Aus der Ortsgeschichte von Nauroth
Die Vorgeschichte von Nauroth und die historische Grenze
Aus den Jahrbüchern 1980 + 81 des Kreisheimat Verein Altenkirchen-Westerwald
Gekürzter Nachdruck, mit dessen Erlaubnis
Autor: Franz-Josef Becker
Das heutige Nauroth geht in seinen Ursprüngen in die große Rodungsperiode des Westerwaldes, in die Zeit des 12. Jahrhunderts zurück.
Bis zu dieser Zeit war das ganze Gebiet zwischen Dill und Rhein außerordentlich dicht bewaldet, was ihm den Namen ,,Westerwald" eintrug. Diese Bezeichnung kommt zum ersten Mal in einer Urkunde aus der Zeit um die Jahrtausendwende vor, in der die Grenzen der damaligen Pfarrei Haiger beschrieben wurden: Der von Haiger bzw. Herborn aus gesehen große Wald im Westen.
Die Anfänge von Nauroth sind wohl in Niederndorf zu suchen, wohei zu berücksichtigen ist, daß die alte Hofsiedlung weiter südlich zur Nister hin, ,,im alten Kehr"' gestanden hat und möglicherweise mit Mörlen zusammen ein Dorfgebiet war.,, Morla", Ursprungsbezeichnung für Mörlen, Bach und Dorf, ist alemannisch. Unwahrscheinlich ist allerdings, daß eine Besiedlung durch die Alemannen bei ihrer Rückkehr in die Wetterau (Ober- und NiederMörlen) bereits im 5. Jahrhundert hier stattgefunden hat. Sicherlich ist aber die aus diesem Raum des Mörl-Nistertales ausgegangene und nach Norden vorgetragene ,,neue Rodung" das im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnte ,,Nuenrode", das heutige Nauroth.
Um die Jahrtausendwende ordneten die Landesherren unseres Heimatraumes ihre Herrschaftsbereiche und einigten sich dabei auf Besitztumsgrenzen.
In einer Urkunde aus dem Jahre 1048, die auf Abmachungen von 914 zurückgeht, wird die Grenze der damaligen Pfarrei Haiger beschrieben. Dabei wird diese Grenze zwischen Mörlen und Nauroth bzw. Niederndorf gelegt.
Die genaue Beschreibung für unser Gebiet besagt, daß die Grenze vom Wolfstein bei Marienberg, an großer Nister, Wäschbach, Bodenbach und Kleiner Nister entlang bis zur Einmündung der Schwarzen Mör, dann die ,,Nigra Morla" aufwärts bis zu ihrer Quelle und weiter zum Lindianseifen und zum Eibbach verlief.
So wurden vor tausend Jahren Niederndorf und Mörlen getrennt, und damit ist Nauroth ein Ort dicht an dieser Grenze, die bis heute unverändert besteht. Sie hat im Laufe der Jahrhunderte oftmals ihre Bedeutung geändert: Zunächst gezogen als Pfarrgrenze und zugleich zur Trennung der Erzbistümer Trier und Köln, schied sie seit 1652 die Herrschaftsbereiche von Sayn-Hachenburg und Sayn-Altenkirchen, von 1816 bis 1866 war sie Landesgrenze zwischen Preußen und Nassau, dann Grenze zwischen der Rheinprovinz und Hessen-Nassau, ab 1945 Regierungsbezirksgrenze zwischen Koblenz und Montabaur und auch heute noch Diözesangrenze zwischen Limburg und Trier sowie Kreisgrenze zwischen Altenkirchen und dem Westerwaldkreis.
Die Archivakten berichten über die Jahrhunderte hin immer wieder von Streitigkeiten an dieser tausend Jahre alten, historischen und wahrhaft schicksalhaften Grenze.
