Mühlenreiches Hirtscheid
Kleiner Ort mit langer Mühlentradition
Veröffentlicht
in: "Wäller Heimat" - Heimatbuch des Westerwaldkreises Jahrgang 2002
(hier
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Westerwaldkreises)
Josef Kläser
Überraschend zahlreich waren in dem Alpenroder Ortsteil Hirtscheid Mühlen vertreten, und zwar in erstaunlicher Vielfältigkeit. Je zwei Mahl-, Öl- und Schneidmühlen lassen sich im Laufe von über 500 Jahren nachweisen. Ihre Gebäude wurden während dieser Zeit zu sehr unterschiedlichen (Gewerbe-) Betrieben umfunktioniert. Wir richten unser Augenmerk diesem geschichtlichen Abriss auf die beiden Getreidemühlen, von denen eine noch breit und behäbig den Talgrund der Großen Nister am Ortsausgang in Richtung Hachenburg beherrscht, die Talmühle. Sie hat zwei Vorgängerinnen: die private Talmühle (Neumühle) am selben Standort und die einst herrschaftliche Bannmühle mehr in Ortsnähe. Nachdem 1788 die erste - privat betriebene - Talmühle der Spitzhacke zum Opfer gefallen war, entstand an ihrer Stelle eine neue, die der sayn-hachenburgischen Landesherrschaft unterstand. Sie übernahm die Funktion als Zwangsmühle für das Kirchspiel Alpenrod mit den ihr zugewiesenen Mahlgästen aus Alpenrod, Dehlingen, Hirtscheid und teilweise von Korb und Lochum. Um nicht dem Verwirrspiel von Namen und Besitzern zu verfallen, wenden wir uns zunächst der ältesten Hirtscheider Mühle zu.
Die herrschaftliche
Kirchspielsbannmühle
Auch wenn die
schriftliche Überlieferung erst 1568 einsetzt, dürfen wir die Existenz der
gräflich-saynischen Bannmühle schon längere Zeit vorher annehmen. Sie wird bis
gegen Ende des 18. Jahrhunderts meist auf sieben Jahre für eine gewisse Abgabe
in Form von Naturalien und/oder Geld an Interessenten verliehen. Als erster namentlich
genannter Leihnehmer der Mühle „vur dem Hirtscheidtt" erscheint 1571
Mollers Johann von Alpenrod und seine Mutter Demut. (Bei dem Wort
„Moller" kann es sich sowohl um den Familiennamen Moller (Müller)
als auch um die Berufsbezeichnung Müller handeln.) Die Jahrespacht beträgt 20
Malter Mühlenfrucht, halb Korn und halb Gerste. Außerdem hat der Müller
jährlich ein feistes Schwein im Wert von 3 fl (Gulden) sowie 24 Kapaune
(kastrierte Masthähne) zu liefern. Weitere Zeitpächter sind: Michael Mulner (vor
1599), Thonis von Borod (1599-1603), Christmann, „den ehrbaren Mollners
Sohn von Korb" (1603), der außer 70 Rädergulden zwei Mühlenschweine und
ein Mühlenkalb mästen muss. Nach Zerstörungen im 30-jährigen Krieg (1618-1648)
liegt die Mühle lange Zeit still und wird vermutlich erst nach 1650 wieder
aufgebaut, denn noch 1649 gehen keine Abgaben von ihr beim gräflichen
„Finanzamt", der Kelterei, ein. Zur Begründung heißt es, die
„Alpenroder Mühle" liege wüst. Pächter wird vermutlich bereits ab
1653 Philipp Röder von Nassen (Gemeinde Racksen, VG Altenkirchen), der für jedes
Pachtjahr vier Malter „Molterfrucht (Fruchtgemenge), weil es dort keine
anderen Früchte gibt", schuldig ist. Nach dessen Tod 1692 berichtet sein
Sohn und Nachfolger, der Vater habe die Mühle bei der Übernahme „ganz
verwüstet" angetroffen, sie wieder „in guten Bau gebracht" und
fast 40 Jahre betrieben. Einige Jahre vor dem Ableben des Philipp Roder
gestattet ihm Graf Salentin Ernst von Manderscheid, der verwitwete Gatte der
sayn-hachenburgischen Erbgräfin Ernestine (t 1661), 1686 den Bau einer Ölmühle
am Mühlgraben oberhalb der herrschaftlichen Mahlmühle. Der Bitte von Röders
Sohn Peter, nach dem Tod seines Vaters, die noch nicht abgelaufene 12-jährige
Pachtung von 1685 fortsetzen zu dürfen, wird nicht entsprochen. Stattdessen
erhält 1693 der gräfliche Kutscher Franz Geitlinger von Gräfinwitwe Magdalena
Christina eine siebenjährige Belehnung für eine Jahrespacht von 10 Malter
Molterfrucht, einem Schwein und einem halben Malter Breimehl. Die Pachtperioden
für Geitlinger werden bis 1717 mehrfach verlängert. Während dieser Zeit wird am
Platz der heutigen Talmühle eine weitere Mahlmühle in Hirtscheid, die erste
Talmühle, erbaut.
