Einst mahlte man Senf im Brexbachtal

Edwin Breiden

(veröffentlicht in "Wäller Heimat" - Jahrbuch des Westerwaldkreises 1998 - hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Westerwldkreises)

In vielen Windungen schlängelt sich der Brexbach auf einer Gesamtlänge von ca. 15 Kilometern aus dem nach Westen hin liegenden Quellgebiet des vordersten und hintersten Bach der Montabaurer Höhe zunächst durch die Gemarkung Grenzhausen (nahe Höhr). Von hier fließt er in Richtung Grenzau, wo unterhalb der Gemeinde Aisbach der von Ransbach herkommende Masselbach sich zu ihm gesellt. Von nun an beginnt der Brexbach kräftiger, an Wasser zunehmender, mitten durch Grenzau, dem idyllisch gelegenen Ort, in z. T. zerklüfteter Tallandschaft nach Sayn zu fließen, um sich dort im Schlosspark des Fürsten mit dem großen Saynbach zu vereinen und mit ihm gemeinsam den Rhein erreichen zu kön­nen.

Das Brexbachtal ist in seiner Eigenart und der mitunter wilden Schönheit nicht nur als Landschaftsteil des unteren Westerwaldes, sondern ebenso geschichtlich interessant. Dies gilt besonders durch das Vorhandensein vieler alter Mühlen, deren Geschichte sich durch vergangene Jahrhunderte hinzieht. Wenn auch das „Klappern" heute nicht mehr zu hören ist, so ist doch die Romantik der Mühlen für das Auge eines jeden Naturfreundes, der das Brexbachtal erwandert, sichtbar geblieben. Die meisten der Mühlen waren Getreide- oder Ölmühlen. Es folgten je eine Säge-, Farb-, Knochen-, Papier-, Hammer- und Senfmühle, wobei die Senfmühle wohl die einzigste ihrer Art im unteren Westerwald gewesen sein mag.

Der Brexbach, in hochsommerlichen Zeiten auch an seinem oberen Bachlauf noch einigermaßen wasserführend, eignete sich folglich besonders zur Anlage und zum Gebrauch der sog. „oberschlächtigen" Wasserräder als Antriebskraft (Wasserzuführung von oben her in die Schaufelkammern des Wasserrades). Ein solches Mühlrad besaß auch die seit über 80 Jahren verschwundene kleine Senfmühle, auf deren vagen Spuren versucht werden soll die Geschichte dieser Mühle zu erkunden.

Die Senfmühle und ihre Zeit

Wann die Mühle erstmals urkundlich erwähnt wurde, ist bis heute noch nicht ermittelt worden. Die Mühle dürfte jedoch vermut­lich gegen Ende des 17. Jahrhunderts erbaut worden sein (der Verfasser), da Anfang bis Mitte des 18. Jahrhunderts keine Mühlenrechte vergeben wurden. Bis Ende des 19. Jahrhunderts ist belegt, dass die Mühle zuletzt von den Eheleuten Jakob Breiden (1824-1878) und Maria-Luise, geb. Gerz (1823-1897), bewohnt war und selbige dort Senf vermahlten. Auch wurde mitunter für die in der Nähe befindlichen Euler bzw. Kannenbäcker, Ton auf einem Knacker grob vorgemahlen. Das Gebiet der Senfmühle, in der Gemarkung Grenzhausen liegend, gehörte zum damaligen Herzogtum Nassau bis 1866, als Adolf von Nassau der letztregierende Herr im österreichisch-preußischen Krieg sein Land verlassen musste, um es an Preußen abzutreten. Für die Müller des Westerwaldes hinterließ eine jede Epoche ihre Spuren, so auch im Jahre 1794, als der letzte Trierer Kurfürst Clemens Wenzeslaus vor den heranrückenden Franzosen Koblenz schnellstens verließ und über Montabaur nach Augsburg floh. Die Truppendurchzüge hinterließen meist Plünderungen und gar manche Brandschatzung, wobei die entlegenen Mühlen mitunter am Ärgsten betroffen waren. Das 19. Jahrhundert brachte karge Zeiten für die Bevölkerung des Westerwaldes. Die dementsprechenden Lebensverhältnisse waren verantwortlich für die in den Jahren 1850-1854 erfolgten größten Auswanderungen. Viele zog es nach Amerika, um dort ein neues und besseres Leben beginnen zu können. Manchem Müller dürfte der Mahlgeselle weggelaufen sein, da er ihn nicht mehr bezahlen konnte. Die ständig höheren Kosten bei Reparaturen am Walzenstuhl und Mühlrad, sowie die jährlich steigenden Gelder der Wasserlaufabgaben, drückten den Müller ebenso wie die hohen Zölle für das Mahlgut usw.! Hierein Beispiel aus dem Jahre 1826, It. Verordnungsblatt d. Herzogtums Nassau: Grenzhausen als Durchgangszollstätte des Zollamtes Selters hatte den Maßstab der Verzollung bei einem Zentner Senf und Senfmehl auf einen Betrag von 50 kr. (Kreuzer) festgelegt. Bei angemachtem Senf waren es 3 fl. (Nassauische Gulden) und 30 kr. (Kreuzer) pro Zentner.