Erzbischof Engelbert von Köln genehmigte am 27. Februar 1222 den Bau des neuen Klosters Marienstaft. Damit ermöglichte er den Umzug des Konventes aus dem Altenkloster" bei Kirburg (Urkundentext: . . . einem Ort, an dem er vorher sich mit vielen Unbequemlichkelten mühte . . .,,) In ein Gebiet, das der Hachenburger Graf Heinrich von Sayn zur Verfügung gestellt hatte, die ,,Grundherrschaft Nister".Die Gründungsurkunde wurde auf der Burg Blankenberg an der Sieg unterzeichnet. Einer der dabei dort anwesenden Zeugen war, wie es im lateinischen Text der Urkunde heißt: Henricus de Nuenrode, Diese Art der ersten urkundlichen Erwähnung des Ortes Nauroth vor über 750 Jahren zeigt, daß es hier einen, wahrscheinlich für besondere Leistungen geadelten Lehnsmann im Dienste des Grafen von Sayn gab. Diesem Adeligen, in der Urkunde Ministeriale" genannt, war möglicherweise die Verwaltung oder auch Nutzung des damals also schon bestehenden Hofgutes Nuenrode übertragen. Bis heute erhaltene Flurnamen wie Auf dem König", .Jungkhardsrain", Am Königsstein" sind Zeugen dieses gräflichen Hofgutes. Der Name Hofwlese" für das Grundstück, auf dem die heutige Schule steht, zeigt, daß der Wirtschaftsbereich des Gutes bis an den späteren Ortskern von Nauroth heranreichte. Die heutige Schreibweise Nauroth ist eine sprachliche Abwandlung des mittelalterlichen Nuenrode und bedeutet ,,Neue Rodung", d. h. Beseitigung von Wald zum Zwecke der landwirtschaftlichen Bodennutzung.
Den Ubergang von der damaligen zur heutigen Schreibweise bilden mehrere Abwandlungen:
1222 und 1272 Nuenrode, 1395 Nuwenrode, 1438 Nuweroidt, 1482 Nuwerolde, 1503 Nauraidt, 1548 Naurod' 1617 und 1689 Nauert, bis heute als mundartliche Bezeichnung für Nauroth erhalten. Diese Beispiele stammen hauptsächlich aus Urkundenregesten des Klosters Marienstatt, zu dessen Besitz das Naurother Hofgut ab dem Jahre 1619 gehörte. Marienstatt hatte den Hof von den Rittern von Ottenstein übernommen, die ihn seit dem Jahre 1479 bewirtschafteten. Davor war er im Besitz der Gebhardshainer Ritter und der Sayn'schen Gafen, was aus einer Urkunde zu entnehmen ist: Graf Dietrich von Sayn belehnte am 21. März 1438 Gerhard von Selbach, genannt vom Graben, einen Neffen des Gyso von Gevertzhagen mit dem ,,Ewintzgut zu Gevertzhan und den Gefällen dieses Dorfes, sowie dem Hof zu Nuweroidt mit Haus und Hofstatt
In Marienstätter Akten gibt es ab 1684 über das Abteiliche Hofgut zu Nauert" regelmäßige Eintragungen über Lehnungen, Pachteinnahmen und Renovierungen. Durch die politischen Verhältnisse im Zuge der Säkularisation wurde die Abtei im Jahre 1803 aufgelöst. Der Staat beschlagnahmte sämtliche Ländereien, und aus dem abteilichen Hofgut von Nauroth wurde eine Staatsdomäne. Bei einer Versteigerung wurde der gesamte Besitz an den Meistbietenden, nämlich an Franz Zürn aus Gebhardshain, für 3565 Reichstaler verkauft. Zürn, der gegen den Naurother Johann Arndt siegte, behielt das Land nicht lange. Er verkaufte die 93 Morgen und 120 Ruten im Jahre 1824 in einzelnen Anteilen an 19 Naurother Einwohner:
Damit hatte das Naurother Hofgut aufgehört, als geschlossener Besitz zu bestehen. Das Land ist seitdem rechtmäßig erworbenes Eigentum der Naurother.
Das alte Dorf
Um 1600 setzte eine recht rege Bautätigkeit in Nauroth ein. Mit etwa 16 Häusern entstand der bis heute zum Teil erhaltene Ortskern, im wesentlichen die Häuser beiderseits der heutigen Mitteistraße von Schmitz" bis ,,Müilersch". Die Bewohner waren wahrscheinlich überwiegend Bedienstete des Naurother Hofgutes, die jedoch nach und nach auch eigene Ländereien bewirtschaftejen. Zusammen mit fünf Häusern im heutigen Niederndorf zählte man um das Jahr 1600 21 Räuche". Aus dem Jahre 1693 gibt es eine Auflistung über 20 Naurother Steuerzahler.
