Josef Kläser

Die Dickendorfer Mühle -
letzte noch tätige Kundenmühle des Kreises Altenkirchen

(veröffentlicht im Heimatbuch des Kreisheimatvereins Altenkirchen 1989 - hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Heimatvereins)

1. Teil

Nach Auskunft der Kreishandwerkerschaft in Betzdorf sind im Kreis noch zwei Mühlen in Betrieb. Die größere macht an der B8 - nur wenige Kilometer von Altenkirchen - unübersehbar durch einen Mühlstein mit dem Hinweis "Michelbacher Mühle" auf sich aufmerksam. Daß es eine weitere Mühle gibt - eine kleinere -, die als Kundenmühle noch in Betrieb ist, wird häufig aus Unkenntnis verschwiegen1).

Um an diese, die Dickendorfer Mühle zu erinnern, ihre Geschichte etwas aufzuhellen und ihrer Betreiberin - ja, es ist eine SIE, die ihren Mann steht - zu gedenken, wurde dieser Beitrag verfaßt.

NAMENSVIELFALT

Wer sich der Dickendorfer Mühle nähert, sei es als Ortsunkundiger oder als Heimatgeschichtier, muß mit Überraschungen rechnen.Der Ortskundige wird die Mühle in der Gemeinde, deren Namen sie führt, vergeblich suchen, denn sie liegt im Bereich der benachbarten Gemeinde Molzhain. Der Heimatgeschichtler, der ihre Vergangenheit erkunden möchte, steht zu Beginn des 18. Jahrhunderts vor einem Rätsel, da sie in den Akten unter dem Namen Dickendorfer Mühle nicht mehr auffindbar ist. Sollte sie etwa unter den Bezeichnungen "Moln zu der Elben" (1530), "zur Elben" (1533), "Elber Mühlen" (1626) oder gar "Mühle zu Elben" (1547, 1671) wiederzufinden sein?

Zwar heißt der Bach, der ihr die Energie liefert, heute Elb-Bach. Er wurde aber in früheren Jahrhunderten nur Elwe oder Elbe genannt. Die vorhin erwähnten Mühlennamen wären als Bezeichnung für die Dickendorfer Mühle weniger verwirrend, wenn nicht ausgerechnet der unweit unterhalb der Mühle am gleichen Bach gelegene Ort ebenfalls Elben hieße. Eine "Mühle zu Elben" ist doch wohl eher mit einer solchen im Ort Elben gleichzusetzen. Tatsächlich lassen sich in der Gemarkung dieses Ortes drei Mühlen nachweisen: die sogenannte Dauersberger und zwei weitere im Dorf selbst. Die Dauersberger mit der Elber Mühle gleichzusetzen verbietet sich schon deshalb, weil sie von Anfang an unter diesem Namen vorkommt. Die beiden anderen Mühlen zu Elben können auch nicht gemeint sein, da sie viel jünger sind. Des Rätsels Lösung liefert ein ehemaliger Kanzleischreiber, der vielleicht auch an die Nachwelt dachte, als er die Mühle mit zwei Namen notierte. Die Sayn-Altenkirchener Beamten schreiben 1710 noch Elber Mühle, 1722 aber Mühle zu Dickendorf. Seit dieser Zeit ist ein allmählicher Namenswechsel erkennbar. 1732 wird sie "Mühle bei Dickendorf an der Elwe gelegen", 1736 jedoch "die sogenannte Dickendorfer Mühle" genannt. Schließlich verschwinden alle Zweifel, wenn 1737 gleich an drei Stellen die Erklärung durch Nennung beider Namen erfolgt: Dickendorfer Elwer Mühle, Dickendorfer oder sogenannte Elwer Mühle, Elwer oder sogenannte Dickendorfer Mühle.

Nun sind wir über ihre Namen aufgeklärt. Da die Mühle lange Zeit die einzige im Kirchspiel Gebhardshain und im Amt Freusburg war, die am Elb-Bach lag, wurde sie einfach nur nach diesem Bach benannt. Solange sich keine andere am gleichen Gewässer innerhalb des Amtsbereiches befand, konnten auch keine Zweifel aufkommen, welche gemeint war. Unter dem Namen Mühle zu der Elben, zur Elben, zu Elben oder Elber Mühle läßt sich die Geschichte der Dickendorfer Mühle bis 1529 zurückverfolgen. Ihr Alter über dieses Jahr hinaus bestimmen zu wollen hieße, sich auf das Gebiet der Spekulationen zu begeben, wenn auch einiges für ein höheres Alter spricht. An diesem Alter können sich die übrigen Mühlen im Gebhardshainer Land nicht messen. Zwar wurde an dieser Stelle (HJB 1986, S. 118) versucht, der Dauersberger "mit Sicherheit" ein Alter von einigen hundert Jahren über 1704 hinaus beizulegen. Das trifft jedoch ebensowenig zu wie ihre erste Erwähnung im Jahre 1704, da sie 1691, aber noch nicht 1681, unter den Pachtmühlen aufgeführt wird. Wird der Dauersberger ein höheres Alter zugemessen, so ist es bei der Elkenrother umgekehrt. Sie ist älter als die ebenfalls an dieser Stelle genannten "ersten Hinweise" für das Jahr 1667 (HJB 1986, S. 292). Sie muß nicht lange vor 1600 entstanden sein, denn von ihr wurde 1599 Pacht entrichtet, 1586 dagegen noch nicht.

VON DER ÄLTESTEN ERWÄHNUNG ZUR REGELMÄSSIGEN VERPACHTUNG
Seit 460 Jahren dreht sich in der Dickendorfer Mühle das Mühlrad bzw. die Turbine. In der "Rechnung des Hauses Freusburg" vom Jahre 1529 wird ein Zins von einer "Wese vor der moln zu der elbenn" verzeichnet. Ein Jahr später empfing der "Molner zu elbenn" neun Gulden Lohn für ein Vierteljahr. Die Mühle gehörte also der Herrschaft. Der angestellte Müller bezog für seine Arbeit eine Entlohnung in Geld.