Der Müller und seine Familie

Jakob Breiden, der letzte Senfmüller dieser Mühle, hatte wohl ein hartes Tagwerk zu bewältigen. Gottlob war er in den besten Mannesjahren und von kräftiger Gestalt.

Ehemalige Senfmühle um 1870; Grenzhausen.

Sein roter Haarschopf verriet ihn schon von weitem und ein jeder wusste, dass es der „Müllchesvetter", wie er von den Bewohnern der umliegenden Dörfer genannt wurde, war. Seine Frau stand ihm tagtäglich bei der schweren Arbeit in der Mühle zur Seite, nur so konnten sie die verschiedenen Abläufe in der Senfproduktion bewältigen. Als Maria-Luise, geb. Gerz, Schwester des Simon Peter Gerz in Höhr, im Jahre 1858 ersten Mutterfreuden entgegensah und im Verlaufe der kommenden Jahre ihrem Manne acht gesunden Kindern das Leben schenkte, sah sich Jakob Breiden gezwungen, fortan einen Mahlgesellen einzustellen, um die viele Arbeit zu bewältigen. Die Senfmühle lief in den ersten Jahrzehnten relativ gut und ernährte somit die immer größer werdende Familie recht zufrieden stellend. Auch konnten die Kinder, als sie etwas größer geworden, ihren Eltern bereits kleinere Arbeiten abnehmen. So musste das Vieh, etliche Hühner und zwei Ziegen, gefüttert werden, oder im Herbst nach jedem Sturm der ca. 350 Meter lange Mühlgraben von herabgefallenem Laub und Geäst, gesäubert werden. In den Wintermonaten, zumal bei strengem Frost, ruhte der sonst übliche Tagesablauf. Kleinere Reparaturen führte der technisch begabte Müller stets selbst aus und war bei allen Arbeiten immer guter Laune. Er hatte ein äußerst feines Gespür für alles Schöne in der Natur, das sich auf seine Kinder übertrug. Auch besaß der Senfmüller die Fähigkeit der Dichtkunst, was ihm besonders gelegen kam, wenn draußen klirrender Frost herrschte, dann las er inmitten seiner Kinderschar die von ihm verfassten lustigen Gedichte vor.

Im Jahre 1878 verstarb plötzlich und unerwartet Jakob Breiden, gerade einmal 54 Jahre alt, und hinterließ für die Witwe und ihre acht Kinder ein schweres Erbe. Maria-Luise Breiden, genannt „Müllches Luis", führte die Senfmühle in bescheidenem Maße alleine weiter. Als resolute Frau, in der Seele herzensgut, meisterte sie mit ihren drei ältesten Kindern gemeinsam die Senfherstellung für einige Jahre noch. Sie waren der Mutter eine große Hilfe, denn die Zeiten wurden für die Mühle immer schlechter.

Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung, hauptsächlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts, hatte die Senfmühle durch die immer stärker werdende Konkurrenz der an den Binnenhäfen entstehenden Groß­mühlen auf Dauer keine Chance zum Überleben. Das Mühlensterben nahm allgemein seinen Lauf, und so musste die Witwe die Senfproduktion einstellen. Zum Glück hatte „Müllches Luis" seit einigen Jahren, als zusätzliche Einnahmequelle, eine kleine Wirtschaft in ihrer guten Stube betrieben, was ihr jetzt zugute kam. Manche Wanderer, Förster, oder Holzfäller, kehrten bei ihr ein. Auch Hirten zogen im Herbst mit ihren großen Schafherden an der Mühle vorbei, hier machten sie immer wegen der satten Talwiesen erst einmal eine dreitägige Rast, bevor sie in Richtung Nauort weiterzogen. In den gestrengen Wintermonaten, wenn oberhalb zwischen Neumühle (sog. Justemüll) und Senfmühle an den dort gelegenen Teichanlagen viele Männer sich als Eismacher betätigten, um das so gewonnene Eis zu angemessenen Preisen an die Metzger und Gastwirte im Umkreis zu liefern, nahmen sie ebenfalls ihre Mahlzeiten bei der Witwe ein. So wurde aus dem Nebenerwerb ein Haupterwerb der einen, wenn auch bescheidenen, einigermaßen sicheren Lebensunterhalt bot.

In der Mühle wurde es mit der Zeit etwas ruhiger, waren doch die Kinder jetzt erwachsen und gingen ihre eigenen Wege. Viele waren im Leben erfolgreich, beispielsweise Joh. Albert Breiden, im „Moster müllche" als zweiter Sohn von acht Kindern geboren, verließ 1883 die Mühle, um sich mit seinem späteren Schwager, Peter Dümler, selbständig zu machen. Sie gründeten die Keramikfabrik Dümler & Breiden, welche durch ihre kunstvollen Keramiken weltweit bekannt wurde. Die ersten Enkel erfreuten alsbald das Herz der Großmutter Maria-Luise, verwitwete Breiden. Oft kamen die Enkel mit ihren Eltern und schauten gerne zu Großmutters Mühle rein. Dann wurde im Mühlenhof bei den Tieren gespielt oder Großmutter las die lustigen Gedichte von Großvater vor.

Am 9. Januar 1897 verstarb die von allen geliebte Mutter und Großmutter „Müllches Luis" im gesegneten Alter von 74 Jahren und folgte somit fast 20 Jahre später ihrem Mann in den Tod. Ihr Leben war hart! Bis in ihr hohes Alter hinein legte sie niemals die Hände in den Schoß und blieb für die Nachfahren unvergessen.

Das Ende der Mühle

Als im April des Jahres 1914, kurz vor Mitternacht, die Einwohnerschaft von Grenzhausen und Höhr durch Feueralarm aus dem Schlaf gerissen wurde, konnte zunächst niemand ahnen, dass die am oberen Brexbach gelegene kleine Senfmühle (die im Volksmund als „Mostermüllche" bezeichnet wurde), in hellen Flammen stand. Der Feuerschein machte sich zuerst in Richtung der Farbwerke zu bemerkbar. Es stellte sich inzwischen heraus, dass die Mühle mitsamt den dazu gehörenden kleineren Anbauten, bereits bis zur Hälfte niedergebrannt war. Die Feuerwehren von Grenzhausen und Höhr wurden schnellstens alarmiert, jedoch war beim Eintreffen der Wehren die Mühle schon ziemlich ausgebrannt, so dass ein Eingreifen nicht mehr notwendig wurde.

