilt. Das verhindern die hölzernen ,,Bütten" bzw. Zargen, die den Mahlgang umhüllen. Das Mehl fällt durch ein Holzrohr, die ,,Mehlpfeife", in das Untergeschoss, wo es entweder in einem Mehlkasten landet oder per Elevator zur Sichtmaschine transportiert wird. Der Sichter ist ein großer Kasten, der innen mehrere Siebe übereinander enthält, die verschiedene Mehlsorten aussieben. Dazu wird der ganze Apparat ziemlich schnell hin und her geschleudert und gewirbelt. Früher gab es noch ,,Beutelwerke", in denen das Mehl durch einen Stoffschlauch hindurchgeschüttelt (gebeutelt) wurde. Auch in der Irsermühle gab es ein solches: es ist heute im Heimatmuseum Altwindeck noch in Betrieb.

Wenn das Korn zu einfachem Vollkornmehl oder zu Back- oder Futterschrot vermahlen werden soll, dann ist es nach diesem einen Durchgang fertig und kann abgesackt werden. Soll Feinmehl erzeugt werden, dann muss alles noch einmal in den Trichter geschüttet werden. Hochwertiges Weizenmehl wird bis zu achtmal vermahlen und immer wieder ausgesiebt. Ein Walzentühl vereinfacht diese Durchgänge; denn er erledigt das in einem.

Im Laufe der Zeit wurden die Ansprüche an die Qualität des Mehls immer höher. Die Mühlen reagierten darauf indem sie Reinigungsgeräte einbauten, in denen das Korn vor dem Mahlen gereinigt wird, da es oft noch Steinchen, Strohreste, Unkrautsamen und andere Beimengungen enthält. Vor dem Einfüllen in den Trichter hat der Müller das Korn also schon durch den Trieur (die Unkrautsamen-Lesemaschine) und die Reinigungsmaschinen laufen lassen. Nach 1948 war die Irsermühle technisch stets auf dem neuesten Stand. Dazu gehörte auch die Anschaffung so teurer Geräte wie Trocknungsanlage und Silo (die erforderlich wurden, als Mähdrescher die Erntearbeit übernahmen und oft das Korn zu feucht an die Mühlen geliefert wurde).

Erheblich leichter als mit den alten Steinmahlgängen hatte es Herr Schneider mit seiner Walzenmühle. Da brauchte er das Getreide nur einmal einzuschütten und alles andere lief mehr oder weniger automatisch ab. Am Ende mussten nur die vollen Säcke abgehängt werden.

Der Alltag in der Müllerei war nicht ganz ohne Gefahren. Ein berstender Mahlstein kam zwar selten vor, konnte aber durch seine enorme Fliehkraft großen Schaden anrichten. Es kam in Mühlen hin und wieder auch zu Mehlstaub-Explosionen und anschließendem Brand. Davon weiß die Irser Mühle nichts zu berichten. Dafür gab es aber hier einmal einen in Mühlen häufig vorkommenden Unfall, als 1937 eine 18 jährige Frau, die in der Irsermühle ihr ,,Landjahr" absolvierte, mit dem Arm in das Zahnradgetriebe geriet, als sie ihre Hand an das laufende Kronrad hielt, weil die Zähne so schön ,,kribbelten". Sie büßte diese Spielerei mit dem Verlust ihres Unterarms.

Was es sonst noch aus dem Mühlenalltag zu berichten gibt, ist viel harte Arbeit. Zum Teil lief die Mühle rund um die Uhr. Das war auch immer von der Wasserführung des Baches abhängig. Vater Paul Schneider (1904-1975) war mit Leib und Seele Müller und er bildete mit der Mühle eine regelrechte Einheit. Mit der Einstellung des Gewerbes endete die Geschichte der Irsermühle aber nicht ganz; denn Alois Schneider ist sich des musealen Wertes der Anlage bewusst. Und in diesem Sinne lernt er bereits seinen Enkel Matthias Bischoff als ,,Nachfolger" an, der sich auch sehr für Technik, Erhalt und Umgang mit der großen Wasserkraft-Maschine interessiert.

Wenn auch das Getriebe der alten Mühle auf uns Heutige sehr einfach und grob gezimmert wirkt, so muss es doch in der Lage sein, gute Präzisionsarbeit zu leisten. Ein Mühlwerk war für die Menschen früher eine große, eindrucksvolle Maschine: ein Stück Technik mitten im Dorf Viele Teile des Getriebes konnte der Müller selbst herstellen, so zum Beispiel die hölzernen ,,Kämme" (Zähne) der Zahnräder und viele andere Teile. Das große Mühlensterben nach 1957 hat die kleinen Mühlen fast vollständig verschwinden lassen und unsere Kulturlandschaft dadurch ein Stück ärmer gemacht. Verbarg sich in den Mühlen doch eine über viele Jahrhunderte herangereifte und zuverlässige technische Evolution. Es ist ein Glücksfall, dass wir in der Irsermühle alles das noch sehen und in Funktion erleben können.