Leider fließen die Nachrichten aus jener Zeit nur recht spärlich. Doch scheint festzustehen, daß fortan die Mühle gegen eine festgesetzte Pachtsumme verlehnt war. Die Pacht wurde in Naturalien entrichtet und von dem Einnehmer in Freusburg verkauft. 1532 betrugen die Abgaben des Müllers 13 Malter Korn und 30 Malter "Molnfrucht" (Getreidemischung). Legt man die Fruchtpreise jener Zeit zugrunde, so erbrachte die Pacht jährlich einen Betrag von 46 Gulden. Die abzuliefernde Getreidemenge änderte sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts gelegentlich, nämlich 13 Malter Korn und 21 - 30 Malter Mühlenfrucht. Minderungen, insbesondere bei der Mühlenfrucht, sind wohl mit Kriegsereignissen oder Baumaßnahmen an der Mühle zu erklären. Etwa ab 1580 vollzieht sich allmählich ein Wandel. Zu den beiden bisher üblichen Pachtabgaben (Korn und Mühlenfrucht) kommen andere hinzu. Im Jahre 1600 entrichtet der Elber (= Dickendorfer Müller) 15 Malter Korn, 26 Malter Manck- (= Mühlenfrucht und 5 Malter Schälkleien und Steinas. 1621 bezahlt er die Pacht je zur Hälfte in Getreide und Geld, zusammen 100 fl. (Gulden). Dazu kommen noch zwei Mühlenschweine und zwölf Kapaune (kastrierte, gemästete Hähne). Die Auswirkungen des 30jährigen Krieges schlagenauch in der Höhe der Pacht zu Buche. 1626 werden von der Elbener Mühle insgesamt nur 4 Malter Getreide eingenommen. 1661 sind es aber wieder 17 Malter, 2 Schweine und 12 Kapaune, 1671 sogar 22 und 1681 26 Malter, zuzüglich der beiden Schweine und der zwölf Kapaune, die im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts mit 16 bzw. 1/4 Gulden pro Stück verrechnet werden.

Vergleichen wir die Pachthöhe der Elber Mühle mit der anderer Mühlen, so erkennen wir wesentliche Unterschiede, die nur mit dem Ertrag, d. h. mit der Anzahl der Kunden in Beziehung gesetzt werden kann. 1691 gibt es im Amt Freusburg acht herrschaftliche Mühlen, auf die bestimmte Orte zwangsverpflichtet (gebannt) sind. Außer der Freusburger entrichten alle anderen ihre Pacht in Geld, und zwar die Fischbacher Obermühle und die Tüschebacher Weihermühle je 290 fl, die Alsdorfer 120, die Dauersberger 110, die Elber 102 und die Brachbacher sowie die Elkenrother je 100 Gulden.

Wie ist es zu erklären, daß die Geldpacht der Elber Mühle 1691 gegenüber 1621 noch oder wieder auf gleicher Höhe liegt? Ohne Zweifel hat die zwischen 1681 und 1691 erbaute Dauersberger einen Teil der Mahlgäste übernommen. Die Verminderung der Kunden hat eine Pachtanhebung nicht zugelassen.

Bevor wir die Mühlenverhältnisse im 18. Jahrhundert betrachten, wollen wir uns noch einmal ins Jahr 1580 zurückbegeben. Um diese Zeit und später werden bei den Einnahmen der Kellerei (Speicher, Finanzamt) Freusburg auch solche von Schälkleien und (Steinas) notiert. Als Kleien bezeichnet man hauptsächlich die Hüllen der Getreidekörner. Was aber ist Steinas? Müller um Auskunft gebeten, haben den Begriff nicht erklären können. Das Wörterbuch der Gebrüder Grimm bietet folgende Erläuterung dazu an: Steinasz ist "in den Mühlen dasjenige Mehl, welches zwischen den Mühlsteinen und in den Läufen zurückbleibt. Es dient als Futter für Schweine und Esel". Die Naturalpacht der Müller hat also neben der Abgabe von mahlfähiger Frucht (Korn, Weizen, Gerste, Mengfrucht) und lebenden Tieren (Schweine, Kapaune) auch zeitweise in Ablieferung von Viehfutter (Kleien und Steinas) bestanden.

DIE MÜHLE UND IHRE PÄCHTER

Die Pächter der Mühle vor 1700 sind bis auf eine Ausnahme nicht bekannt. 1555 liefert Conntz (Konrad) Mulner (Müller) 13 Malter 14 Mesten Mengfrucht "genn Hachenburch". Der gleiche Contz holt 5 Jahre später Mühlsteine in Frankfurt und bekommt, da er "sieben Tage in Frankfurt gelegen" 4 Gulden 12 Albus an Verzehrgeld dafür.

Vom Beginn des 18. Jahrhunderts an kennen wir die Pächter zunehmend mit Namen. Vor 1732 begegnen wir den Mühlenpächtern Gerhard Hölzemann, Simon Geidtling und Johann Greb, 1732-37 Johann Jakob Nauroth, zuvor Pächter der Freusburger Mühle. Sein Nachfolger ist Johann Heinrich Jung, der 1747 von sich sagt, er sei schon zehn Jahre Müller in der Dickendorfer Mühle und habe während dieser Zeit einen Stall, eine Küche, eine Stube, das Backhaus und die Schmiede auf eigene Kosten erbaut. Den Einsatz seines Kapitals zum Vorteil der Mühle nimmt er unter anderem zum Anlaß, eine neue Belehnung zu erbitten. Sie wird ihm für die Zeit von 1748-53 gewährt, wofür er jährlich 164 fl sowie 6 Malter Korn zu entrichten und einmalig 100 Rtl (Reichstaler) Kaution zu hinterlegen hat. Nach den Bedingungen des Pachtbriefes ist ihm aufgetragen, zusammen mit seiner Familie "einen frommen und christlichen Lebenswandel zu führen und auch seine Knechte und sein Gesinde dazu anzuhalten". Nicht allein handwerkliches Können und gesicherte Vermögensverhältnisse setzt der Verpächter voraus, sondern erwartet von der Müllerfamilie ein Leben in christlichem Geist.