Besonders gefährdet war durch die herumfliegenden Funken der direkt hinter der Mühle angrenzende Wald. Es war nur der einigermaßen herrschenden Windstille zu danken, dass das Feuer nicht übergreifen konnte. Das Kreisblatt des Unterwesterwaldkreises berichtete in seiner Ausgabe Nr. 63 am 23. April 1914 über den Brand der Mühle.

Die Brandursache konnte später eigentlich nie so richtig ermittelt werden. Ein Wiederaufbau der Senfmühle lohnte sich nicht mehr, zumal einige Monate später der Erste Weltkrieg ausbrach und ein solches Ansinnen sowieso zunichte gemacht worden wäre.

Anmerkung

Nicht einmal die Reste der Grundmauern zeugen heute von der Existenz dieser Senfmühle, lediglich der ehemalige Mühlgraben ist stellenweise noch ersichtlich und erinnert daran. Die damals vor­handenen Bruchsteine wurden bei den Reparaturen der in der Nähe befindlichen Waldwege mitverwendet. Die Stelle an der die Mühle stand, ähnelt heute eher einem stillgelegten Steinbruch. Eine ca. sechs Meter hohe behauene Felswand hangseitig, lässt die Stelle vermuten, an der sich die nach Nordwesten befindliche Längsseite des Mühlengebäudes einmal anlehnte.

Schlussbemerkungen

In meiner Kindheit hatte mir mein Vater, Adolf Breiden (1896-1948), ein kleines Wasserrad, im Durchmesser  von  etwa

Geländevermessung der Mühle

Original-Luftaufnahme, vergrößerter Ausschnitt/August 1914.

50 cm, gebaut. Künftig hieß es oft an Sonntagen, bei schönem Wetter: „Hout giehmä and Müllche (ehem. Senfmühle), onn lohsen datt Wasserrädchö enn der Bräx loofe!" Mutter nahm ihren selbstge­backenen Kuchen und etwas zum Trinken mit, und schon ging es zum Brexbachtal. Ab dem Moment, wo sich das hölzerne Rad im Wasser drehte, erzählte mein Vater im­mer die schönsten und interessanten Geschichten von der Mühle und der Großmutter. Als die Müllches-Großmutter verstarb, war er 11 Jahr alt gewesen und konnte sich folglich noch an viele Begebenheiten erinnern.

Aufgrund dieser damaligen Erzählungen meines Vaters, konnte ich (der Verfasser) bereits 1972 die Stelle der Senfmühle ermitteln, was mich später, im Januar 1996, dazu veranlasste, die dortigen Gebäudespuren im Gelände zu vermessen, um sie der Nachwelt zu erhalten.

Die Senfmühle dürfte wohl eine der kleinsten Mühlen ihrer Art im Westen Deutschlands gewesen sein.

Bei der Bevölkerung in und um Höhr-Grenzhausen geriet die Mühle im Laufe der vielen Jahrzehnte immer mehr in Vergessenheit. So soll einmal, nach dem Willen der jetzigen Nachfahren, zur Erinnerung an das „Mostermüllche", an der einstigen Stelle ein Markierungsstein mit dementsprechender Inschrift aufgestellt werden.

Literatur und Quellen:

Alles über Senf, Broschüre des Verbandes der Deutschen Senfindustrie e.V., Bonn, 1. Auflage.

Das Senfbrevier, Mitwirkung d. Deutschen Senf­industrie e. V. Bonn, in Verbindung m. Kochstudio der Frauenzeitschrift FÜR SIE, Hamburg.

Lasterbacher Hefte, Mühlen im Raum Rennerod, von Wolfgang Gerz, Oberrod, Ausgabe 4/1995.

Jahrbuch Wäller Heimat, Mühlen u. Müllerschicksale - Teil 1 -, von Josef Kläser, Ausgabe 1997.