Zwischen diesen beiden Daten liegt ein für den ganzen Westerwald einschneidendes Ereignis: der Dreißigjährige Krieg. Von den Schrecken dieses Krieges blieb niemand verschont. Die Naurother suchten Zuflucht vor allem im Nauberg' wo man sich regelrecht verschanzte, aber auch in einem nahe beim Dorf zwischen dem Kotzenrother und dem Elkenrother Weg gelegenen Wäldchen, in der ,,Schanze", einem Gebiet, das bis heute diesen Namen trägt. Es ist überliefert, daß jedes Haus gestürmt wurde, es heißt u. a.:
in Diebes-Haus fanden die Schweden einen Mann nicht, weil er sich im Heu versteckt hatte".
Oder: . . . in Kobersch-Haus fanden die Soldaten einen Blinden vor und sie verschonten ihn".
Daß sich das Dorf von diesem schrecklichen Krieg relativ schnell erholte und bald wieder von einem gewissen "Wohlstand" die Rede ist, wird der Tatsache zugeschrieben, daß man nach ersten Funden von Eisenerz um 1700 mit dessen Verhüttung begann: Aus einem Stollen in den "Eisenkauten am Thalhäuserberg" wurde Eisenstein geborgen und mit Ochsenkarren durch die Holl", einem bis heute erhaltenen Hohlweg im Naurother Wald, zur Jägerwiese gefahren und dort verhüttet. Noch heute sind Reste von Schlackenhalden und sogenannte Eisenverhüttungsringe im Bereich der Jägerwiese Zeugen dieser Gewinnung von Eisen, das in den beiden Schmieden ,,Schmitz" in Nauroth und ,,Arems" in Niederndorf zu Nägeln, Werkzeugen und anderen Gebrauchsgegenständen weiterverarbeitet wurde.
So hat neben der Landwirtschaft auch die Eisenverhüttung in dieser Zeit für Nauroth eine gewisse Bedeutung gehabt, und es setzte nach 1700 eine zweite Bauperiode ein, in der sich das Dorf vor allem im Norden weiter ausdehnte: Von ,,Gerhandais" über ,,WolfsHennersch" bis Engels". Das ,,Engels-Haus" wurde 1749 gebaut. Unmittelbar neben diesem Haus war der ,,Brandweiher" angelegt, und hier stand auch das alte Backhaus. Genau gegenüber nach Süden hin verlief die damalige westliche Grenze des Dorfes mit dem bis heute erhaltenen Pfad (,,Schlüppe") und mit der langen Hecke. Die heutige Hecke hat Jakob Kempf genau auf die alte Dorfhecke gepflanzt.
Die Dorfhecke umschloß im 18. Jahrhundert eng das ganze Dorfgebiet. Eine zweite, Ackerhecke genannt, trennte die Hausgärten vom weiten Feld. Je nach Lage der Parzellen zu dieser zweiten Hecke sprach man von ,,lnnerfeld" oder Außerfeld". Die Hecken waren durch Tore passierbar, wovon eine bis heute erhaltene Flurbezeichnung Zeugnis gibt; das "Dörchen" an der heutigen Straße zur Jägerwiese. Im übrigen waren sie jedoch undurchdringlich. Man pflanzte hauptsächlich Hainbuche, bog die langen Aste um und setzte die Spitzen in die Erde, die ihrerseits wieder Wurzeln schlugen.