Bei der Neuverpachtung Ende des Jahres 1753 zeigt sich, daß sich die Müller nicht das Wasser auf die Mühle gönnen und so zum Ruin manches Kollegen beigetragen haben. Der neue Pachtzins, den der Dauersberger Mühlenpächter Johann Christian Schäfer von Kausen bietet, liegt etwa 50% über dem laufenden. Für 224 fl an Geld und 6 Malter 4 Mesten Korn Naturalpacht erhält er den Zuschlag der neuen Lehnung, die auf sechs Jahre von 1754-1759 ausgelegt ist. Bald nach Eintritt des neuen Müllers in die Mühle unternimmt der seitherige Müllerjung, der inzwischen die Mühle am Alsdorfer Weiher gepachtet hat, den Versuch, wieder in die Dickendorfer einzutreten, und zwar möchte er die Mühle in Erbbestand, d. h. für sich und seine Nachkommen. Anstatt eines Erbbestandes erhält er sie jedoch nur auf sechs Jahre (1760-1765) zu den Bedingungen seines Vorgängers.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts hat es im Kirchspiel Gebhardshain drei Mühlen gegeben, nämlich die Dickendorfer, Elkenrother und Dauersberger. Von den 130 Mahlgästen der Dickendorfer Mühle kommen 1762 10 von Dickendorf selbst, 21 von Kotzenroth, 23 von Molzhain, 21 von Kausen, 31 von Steinebach, 15 von Hommelsberg und 9 von Steineberg. Sie alle unterliegen in dieser Zeit wie auch vorher und nachher dem Bann. Er verpflichtet sie, nur bei ihrem zuständigen Müller mahlen zu lassen.

Die kurzen Laufzeiten der Pachtung auf sechs Jahre erweisen sich weder für die Müller noch für den Leihherrn als ideal. Nachteilig für die Müller ist es, wenn sie nach Ablauf ihrer Pachtzeit keine neue Lehnung erhalten, falls sie nicht bereit sind, sich durch immer höhere Gebote der Mitsteigerer in den Ruin treiben zu lassen. Der Leihherr, dem steigende Pachterlöse natürlich sehr willkommen gewesen sind, legt aber Wert darauf, daß die Mühle in gutem Stand erhalten wird. Dazu ist aber kaum ein Pächter bereit, wenn er nach sechs Jahren wieder ausziehen muß. Deshalb setzt sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts immer mehr das Bestreben durch, herrschaftliche Mühlen in Erbleihe zu vergeben.

So kommt auch am 4. Oktober 1762 - also noch vor Ablauf der Pachtzeit des J. H. Jung - ein Erbpachtvertrag für die Dickendorfer Mühle zustande. Erbpächter soll der Bruder des Alsdorfer Weihermüllers Johann Christian Mückenhaupt, Johann Philipp Mückenhaupt von Neunkirchen für einen Erbzins von jährlich 324 fl und 76 Mesten Korn (= 6 1/3 Malter) werden, unter der Voraussetzung, "daß selbiger der evangelischen Religion zugethan seye" (angehört). Die Erbverlehnung an einen Müller, der sich zur gleichen Konfession wie die Landesherrschaft der Grafschaft Sayn-Altenkirchen bekennt, ist aber - wie wir gleich erfahren - nicht aufrechtzuerhalten.

Als nämlich die Brüder Mückenhaupt Anfang 1763 in Altenkirchen erscheinen sollen, um den Erbvertrag zu unterschreiben, bitten sie darum, dem Peter Schäfer zu Kausen die Erbpacht übertragen zu dürfen, weil der als Erbpächter vorgesehene Johann Philipp Mückenhaupt "sich durch seine Frau zur Anpachtung einer anderen Mühle habe verleiten lassen". Weil Schäfer aber der "paptistischen Religion angehört", darf er in die Erbleihe nicht eintreten. So bleibt der bisherige Zeitpächter J. H. Jung Müller zu Dickendorf. Aber nur noch für kurze Zeit, denn auch er ist an einer Erbpacht interessiert gewesen, die ihm die Mückenhaupts durch ein höheres Gebot streitig gemacht haben. Verärgert verläßt er 1763 die Mühle. Das bedeutet für die Finanzräte der Grafschaft ein arges Dilemma. Der eine Müller kann die Erbleihe nicht übernehmen, weil seine Frau dagegen ist, der andere darf sie nicht antreten, weil er katholisch ist, und der dritte will sie nicht, weil er die Erbpacht nicht erhalten hat. Eine unbesetzte Mühle wirft aber keinen Gewinn ab und treibt die Banngäste zu fremden - "ausländischen" - Müllern.

Es muß also schnell gehandelt werden. Der einzige Müller, der die Mühle kurzfristig übernehmen könnte, wenn er dürfte, ist anderer Konfession. Also streicht die Herrschaft diese hinderliche Bedingung aus dem Pachtvertrag und überträgt die Mühle dem Johann Peter Schäfer zunächst als Interimspächter und ab 1764 auf acht Jahre für jährlich 240 fl und 76 Mesten Korn. Ein Jahr vor Ablauf der für Schäfer festgesetzten Pachtzeit wird ihm die Mühle "abgenommen" und Johannes Euteneuer von Betzdorf als neuer Pächter eingesetzt. Er betreibt das Mühlen-geschäft aber nur für die noch ausstehende Pachtzeit, also 1770 und 1771.

Vor Eintritt eines neuen Pächters werden häufig die zu verpachtenden Mühlen von Sachverständigen besichtigt und das Inventar aufgenommen. Das am 11. Januar 1770 im Beisein des "Mühlentaxators" Johann Henrich Schnell von der Tüschebachmühle angefertigte "Inven-tarium" gibt uns Auskunft über Beschaffenheit der Gebäude und der vorhandenen Einrichtung. Hier ein Auszug daraus:

Das Mühlengebäude besteht aus Holz (Fachwerk). Die Mahlgäste haben das Haus in Dach und Fach zu erhalten. Zu einem Neubau müssen sie die Baumaterialien kostenlos beifahren, Handlangerdienste leisten und auch das Stroh zum Dachdecken unentgeltlich liefern. Als Anbau besitzt die Mühle einen Stall, den die Banngäste erbaut haben und unterhalten müssen. Die Mühle besitzt einen Mahlgang, d. h. ein Wasserrad mit zwei Mühlsteinen, von denen der Lagerstein 12 Zoll und der Läuferstein 6 Zoll mißt. Das gesamte Inventar hat einen Wert von 105 fl 3xr (Kreuzer). Das Gebäude bietet nur beengte Wohnmöglichkeiten: 2 Stübchen und 1 Kammer, wovon das eine "Stübgen" wohl als Aufenthaltsraum für die Kunden dient, da es einen blechernen Ofen enthält, der von den Mahlgästen angeschafft worden ist. Schließlich ist in der Mühle noch das "Eishaus" anzutreffen.

Den nur zwei Jahre in der Mühle weilenden Euteneuer löst am 1. Januar 1772 der ehemalige Mühlenmeister Johann Wilhelm Hassel von Fischbach als Pächter ab. Für die auf sechs Jahre befristete Pachtung zahlt er pro Jahr 301 fl und 76 Mestern Korn.