Konzession und Bau der
privaten Neumühle
Anfang des 18. Jahrhunderts
verändert eine Betriebskonzession die Mühlenverhältnisse im Kirchspiel
Alpenrod. Die zuvor genannte Gräfin Magdalene Christina gestattet 1706 dem
Kirchspiel, eine Mühle „unfern" der bestehenden Hirtscheider Mühle
auf eigene Kosten zu erbauen. Als Grund für den Neubau wird angegeben, die
einzige Mahlmühle könne die ihr zugewiesenen Gäste nicht immer zügig bedienen.
Um eine Unterhöhlung der Bannverpflichtung zu vermeiden, wird der neuen
Einrichtung die Beschränkung auferlegt, für die Zwangskunden der Bannmühle nur
dann mahlen zu dürfen, wenn die herrschaftliche Mühle wegen eingeschränkter
Möglichkeiten dazu nicht in der Lage sei. Trotz der Einsprüche des Bannmüllers
wird die Privatmühle gebaut. Ab 1708 sind Johann Peter Schuh(mann) und bald darauf
zusammen mit Peter Pick die ersten Betreiber. Im Laufe der kommenden Jahre
werden die Pächter dieser „Neumühle" deren Eigentümer, und zwar
Heinrich Becker (vor 1738), Johann Anton Müller (1759), Johann Dönges (1770)
und Anton Müller, der sie 1777 loswerden möchte.
Auseinandersetzung
wegen des Bannrechts und Klagen gegen den herrschaftlichen Mühlenpächter
Fast zwangsläufig
kommt es wegen des Bannrechtes der herrschaftlichen Mühle bald nach
Ingangsetzung des neuen Betriebes zu Streitigkeiten zwischen dem Bannmüller
und dem Privatmüller. Ersterer wirft dem anderen vor, ihm die Kunden
wegzulocken, während dieser dem Bannmüller unterstellt, schlechtes Mehl herzustellen
und dafür auch noch zuviel zu moltern, d. h. zuviel als Entlohnung für seine
Arbeit von dem angelieferten Getreide abzuziehen. Eine elegante Lösung beendet
diesen Streit, indem 1717 die Pächter der Kirchspielsmühle Peter Schuh und
Peter Pick für sieben Jahre zugleich als Pachtnehmer der Bannmühle eingesetzt
werden. Trotzdem - oder gerade deswegen -sind die Kunden unzufrieden. Der
schlechte Bauzustand der herrschaftlichen Mühle kann sicher nicht dafür
verantwortlich gemacht werden. Vielmehr liegt es an den Pächtern, deren
Vertrag deshalb auch 1724 nicht erneuert wird. An ihre Stelle als neuer
Bannmüller tritt Schultheiß Johann Georg Zeimer von Alpenrod. Nach zeitweiliger
Belehnung an Georg Wilhelm Schuh (1731-1738) übernimmt das Kirchspiel den
Bestand und vertraut das Mahlgeschäft dem gewesenen Nistermüller und
vormaligen Talmüller Johann Heinrich Becker an. Nach einer erneuten siebenjährigen
Pachtperiode zugunsten von Georg Wilhelm Schuh, tritt 1752 mit Johann Christ
Müller erstmals ein Zeitpächter auf, der anstatt der Naturalpacht, 128 Rtlr
(Reichstaler) an Geld zu entrichten hat. Während dessen dritter Bestandszeit
(1766-71) kommt es zu Klagen der Gäste gegen den Müller. Ihm werden Vernachlässigung
des Mühlenbaues und Eidverletzung vorgeworfen, weil er das Mahlgeschäft
seiner Frau und seinen Kindern überlasse, die Kunden unnötig lange warten
lasse und außerdem den sechsten, siebten oder achten Teil statt des vorgeschriebenen
Sechzehnten moltere. Als weitere Beschwerde führen die Mahlkunden des
Kirchspiels an, er „verderbe" die Frucht derart, dass sie oft nicht
zum Backen verwendet werden könne. Deshalb beantragen sie eine Übertragung der
Mühle an das Kirchspiel, wie es schon einmal nach einer Beschwerde gegen den
Müller 1738 gestattet worden sei. Als neuen Pächter schlagen sie Philipp Röder
von Hirtscheid oder Johann Peter Öhl von Lochum vor. Indem es gelingt, den
bisherigen Pächter vor Beendigung seiner Bestandszeit zum Rücktritt zu
bewegen, kann Philipp Röder 1769 mit einem Gebot von 110 Rtlr Mühlenpacht
Nachfolger werden. Mit ihm geht die Geschichte dieser Mühle an ihrem
bisherigen Standort zu Ende.