Ein markanter Punkt im Norden des Dorfes war die alte ,,Ilm". Dieser gewaltige, Ende der sechziger Jahre entfernte und damals auf ein Alter von 200 Jahren geschätzte Baum mit den Abmessungen 20 Meter Höhe und 15 Meter im Durchmesser - eine Schwarzpappel -galt stets als ,,Wahrzeichen von Nauroth". Bei der um wurden früher die traditionellen Vieh- und Jahrmärkte abgehalten: In den Monaten April, August und Oktober war Markt im tvpisch ländlichen Sinne. Neben Krämer- und Wurstbuden waren Zeite aufgeschlagen, in denen nach Tätigung der Händelchen am Abend bei Musik gefeiert und getanzt wurde. Allerdings sind auch weniger erfreuliche Dinge überliefert: Bei einer nächtlichen Schlägerei wurde hier der Naurother ,,Marjes Philipp" erstochen.
Mit dem Ersten Weltkrieg kam das Ende der Märkte bei der Ilm.
Aufzeichnungen des Amtsverwalters Johann Heinrich Lamprecht aus dem Jahre 1741 über die Amter Freusburg und Friedewald zeigen, daß Nauroth, damals zum Amt Freusburg gehörend, Mitte des 18. Jahrhunderts eine relativ große Ortschaft war:
,,Nauroth hat 35 Räuche, 333 Morgen Land, sowie einen Eichen- und Buchenwald. Vergleichsweise hatte Gebhardsain damals .31 Räuche, 170 Morgen Land und etwas Wald", Betzdorf hingegen nur .19 Räuche, 170 Morgen Acker und Wiesen".
Aus dem gleichen Jahr 1741 stammt das folgende Einwohnerverzeichnis der damals 52 ännlichen Naurother Einwohner über 21 Jahren:
Joh. Bastian Arnd |
62 |
Jahre |
Tobias Brenner |
27 |
Jahre |
Joh. Heinrich Arnd |
21 |
Jahre |
Claaß Pfeifer |
41 |
Jahre |
Joh. Peter Brach |
83 |
Jahre |
Joh. Georg Bläser |
46 |
Jahre |
Joh. Peter Maag |
40 |
Jahre |
Joh. Arndt |
70 |
Jahre |
Joh. Heinrich Schneider |
46 |
Jahre |
Joh. Peter Kober |
20 |
Jahre |
Joh. Heinrich Arndt |
38 |
Jahre |
Georg Büddenhölzer |
28 |
Jahre |
Peter Büddenhölzer |
66 |
Jahre |
Peter Heinrich Brenner |
60 |
Jahre |
Peter Brenner |
25 |
Jahre |
Joh. Wilhelm Becker |
37 |
Jahre |
Joh. Wilh. Friedrich |
41 |
Jahre |
Christian Becker |
40 |
Jahre |
Hennrich Lennhardt |
32 |
Jahre |
Joh. Georg Lennhardt |
43 |
Jahre |
Hennrich Weber |
41 |
Jahre |
Joh. Heinrich Wolff |
26 |
Jahre |
Johann Ehl |
31 |
Jahre |
Johann Lück |
63 |
Jahre |
Joh. Heinrich Becker |
40 |
Jahre |
Joh. Heinrich Lück |
21 |
Jahre |
Joh. Theiß Maag |
56 |
Jahre |
Joh. Brenner |
41 |
Jahre |
Joh. Gerhardt Scholl |
50 |
Jahre |
Joh. Jacob Lück |
24 |
Jahre |
Peter Arndt |
32 |
Jahre |
Georg Kohlhaß |
24 |
Jahre |
Johann Gerhardt |
24 |
Jahre |
Hennrich Scholl |
21 |
Jahre |
Peter Schuhmann |
72 |
Jahre |
Johann Peter Klein |
63 |
Jahre |
Joh. Peter Schuhmann |
30 |
Jahre |
Johann Henrich Becker |
44 |
Jahre |
Weyandt Mohl |
26 |
Jahre |
Johann Peter Klein |
38 |
Jahre |
Joh. Wilh. Nauderodt |
41 |
Jahre |
Joh. Peter Arndt |
48 |
Jahre |
Joh. Peter Arndt |
21 |
Jahre |
Joh. Diedrich Brenner |
50 |
Jahre |
Peter Grebb |
49 |
Jahre |
Joh. Hermann Arndt |
62 |
Jahre |
Johann Arndt |
21 |
Jahre |
Johann Peter Scholl |
30 |
Jahre |
Adam Schwan |
37 |
Jahre |
Joh. Georg Becker |
22 |
Jahre |
Johann Jacob Becker |
24 |
Jahre |
Joh. Wilh. Lennhardt |
21 |
Jahre |
Bei den Verheirateten ist die Unterscheidung gemacht: " Rauch", was selbständige Haushaltungen bedeutet, oder "Beisasse", d. h. nicht eigener Haushalt (Untermieter). Rechnet nan die Haushaltungen der 41 Verheirateten im Durchschnitt mit fünf Personen, so erhält nan 205 Einwohner.