Schon mehrfach ist erwähnt worden, daß das Kirchspiel Gebhardshain bzw. die auf die Dicken-dorfer Mühle gebannten Gemeinden allerlei Lasten an der Mühle zu tragen haben. Diese Verpflichtung hat wohl ihren Ursprung in der Zeit, als die Mühlen noch gemeinsames Besitztum der Dorfgemeinschaften gewesen sind. Seitdem jedoch die Landesherrn Besitzer der Mühlen sind, haben solche Lasten eigentlich keine Berechtigung mehr. Die Herrschaft hat aber daran festgehalten, denn die den Bauern aufgebürdete Bauverpflichtung an Gebäuden, die ihnen nicht gehört haben, ist bares Geld wert.

Mit welchen Argumenten sich die Banngemeinden solchen Lasten zu entziehen versucht haben, mögen zwei Beispiele verdeutlichen. Als 1749 für die drei Mühlen des Kirchspiels Bau- und Werkholz erforderlich war, weigerten sich die Kirchspielvertreter es abzugeben und wollten nur den Transport übernehmen. Kurzentschlossen wurde den Müllern das Holz aus den herrschaftlichen Waldungen zugeteilt und die Gemeinden zur Bestreitung der Kosten aufgefordert. Dagegen beschwerten sie sich und ersuchten ihren Landesherrn um Niederschlagung der Abgabe. Nach vielen Gesuchen und Bitten gewährte ihnen ihr Landesvater Karl Wilhelm Friedrich, Markgraf zu Brandenburg, "aus lauter Gnaden" einen Nachlaß von einem Drittel ihrer Schuld.

1773 sollte die Dickendorfer Mühle neu gebaut werden. Da die gebannten Gemeinden gewisse Bauverpflichtungen zu tragen hatten, wurden die Bürgermeister dieser Orte befragt, ob sie die Mühle aufbauen oder stattdessen eine jährliche Fruchtabgabe entrichten wollten. Zu diesem Ansinnen erklärten sie, die Mühle sei früher Eigentum der Geneinden gewesen und sei vor alten Zeiten der gnädigsten Herrschaft "mit Gelust und Ungelust von den Unterthanen geschenkt und übergeben worden". Zum Neubau beizutragen, wollten sie sich nicht bereitfinden.

Der 1772 in die Mühlenpachtung eingetretene Johann Wilhelm Hassel bleibt auch nach Ablauf seiner Leihe Ende 1777 für weitere sechs Jahre Pächter und erreicht 1784 eine erneute Verlängerung bis zum 31. 12. 1789, die durch den Fürsten Christian Friedrich Carl Alexander von Brandenburg, Graf von Sayn und Wittgenstein, auf die Zeit vom 1.1.1790 bis 31.12.1795 ausgedehnt wird. Neu ist in den Pachtbedingungen, daß er das für die Wirte und Bierbrauer in der Mühle geschrotete Malz (Gerste) aufschreiben und vierteljährlich darüber Bericht erstatten soll.Für die Pachtung hinterlegt er 150 fl Kaution und bezahlt jährlich 184 fl und 76 Mesten Korn. Wir erinnern uns: 60 Jahre zuvor betrug die Pacht noch nicht einmal die Hälfte.

Damit er später nicht "unter dem Vorwand eines allzuhoch getriebenen Pachts" einen Nachlaß begehre, hat er "durch Hand und Mund angelobt", alle Pachtbedingungen, auch den Verzicht auf ein Nachlaßgesuch aus dem eben erwähnten Grund, einzuhalten.

(Fortsetzung im Heimat-Jahrbuch 1990)

1) Vgl. Rhein-Zeitung v. 4./5. 10. 86 "Weißes Mehl »schwarz« gemahlen"


II.Teil

(aus Heimatjahrbuch für den Kreis Altenkirchen 1991)

1810 gibt es im Amt Freusburg 8 Mühlen, in denen alle Getreidesorten gemahlen werden. Den Müllern steht an Mahllohn (Molter) die 18. Meste zu, bei Hafermehl die 12. Meste. Gewogen bzw. gemessen wird in 4 oder 8 Mühlen durch einen Wiegemeister, in den übrigen (darunter der Dickendorfer) mit dem Molterfaß.

Interessant ist ein Vergleich der Zahl der Familien, die auf die einzelnen Mühlen gebannt sind: die Alsdorfer hat 111, die Brachbacher 99, die Freusburger 193, die Dauersberger 110, die Dickendorfer 126, die Fischbacher 101, die Tüschebacher 55 und die Elkenrother 82 Mahlgäste.

Seit 1772 sind die Hassels Zeitpächter der Mühle gewesen. Die letzte Verpachtung auf eine bestimmte Zeit wird von der nassauischen Regierung zu Wiesbaden am 14.11.1811 für die Zeit vom 1.1.1812 bis 31.12.1817 um eine Jahrespacht von 284 fl und 76 Mesten Korn vorgenommen. Pächter ist der Sohn Christian des vorhin erwähnten Joh. Wilh. Hassel.

Christian Hassel ist im März 1816 mit den Verhältnissen um seine Mühle sehr unzufrieden. So entschließt er sich, knapp zwei Jahre vor Ablauf des Zeitbestandes, den Pachtvertrag zu kündigen. Zur Begründung führt er an, in diesen Wochen seien hin und wieder Wände (gemeint sind wohl Gefächer des Fachwerkbaues) eingefallen und es drohe der Einsturz des gesamten Gebäudes. Nur unter Lebensgefahr könne er darin arbeiten. Die Mahlgäste mieden seine Mühle und wanderten zu anderen (Mühlen) ab. Der ruinöse Zustand des Gebäudes ist schon 1815 für die fürstlich nassau-weilburgische Hofkammer Anlaß genug gewesen, das Gebäude abzureißen und einen Neubau zu verfügen. Die Kriegsereignisse (Schlacht bei Waterloo 1815 gegen Napoleon) und vor allem die zu erwartende Abtretung der seit 1799 mit Nassau-Weilburg vereinigten Grafschaft Sayn-Altenkirchen an Preußen haben den auf 942 Gulden veranschlagten Mühlenneubau vereitelt. Das ist nicht verwunderlich. Den Verlust ihrer Altenkirchener Landesteile hat man in Weilburg vorausgesehen und ist keineswegs geneigt gewesen, den Preußen noch schnell eine neue Mühle in Dickendorf zu erbauen. Hassels Aufkündigung seiner Mühlenpacht wegen des vom Einsturz bedrohten Gebäudes nimmt der neue Eigentümer der Mühle, der preußische Staat, nicht an und läßt im Frühjahr 1816 die Mühle "niederlegen". Über die Einrichtung verfügt der Staat nicht, hat er nicht verfügen können, denn der Vater des Pächters ist bei der Übernahme der Mühle 1772 zum Eigentümer des laufenden Geschirrs geworden, indem er es von seinem Vorgänger Johannes Euteneuer zu einem Preis von 105 fl 30 xr (Kreuzer) abgekauft hat.