Mühlentausch und Abbau
der Talmühle
Vordergründiger
Auslöser für die Veränderungen 1777 ist die Absicht von Johann Anton Müller,
des Besitzers der privaten Talmühle, wegen „Unpässlichkeit" seinen
Mahlbetrieb, der in Anbetracht des bestehenden Bannrechtes der benachbarten
gräflichen Mühle nie so recht zur Blüte gelangt ist, der Landesherrschaft
abzutreten. Die zuständige saynische Rentkammer in Hachenburg ergreift die
Gelegenheit, die ihrer Verwaltung unterstehende, nur mit einem Mahlgang zum
Schroten ausgestattete, im Sommer unter Wasserarmut leidende und zudem sehr
baufällige Kirchspielsbannmühle durch einen Neubau zu ersetzen. Sie bietet
deshalb dem Talmüller folgendes Tauschgeschäft an:
- Er soll auf das
Baugrundstück seiner Mühle, mit der Bedingung, die Talmühle im kommenden Jahr
abzureißen, verzichten. Als Gegenleistung wird ihm der Platz und das Gebäude
der Bannmühle -jedoch ohne Mahleinrichtung - als Eigentum übertragen,
zusätzlich erhalte er 100 fl in bar.
Aus der
Parallelüberlieferung von Akten der oranischen Regierung in Dillenburg
(zuständig für Büdingen), lässt sich für den erforderlichen Neubau einer
Bannmühle auch noch ein „Hintergrund" ausmachen. Die saynische
Bannmühle in Hirtscheid bezieht ihr Wasser zum Teil aus einem vom
„Grenzbach" (Hornister, Enspeler Bach) abgeleiteten Mühlgraben. Für
das deswegen auf oranischer Seite angelegte Wehr hat der Müller jährlich 3 fl
zu entrichten. Als er 1776 die Zahlung einstellt, wird das Wehr entfernt,
wodurch die Mühle zusehends verfällt. Vorder- und hintergründige Ursachen
haben also einen Neubau notwendig werden lassen, der in der zweiten - nun
herrschaftlichen - Talmühle seine Verwirklichung findet.
Bau und Betrieb der
neuen Talmühle
Der 1777 begonnene
Neubau der Bannmühle bietet für die Bewohner des Kirchspiels eine willkommene
Verdienstmöglichkeit. Davon profitieren auch Witwen als Tagelöhnerinnen mit
einem Tagesverdienst von 9 alb (Albus = Weißpfennig, 1 Rtlr=54 alb). Jedoch
sind auch erhebliche Lasten der Mühlenkunden wie bisher mit der alten, so auch
mit der neuen Bannmühle verbunden: Stellung des Brennholzes zum Heizen des
Wartezimmers während des Mahlvorgangs, Anfuhr der Mühlsteine und Reinigung der
Mühlgräben. Von der zuletzt erwähnten Arbeit sind die Hirtscheider Bauern
befreit. Stattdessen müssen sie helfen, die Mühlsteine aufzulegen und im
Winter das Eis in den Mühlgräben aufhauen. Als kleine Entschädigung bekommen
sie dafür die Kleien von allem Hafermehl, das sie in der Mühle bereiten lassen.
Die neue Talmühle
garantiert durch ihre Wasserzuführung - sowohl aus der Großen Nister und der
Hornister als auch aus einem von der Hornister gespeisten Weiher - auf die
beiden Wasserräder eine ausgezeichnete Auslastung des Schrot- und Beutelganges,
der Fegemühle sowie auch der Möglichkeit zur Herstellung von Breimehl aus
geröstetem Hafer.