NAUROTH UM DIE JAHRHUNDERTWENDE
Die Zeit der Jahrhundertwende war für den Westerwald eine Zeit des Umbruchs. Auch für Nauroth, damals ein Dorf bestehend aus 70 Häusern mit etwa 400 Einwohnern, waren die ersten Schritte ins 20. Jahrhundert gekennzeichnet von einem Wechsel zum Besseren.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatte fast ausschließlich die Landwirtschaft für den bescheidenen Lebensunterhalt gesorgt, obgleich auch der Köhlerei und der Eisenverhüttung eine gewisse Bedeutung zukam. Im 18. Jahrhundert wurde nämlich in den ,,Eisenkauten am Thalhäuser-Berg" Eisenstein geborgen und auf der Jägerwiese verhüttet. Daß hier, wie Schlackenrestfunde nachweisen, auch Siegerländer Eisen verarbeitet wurde, ist darauf zurückzuführen, daß Naurother Fuhrleute mit ihren Ochsengespannen damals Holzkohle ins benachbarte Siegerland transportierten und den ergiebigeren Siegerländer Eisenstein zur Verhüttung mit zurückbrachten. Zeugen der Köhlerei in Nauroth sind die bis heute erhaltenen Flurbezeichnungen ,,Kohlstädter Wiese" und ,,Kühle Mauer", 1824 noch ,,Köllschewiese" und ,,Kohlenmauer" genannt. Seit 1850 wurde Holzkohle in Nauroth jedoch nur noch für den eigenen Bedarf im Hauberg gebrannt, und die Männer gingen in zunehmendem Maße in die um diese Zeit eröffneten Gruben Hubenholz, Krämer und Bindweide, während die Frauen und Kinder die Landwirtschaft betrieben. Die Väter und erwachsenen Söhne hatten kaum noch Zeit, zu Hause mitzuhelfen, da der Fußmarsch zur Arbeitsstätte und zurück einen Großteil ihrer Freizeit in Anspruch nahm. Einige suchten sich sogar wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten Arbeit in den Herdorfer Eisengruben. So zogen nach 1900 junge Männer aus Nauroth montags nach Herdort, im umgehängten ,,Ohmessack" den Brot- und Butterproviant für die ganze Woche, der, vor Ort mit der ,,Herdorfer Wasserkost" ergänzt, bis zur Rückkehr am Wochenende ausreichen mußte.
Obwohl durch diesen Arbeitseinsatz außerhalb der Heimat die finanzielle Situation erheblich verbessert wurde und aus der Landwirtschaft mit Zuverdienst eine Nebenerwerbslandwirtschaft geworden war, behielt diese nach wie vor ihre Bedeutung für den direkten Lebensunterhalt der Familien. Bis in die 20er Jahre wurden im Sommer täglich an die 300 Kühe auf die großen Viehweiden getrieben, auf denen Josef Söhngen über 30 Jahre lang seinen Dienst als Kuhhirte versah und die fast das ganze Naurother Dorf- und Flurgebiet umschlossen: im Norden ab der ,,Ilm" durch den oberen Bereich des Heidchesgarten, am Sportplatz und später an der alten Eisenbahntrasse in Richtung Elkenroth entlang, in einem großen Bogen nach Westen über den heute mit Tannen bepflanzten Komplex Hubenholz bis an den Kotzenrother Weg; im Süden vom Löh aus in westlicher Richtung übers Röttchen bis zur Gemarkungsgrenze Luckenbach, dann nach Norden zum Hähnkopf und von dieser Seite her ebenfalls bis an den Kotzenrother Weg. Im Winter, wenn das Vieh im Stall versorgt wurde, mußte das Wasser zum Tränken, aber auch das für den Haushalt, recht mühsam herangeschafft werden: An zwei mit Stricken an einem Tragejoch befestigten Eimern wurde es aus dem jeweils nächstgelegenen, mit Frischwasserzulauf von der Bornwiese versorgten Brunnen abgeholt:
- Bei ,,Marjes Scheune", heute Raiffeisenstraße gegenüber der Ringstraße. Hier war ein Stockbrunnen, dessen ständigem Zulauf das TrinkWasser entnommen wurde, während man das zum Waschen oder Tränken aus dem darunterstehenden Eisenbehälter schöpfte. Außerdem war ein Holzbehälter vorhanden für Reinigungs- und Wäschezwecke. Schmutzige Wäsche wurde damals noch mit sogenannter ,,Schwarzer Seife" und dem ,,Pläuelholz" gereinigt.