Nach dem Abriß steht die Regierung dem Müller gegenüber in der Pflicht. Sie verweigert ihm einerseits, die Pachtung zurückzugeben, verlangt andererseits aber, weiterhin die Zahlung der erheblichen Abgabe in Geld und Frucht in einem Wert von etwa 400 fl. Um wenigstens bei Windstille und trockenem Wetter mahlen zu können, wird dem Müller über die Mühlengerätschaften ein provisorisches Dach errichtet. Das erlaubt jedoch keine volle Ausnutzung des Mahlvennögens der Mühle. Wen wundert's da, wenn die Kunden trotz Bannverpflichtung die Mühle meiden? Des Müllers Einnahmen gehen rapide zurück Zudem wird kaum Korn zum Vermahlen gebracht, sondern hauptsächlich Hafer und Gerste.

Im Frühjahr 1817 erstattet die Rentei (Finanzamt) Freusburg den von der Regierung angeforderten Bericht über die Verhältnisse der drei im Kirchspiel Gebhardshain gelegenen Mühlen. Neben der herrschaftlichen Mühle zu Dickendorf gibt es eine weitere herrschaftliche unterhalb Elben, die Dauersberger Mühle. Die dritte herrschaftliche Mühle, die Elkenrother, hat die Gemeinde Elkenroth "vor einigen Jahren" (1808) von der nassauischen Rentkammer zu Hachenburg gekauft. Alle drei Mühlen sind Bannmühlen. Als Ausweichmühle für die Dickendorfer, zu der die Dörfer Hommelsberg, Kotzenroth, Dickendorf, Kausen, Molzhain, Steinberg und Steinebach mit insgesamt 822 Personen mahlverpflichtet sind, böte sich wegen der Entfernung nur die Dauersberger an. Doch kann die, da sie nur einen Gang und auch nur Wasser für einen Gang hat, keine zusätzlichen Mahlgäste bedienen.

Einerseits besteht unter diesen Umständen eine Verpflichtung, den Bannmahlgästen die Möglichkeit zum Mahlen zu bieten, andererseits scheut die preußische Regierung die Kosten für einen Neubau. Eine Lösung scheint sich im Frühsommer 1817 abzuzeichnen: der Verkauf. Im Mai unterrichtet die Regierung den Landrat in Altenkirchen von ihrer Absicht, die Mühle zu verkaufen, und beauftragt ihn, die Gemeinden zu befragen, ob sie sich vom Mühlenbann loszukaufen gedenken. Gleichzeitig soll Hassel "vernommen werden", wieviel er für den Bann bezahlen will.

Die sieben Gemeinden, die zur Mühle gebannt sind, bieten für den Loskauf 124 Tlr. (Taler) und für den Fall, daß die Mühle auf Staatskosten aufgebaut und in Erbpacht vergeben wird, jährlich 100 Taler. Mit dem geringen Gebot von 124 Tlr. für die Befreiung vom Bann wird in den Gemeinden eine einmalige Chance vertan, was ihnen später noch viel Ärger bereiten wird.

Hassel offeriert für die gebannten Mahlgäste einschließlich der Wasserlaufgebühr (für die Benutzung des Bachwassers als Antriebskraft) jährlich 44 Tlr und erklärt sich bereit, die Mühle auf seine Kosten aufzubauen. Kurze Zeit später ist ihm der Ankauf der Mühle einschließlich des Mühlenzwangs 1000 Tlr wert, ohne diesen immerhin noch 555 Tlr.

Als die Bezirksregierung in Koblenz vom Berliner Finanzministerium den Bescheid erhält, daß ein Neubau auf Staatskosten nicht vorgesehen sei, weil das "gehende Werk Eigentum des Pächters ist und auf einen künftigen starken Betrieb nicht zu rechnen ist", also kein Gewinn zu erwarten sei, erfolgt die öffentliche Ausschreibung der "Mahlgerechtigkeit" auf Eigentum und ersatzweise auf Erbpacht.

Bei der öffentlichen Versteigerung am 29. August 1817 gibt Hassel das höchste Gebot ab. Für die Übertragung der Erbpacht bietet er 2525 fl und dazu eine jährliche Abgabe von 111 Talern 2 Groschen 8 Pfennigen. Falls jedoch derMahlzwangfürseine Kunden aufgehoben wird, weil er aus der Verpachtung entlassen werden.

Trotz der noch immer ausstehenden Entscheidung des Obereigentümers, des preußischen Staates, muß Hassel ein großes Interesse an der Übernahme der Mühle gehabt haben. Wie sonst ist sein Höchstgebot und seine Bereitschaft, die Mühle auf eigene Kosten zu erbauen, zu erklären? Sein Verdienst und die Arbeitsbedingungen sind seit Jahren keineswegs ermutigend:

- Er mahlt unter einem Behelfsdach. Beim geringsten Wind wird das Mehl "fortgejagt".

- Seine Kunden laufen ihm weg und lassen trotz Bannverpflichtung auf hachenburgischen Mühlen mahlen.

- Im Juli 1818 stürzt das "Gerüst" (das Behelfsdach) über dem Mahlwerk ein und zerschlägt den Wellbaum und das Wasserrad.

Die Regierung erlaubt ihm, zum Betrieb der Mahleinrichtung Reparaturen vorzunehmen, kann ihm aber noch keine Entscheidung mitteilen, denn der Behördenweg über Gebhardshain-Altenkirchen-Koblenz-Berlin und zurück ist lang und zeitraubend. Endlich, am 13. November 1818, kann, nachdem Berlin zugestimmt hat, der Erbkontrakt abgeschlossen werden.

Zu einer Jahrespacht von 111 Tlr. 1 Gr. 8 Pf. erhält er wie bisher die ausschließliche Mahlgerechtigkeit in den 7 gebannten Ortschaften unter folgenden Bedingungen:

- Ein Nachlaß an' der Pacht "findet unter keinerlei Verwande" statt.

- Falls der Mühlenzwang innerhalb von 10 Jahren aufgehoben wird, zahlt er jährlich nur noch 30 Tlr, bei Aufhebung nach 20 Jahren 40 Tlr und bei Wegfall der Bannverpflichtung nach 30 Jahren 50 Tlr.

- Er muß die Mühle auf seine Kosten aufbauen.

- Für Brennholz hat er selbst zu sorgen.

- Die Mahlgäste müssen das Gebäude, wenn es wieder aufgebaut ist, in "Dach und Fach" unterhalten, ebenso den Mühlenteich und -graben.

- Für einen neuen Mühlstein hat er 9 Gulden zu zahlen, der verbleibende Rest an Kosten fällt den Bannpflichtigen zur Last.

- Für das Anfahren der Mühlsteine hat er selbst aufzukommen.

Wir dürfen annehmen, daß Hassel noch im Herbst 1818 mit dem Neubau begonnen hat, wobei wohl kaum von einer soliden Bauweise gesprochen werden kann, wie sich schon nach wenigen Jahren herausstellen wird.

Der zu einem Teil über Kredite finanzierte Neubau, die hohe Erbpachtsumme und die bedeutenden jährlichen Pachtzahlungen stehen in keinem Verhältnis zu den Einnahmen, die Christian Hassel aus der Müllerei zieht. Das gesamte Mühlengeschäft ist ihm deshalb verleidet. Das drückt sich aus in seiner Eingabe an die Regierung vom 13.10.1824, worin er dem Staat seine Mühle um 1200 Taler zum Verkauf anbietet und die Entlassung aus der Erbpacht betreibt. Ohne Erfolg. Die folgenden Jahre sind gekennzeichnet durch Beschwerden, Klagen und Gegenklagen, Berufungen gegen den und von dem Müller.

Da klagt zunächst die Kreiskasse Altenkirchen gegen ihn, weil er seit über vier Jahren mit seiner Pachtzahlung in Rückstand geraten ist. Dann klagt Hassel gegen den Staat auf Entschädigung wegen Nichterfüllung der im Erbpachtbrief ausgehandelten Bedingungen. Es kommt zu Berufung und Gegenberufung. Bevor ein endgültiges Urteil ergeht, erreicht er, daß König Friedrich Wilhelm ihm durch "allerhöchste Kabinetts-Ordre vom 28.12.1828" ab 1.1.1828 die Pacht auf 70 Tlr ermäßigt und dieser Nachlaß auch auf die zurückliegenden fünf Jahre angerechnet wird. Weil aber auch dann noch 180 Tlr ausstehen, muß er um diesen Betrag die Mühle als Pfand hergeben.

1832 erhebt er eine Klage gegen die bannpflichtigen Gemeinden auf Unterhaltung des Mühlengebäudes. Die Bewohner der sieben Orte beauftragen daraufhin ihre Schöffen (Bürgermeister) zu einer Beschwerde gegen den Müller bei der Regierung. Dem Müller wird "unordentliches Benehmen" vorgeworfen. Es wird ihm nachgesagt, daß er das Gebäude vernachlässige, wodurch es "fast ganz gefachlos geworden ist, sodaß von allen Seiten Wind und Wetter eindringt". Die Verschlammung des Mühlenteiches, die fehlenden "Mühlenapparate", die ungeheizte Stube zum Aufenthalt der Mahlgäste im Winter und die Nichtbereitstellung eines Stalls für die Zugtiere der Kunden wird klagend erwähnt. (Für die Bauern von Hommelsberg beträgt die Anfahrt zur Mühle eineinviertel Stunden). Da ist auch die Rede von beliebigem Moltern und vom Nichtgebrauch der Waage. Ein Sack voll schwerer Vorwürfe!

Der Altenkirchener Renteibeamte beauftragt im Januar 1834 den Gebhardshainer Schultheißen (Bürgermeister) mit der Überprüfung der Beschwerden. Der findet bald heraus: Die Beschwerdeführer wollen dem Müller zuviel Schuld aufbürden, denn sie sind zum Teil für die Mißstände selbst verantwortlich. Das trifft vor allem auf die im Erbpachtvertrag ausdrücklich genannte Unterhaltung des Gebäudes in Dach und Fach durch die Bannpflichtigen zu. Soweit die Vorwürfe den Müller betreffen, erklärt sich dieser bereit, für Abhilfe zu sorgen.

Nachdem der Appell an die Gemeinden, für die Beseitigung der Schäden zu sorgen, ohne Wirkung bleibt, nimmt der von Hassel gegen sie beim Justizamt Freusburg am 27. 11. 1832 angestrengte Prozeß seinen Fortgang. Nun haben die Bewohner der sieben Dörfer die Scherereien. Durch ein entsprechendes Gebot auf Übernahme der Mühlengerechtigkeit wäre es den Gemeinden 1817 möglich gewesen, die Mühle selbst zu übernehmen und sich vom ärgerlichen Bann loszukaufen, so wie es einige Orte im Westerwald tatsächlich geschafft haben, wofür Elkenroth beispielhaft genannt sei.

Hassel will die auf seine Mühle verpflichteten Bannmahlgäste durch ein gerichtliches Urteil zwingen, ihrer Unterhaltspflicht für das Gebäude nachzukommen sowie für die evtl. notwendig werdende Anschaffung von Mühlsteinen ihren Beitrag zu leisten. Die Regierung unterstützt ihn in seinem Vorhaben, da ihr an dem guten Funktionieren des Staatsbetriebs Dickendorfer Mühle sehr gelegen ist. Um den weiteren Verlauf des Prozesses verstehen zu können, müssen wir uns den zwischen Hassel, den betroffenen Gemeinden und der Regierung außergerichtlich geführten Verhandlungen zuwenden.

Durch Vermittlung der Rentei Altenkirchen führen sie am 5. November 1835 zu einem Vergleich. Danach übernimmt der Müller sämtliche bisher von seinen Zwangskunden aufzubringenden Lasten und erhält dafür vom Staat eine Entschädigung in Höhe von 305 Er. Hassel muß sich zur Rückzahlung dieses Betrages einschließlich der aufgelaufenen Zinsen verpflichten, falls der Prozeß gegen die Gemeinden zu seinen Gunsten gewonnen wird. Mittlerweile soll die gerichtliche Klage durch Zeugenvernehmungen fortgesetzt werden. Doch mit den Zeugen gibt es Schwierigkeiten. Die Regierung hat die Gemeinderechnungen der sieben Ortschaften als Zeugen benannt. Die Gemeinden aber verweigern die Herausgabe. Aus den Rechnungen ließe sich nämlich ersehen, ob jemals von den Gemeinden ein Beitrag zur Unterhaltung des Mühlengebäudes und zur Anschaffung der Mühlsteine gezahlt worden ist.