- Am Ausgang der ,,Schlüppe", heute Mittelstraße gegenüber dem Müllersch-Haus. Hier war ebenfalls ein Stock- und Schöpfhrunnen, eingezäunt und durch ein Törchen erreichbar.
In der Dorfmitte neben der damaligen Gastwirtschaft Gustav Leicher, heute Fingstraßeneinmündung in die Mittelstraße, der ,,Tränkeplatz". Dieser größte der Naurother Doffbrunnen hatte inmitten des gr9ßen, achteckigen Eisenbehälters eine gußeiserne Säule mit zwei Wasseraustritten, einem Uberlaufbottich für Wäschezwecke und außerdem einen langen Trog, zu dem das Vieh -im Sommer - von der Weide heimkehrend - aber auch an schneefreien Wintertagen zum Tränken hingeführt wurde.
Ein großer Teil vieler schwerer Arbeiten, z. B. auch das Wassertragen, war hauptsächlich Sache der Frauen. Der Bau der Wasserleitung im Jahre 1901 muß daher für Nauroth als ein großer Fortschritt gewertet und angesehen werden.
Eine noch größere Bedeutung kam allerdings der Versorgung des Dorfes mit elektrischer Energie zu, die bis zum Jahre 1920 abgeschlossen war. Von einem Masttransformator am alten Brandweiher neben dem Engelshaus wurde das Dorfnetz, einschließlich einer bescheidenen Straßenbeleuchtung, mit Strom versorgt. Glühbirnen lösten in den Häusern die rußenden Petroleumlampen ab. Elektrogeräte gab es kaum, so daß man im Haus zunächst mit einer einzigen Steckdose auskam - bescheidene Verhältnisse, wenn man bedenkt, daß heute eine moderne Küche allein ca. 20 Elektroanschlüsse hat~ Elektromotoren konnten nun die bis dahin mit Tierkraft betriebenen Göpelantriebe ersetzen: Alois Becker (,,Schreinersch") hatte an der Nordseite seines Hauses für die Schreinerwerkstatt einen Göpel, über den eine entsprechend angelernte ,,Wällerkuh" allein und gleichmäßig die Bandsäge antrieb. Göpel-Dreschmaschinenantriebe waren an der alten ,,Stinnersch Scheune" (heute Volksbank) sowie an den alten Häusern Wilhelm Scholl (,,Armschen"), Josef Becker (,,Schumjersch"), Alfons Schuster (,,Christjes") und Franz Kaiser (,,Kobersch"-Niederndorf).
Parallel zur ersten Strom-Nutzung in Nauroth wurde von Hubert Kohlhaas auf der Jägerwiese im Zusammenhang mit dem Aufbau einer Karbidfabrik ein Pojekt der Stromerzeugung realisiert: Zwei von Wasserturbinen angetriebene Generatoren lieferten ab der Inbetriebnahme im Dezember 1919 den Strom für den ,,Elektrischen Lichtbogen" zur Energieumwandlung bei der Karbidherstellung. Seit Einstellung der Produktion im Jahre 1927 regelt ein Vertrag die Stromlieferung in das öffentliche Verbundnetz.
Nauroth hat also schon seit 1919 ein Kraftwerk!