Doch noch ist es zu früh, sich in den Gemeinden wegen des guten Gedankens auf Zurückhaltung der Belege selbst auf die Schulter zu klopfen. Bald nämlich erreicht die Gemeinden ein Urteilsspruch, der sie zur Herausgabe zwingt. So erscheint im Sommer 1835 der Gebhardshainer Bürgermeister als Vertreter der Banngemeinden "mit Säcken voller Gemeinderechnungen". Doch nun fehlt vor Gericht der Kläger Hassel, der trotz Aufforderung nicht erschienen ist. Es ergeht ein Urteil, wonach die Gemeinden die "Zeugen" zurückerhalten und Hassel zu den Kosten verurteilt wird. Dagegen legt die Regierung beim Justizsenat in Ehrenbreitstein Berufung ein, während Hassel seine Klage zurückzieht. Die Regierung aber möchte den Prozeß fortsetzen. Die Beklagten hingegen (die Gemeinden) weigern sich, sich auf weitere Prozesse einzulassen.

Mit dem Urteil vom 10. 2.1837, das der Regierung die Fortführung der Klage nicht gestattet (da sie ja nicht Mitkläger gewesen ist), scheint die leidliche Angelegenheit ein Ende gefunden zu haben. Ein gutes Ende für den Müller, der durch den Vergleich von 1835 entschädigt wird. Was soll er noch weiter gegen seine Kunden prozessieren? Hat er doch erreicht, was er haben wollte. Ein gutes Ende auch für die Gemeinden, die ihrer Unterhaltspflicht an der Mühle ledig sind, ohne etwas dafür bezahlen zu müssen. Ein ungutes Ende allein für den Staat, der den Müller entschädigt hat und gerne sein Geld zurückerhalten möchte. Das gelingt aber nur, wenn der Müller - wie es im Vertrag steht - den Prozeß gewinnt. Der aber ist ausgestiegen und wird seine Kunden in sein Gasthaus, Hassel betrieb in seinem Wohnhaus in Dickendorf eine Schankwirtschaft, eingeladen haben, um auf das Wohl der klugen Herrn in Koblenz einen Krug zu leeren. Die aber geben nicht auf. Sie suchen und finden vier unbeteiligte Zeugen außerhalb der Bannorte. Zum Erscheinen aufgefordert, verweigern diese jedoch die Vernehmung bei der Regierung. Unter diesen Umständen ist nur eine eidliche Aussage vor Gericht zu erreichen. Das erscheint Berlin kein gutes Zeichen für einen neuen Prozeß, weshalb der Geheime Staatsminister auch am 20. 9.1839 der Regierung in Koblenz den Bescheid zukommen läßt: "Es ist von der Wiederaufnahme des Verfahrens Abstand zu nehmen".

Im Verfolg der Mühlengeschichte macht das Lesen der Ausführungen über Beschwerden, Prozesse, Vergleiche und Untersuchungen schon fast schwindlig. Man sehnt die Zeit herbei, in der zu Dickendorf alles wieder seinen gewohnten Gang geht - im Gleichmaß eines Mühlrades. Die Zeit ist aber noch nicht gekommen. Hassel ist kein sanfter Müller, der sich den staatlichen Verfügungen vorbehaltlos unterwirft. Er ist ein Kämpfer, der sich auch nicht scheut, dem König im fernen Berlin seine Bitten und Beschwerden vorzutragen. Und das nicht nur einmal, sondern immer wieder, wenn er glaubt, ihm werde Unrecht zugefügt. Dabei scheinen ihn Absagen eher zu neuen Eingaben gereizt zu haben, anstatt das Wasser ruhig im Mühlgraben plätschern zu lassen. Auf diese Weise wird Dickendorf in Koblenzer und Berliner Amtsstuben bekannt und die Einlassungen des Dickendorfer Müllers zu einem Dauerbrenner bei den Behörden.

1845 hat der Müller nämlich wieder einen Grund gefunden, daß sich sowohl Provinzial- wie Zentralregierung mit ihm beschäftigen müssen. Das Gesetz vom 17.1.1845 über Entschädigung für aufgehobenen Mühlenzwang nimmt er zum Anlaß, eine Entschädigung zu fordern. Berlin lehnt sein Ansuchen unter Hinweis auf den 1818 abgeschlossenen Erbpachtvertrag ab. (Er sah für den Fall der Aufhebung des Mühlenzwangs nach 20 Jahren eine Jahrespacht von 40 Talern vor. 1828 hatte ihm der König aber schon eine Ermäßigung der Pacht um etwa 41 Taler eingeräumt, obwohl im Pachtvertrag ausdrücklich vermerkt war, daß ein Pachtnachlaß "unter keinerlei Verwande" geschehen könne und ihm eine Garantie des Mahlzwangs nicht dauernd verliehen worden sei).

Wie bei Klagen und Prozessen üblich, erfährt man auch etwas über den inneren Zustand des Streitobjekts. Aufgrund eines angeforderten Berichts schreibt die Rentei Altenkirchen 1847 nach Koblenz: Die Mühle ist aus Steinen erbaut, die Giebel in Fachwerk, das Dach mit Stroh gedeckt und das ganze Gebäude schlecht unterhalten. In der Stube, in der sich die Kunden aufhalten, bis ihre Frucht gemahlen ist, gibt es weder Tisch, noch Stuhl, noch Bank. (Dazu erklärt der Müller in seiner Stellungnahme__ . . wer sitzen wolle, suche sich ein Brett und einen Klotz und mache sich daraus eine Bank, ein Tisch sei überflüssig.")

Das Eishaus (=Radstube, in der das Mühlrad lief) ist aus Stein erbaut und hat ein Strohdach. Die Mühle hat einen Mahlgang. Das Auffschlagwasser kommt aus dem Elbbach, aus dem ein Graben in den kleinen Mühlenweiher führt. Außer der Radstube befindet sich alles in einem verwahrlosten Zustand.

Für den Müller liegt die Schuld für diese Zustände nicht bei ihm. Er schiebt sie auf den seit zwei Jahren aufgehobenen Mahlzwang, wodurch ihn die meisten Kunden (kein Wunder!) verlassen und Müller im Nassauischen aufgesucht haben. Nur die Dickendorfer, Kausener und Molzhainer kämen nach wie vor zu ihm. Die Gemeindevorsteher sehen das anders. Für sie liegt der Grund für das Ausbleiben der Kunden in der Vernachlässigung der Mühlenanlage und des Mühlengeschäftes durch den Müller und dessen Benehmen. Deshalb, so schließt die Rentei, kann er auch für seine Nachlässigkeit keine Einnahmeausfälle verlangen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Überblick über die Gemeindegrößen:

  Einwohner Haushalte
Dickendorf 109 16
Kausen 182 29
Molzheim und Steineberg 163 27
Hommelsbach 166 29
Kotzenroth 114 21
Steinebach 152 27
Seifen 77 17

Legt man diese 963 Einwohner in 162 Haushalten zugrunde, hätte Hassel ein gutes Einkommen haben müssen, denn viele seiner Berufskollegen hatten eine weniger zahlreiche Kundschaft.

Am 26. August 1848 ermächtigt Berlin die Koblenzer Regierung, die Pachtwegen des aufgehobenen Bannrechts der Mühlen auf den von der Rentei Altenkirchen berechneten Betrag von 32 Tlr 6 Sgr (Silbergroschen) 8 Pf zu ermäßigen. Das wären fast 8 Taler weniger gewesen, als im Erbpachtvertrag von 1818 für den Fall der Aufhebung des Mühlenzwangs nach 20 Jahren vorgesehen gewesen ist.

Dieser Betrag scheint Hassel aber zu hoch, obwohl ihm bekannt gewesen sein muß, daß die Pacht für die Dauersberger Müllerin Stinner bei nur 932 Mahlgästen sogar auf 331/2 Tlr festgesetzt ist. Im Gegenzug biete Hassel 11 Taler und läßt seinen Vorschlag durch einen Rechtsanwalt dem Finanzministerium in Berlin vorlegen. Das Ministerium geht darauf aber nicht ein und droht dem störrischen Müller Zwangsmittel zur Eintreibung der Pacht an. Wie schon mehrfach praktiziert, nimmt Hassel Zuflucht beim König - ohne Erfolg. Nun möchte die Koblenzer Regierung die Angelegenheit durch einen Vertrag auf die neue Pachtsumme von 32 Tlr endlich abschließen. Doch Hassel weigert sich und verlangt als Entschädigung für das durch Gesetz aufgehobene Bannrecht 1258 Tlr 10 Sgr oder Ersatz seiner für den Anbau der Mühle verausgabten 1875 Tlr. Schließlich kommt ihm Koblenz 1852 einen Schritt entgegen und beauftragt unter dem Vorsitz des Altenkirchener Regierungsrates Wilhelmy eine Kommission zur Einleitung eines schiedsrichterlichen Verfahrens. Es endet mit dem Vorschlag, die Pacht auf 9 Tlr 17 Sgr 6 2/3 Pf festzulegen. Diese geringe Gebühr wird aber von der Regierung zu Koblenz nicht akzeptiert.

Wieder wendet sich Hassel - ohne Erfolg - an den König und fordert Ersatz der Baukosten, diesmal nur 1500 Tlr. 1857 endlich ist er bereit, den Vorschlag von 1848 anzunehmen. Er möchte die auf rund 32 Tlr festgelegte Pacht ablösen, notgedrungen, denn ein in dieser Sache von ihm angestrengter Prozeß war im Jahre zuvor zu seinen Ungunsten entschieden worden.

Am 19. 9.1857 kommt endlich ein Vertrag zustande, wonach der Müller

- nicht das Ablösungskapital zahlt, sondern sich zu einer Rentenzahlung mit etwa 41 Jahren Laufzeit entschließt, womit er auf einen Nachlaß von 10% am Gesamtkapital verzichtet.

- Mit dem 1. Januar 1857 wird Hassel uneingeschränkter Besitzer der Mühle.

- Für den erfolglosen Prozeß muß er allein aufkommen und zusätzlich die halben Kosten der Ablösungsverhandlungen tragen.

1853 schon war innerhalb der Familie geregelt worden, daß Christian Hassels Sohn Friedrich Wilhelm die Mühle für 1200 Tlr erhalten soll. 1864 ist er deren Besitzer und löst in einer Summe von 603 Tlr 4 Sgr 5 Pf den Rest der Rente ab. Damit erlöschen die letzten Verpflichtungen dem einst herrschaftlichen, später staatlichen Obereigentümer der Mühle gegenüber. Wie jeder andere Bürger, Grundbesitzer und Gewerbetreibende entrichtet er fortan lediglich die Klassen-, Grund- und Gewerbesteuer.

Am 1. Oktober 1866 stirbt der streitbare Müller Christian Hassel im Alter von 75 Jahren; neun Monate später auch seine Frau und 1879 sein Sohn Friedrich Wilhelm. Im gleichen Jahr übernimmt Ferdinand Dietermann, Gatte der Tochter des F. W. Hassel, die Mühle. Deren Tochter Auguste heiratet 1899 den Gebhardshainer Karl Zöller, der fortan die Mühle betreibt. Er ist als hilfsbereiter und ehrlicher Müller in die Geschichte der Dickendorfer Mühle eingegangen. In seine Fußstapfen tritt sein Sohn, der Müllermeister Karl Zöller. Nach dessen Tod 1954 steht seine Frau Marie vor der Frage: aufhören oder weitermachen? Ihrer Initiative und ihrem Mut ist es zuzuschreiben, daß der Mühlenbetrieb aufrechterhalten wird.

Die Betreiberin der Dickendorfer Mühle, Frau Marie Zöller, Witwe des Mühlenmeisters Karl Zöller (gest. 1954)

Turbine und Mühlsteine drehen sich nicht mehr ununterbrochen wie früher, als bei reichlich Wasser drei Tonnen Getreide innerhalb 24 Stunden aufgeschüttet werden konnten. Wer seine Frucht aber zur Mühle bringt, der wird von der Müllerin prompt bedient. Dabei könnte gerade die Dickendorfer Mühle ein Geheimtip für alle Biokostbewußten sein, denn das Mahlen und Schroten geschieht in den beiden Gängen wie in alten Zeiten mit Mühlsteinen, und zwar zu Preisen, für die heute noch nicht einmal eine Raumpflegerin zu bekommen ist.

Es wäre schade, wenn die letzte Kundenmühle des Kreises mit ihrer gerade erst 35jährigen Einrichtung wie die anderen Mühlen ihrer Art zum Stillstand käme: Darum: Glück zu - auch für die kommenden Jahre!

 

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