Wenn nach dem ersten
Pächter des neuen Betriebes, Johann Martin Pick von Erbach, auch der
nächstfolgende, Philipp Röder von Hirtscheid, vor Beendigung der Pachtzeit die
Mühle verlassen hat, müssen dafür schwerwiegende Gründe vorliegen. Zum einen
halten sich die Kunden nicht an die Bannpflicht, weshalb sie 1779 von der
Landesherrschaft ermahnt werden müssen, es liege, nachdem die Mühle nun
„in guten Stand" gebracht worden sei, kein Grund mehr vor, bei
fremden Müllern mahlen zu lassen. Den „Sündern" wird angedroht, im
Weigerungsfall „beim Teich" arbeiten zu müssen (den Mühlgraben zu
säubern). Zum anderen werden nur geringe Mengen Frucht zur Mühle gebracht,
kaum Weizen, wenig Roggen, hauptsächlich Hafer und Mengfrucht. Zum dritten leidet
das Mühlenwesen in der Grafschaft Hachenburg unter der Ungeschicklichkeit der
Müller, besonders in Bezug auf die Herstellung von Weiß- und Breimehl. Um dem
abzuhelfen, lässt Graf Johann August in Thüringen - wo die Herrschaft Farnroda
bei Eisenach seiner Landeshoheit untersteht, und wo das Mühlenwesen einen
höheren technischen Stand erreicht hat -nach einem tüchtigen Müller Ausschau
halten. Forstrat Armack gelingt es, von dort den Müller und Mühlenarzt (Mühlenbauer
und -reparateur) Georg Streuber ins Hachenburgische zu verpflichten. Hier
versieht er zunächst den Dienst in der Nistermühle bei Hachenburg und betätigt
sich auftragsgemäß als Berater der übrigen Müller in der Grafschaft. 1790 wird
ihm die Verwaltung der Hirtscheider Mühle übertragen. Da Streuber noch
unverheiratet ist, folgt er der Weisung seines neuen Auftraggebers, indem er
zur Führung eines eigenen Haushaltes einen Mahlknecht, eine Magd, eine Kuh und
zwei Schweine hält. Als Entlohnung bekommt er selbst 26 Rtlr, der Knecht 16 und
die Magd 10 Rtlr, außerdem Fleisch-, Frühstücks- und Biergeld von zusammen 34
Rtlr, dazu ein Schwein, die Milch von der Kuh und das zum Brot backen
notwendige Mehl von der eingenommenen Molter. (Einen Mühlstein aus der Eitel
zu holen, kostet um diese Zeit soviel wie zwei Mägde an Jahreslohn erhalten.)
Eine eigens entworfene „Instruktion" verpflichtet den Müller zu
Höflichkeit, Freundlichkeit und Ordnung, zu sittlichem Lebenswandel und zu genauer
Buchführung über das Gewicht des angelieferten Getreides sowie des daraus
bereiteten Mehls. Für die Landesherrschaft bedeutet die Selbstbewirtschaftung
der Mühle gegenüber einer Verpachtung eine Gewinneinbuße, etwa 40 Rtlr zu 120
vorher.
Ab 1801 wird die Mühle
wieder in Pacht vergeben, da der mittlerweile 69-jährige Streuber seinen Dienst
als „Geiselmüller"
(Mühlenangestellter)
wegen eines beim Auflegen eines Mühlsteins erlittenen „Leibes
Schadens" nicht mehr wahrnehmen kann. Unter mehreren Bewerbern kommt
Albertus Müller, der Sohn des Johann Christ Müller, der 24 Jahre Mühlenpächter
gewesen ist, zum Zuge (1801-1807). Die Übernahme ist sehr begehrt. So ist z.B.
1801 Müller Christian Groß von Korb daran interessiert, und 1803 will der Müller
Philipp Hummerich sogar seine Privatmühle in Gehlert verkaufen, um Erbleihmüller
in Hirtscheid zu werden. Doch das erreicht erst 1807 Anton Leyendecker von
Gehlert. Es ist die Zeit, dass sich die nun zuständige nassauische Hofkammer in
Weilburg dazu entschließt, die Zeitpachtverhältnisse mehrerer herrschaftlicher
Mühlen in eine Erbpacht umzuwandeln. Die Jahrespacht, die zuletzt 140 Rtlr
betragen hat, stellt sich für Leyendecker nach Erwerbung des Untereigentums im
Wert von 700 Rtlr, auf 100 Rtlr, zwei große Matter Korn und sechs große Matter
Hafer. Damit unterscheidet sich die Erbpacht nur unwesentlich von der
Zeitpacht vorher.
1818 wird dem
Erbleihmüller Leyendecker gestattet, in dem alten Kellerbau ein Backhaus
einzurichten und 1819, in einem Anbau eine Ölmühle zu betreiben. (Näher am
Dorf arbeitet bereits seit 1744 die Ölmühle der Gebrüder Jung.) Durch die
Errichtung eines Neubaues befindet sich seit 1840 die Ölmühle in der Mitte des lang
gestreckten Gebäudes zwischen Mahlmühle (links) und Stall (rechts). (In der
Zeichnung hinter der mittleren Tür.)
Als Anton Leyendecker
das Alter von 62 Jahren erreicht hat, gewährt ihm die nassauische
Domänenverwaltung 1850 die Vergünstigung, die Erbleihe auf seinen 36-jährigen Sohn
Jakob zu übertragen, der 1858 das Backhaus aus dem Keller in ein neues Gebäude
jenseits des Mühlgrabens verlegt.
Die wirtschaftlichen
Verhältnisse der Müllerfamilie
Über die
Verdienstmöglichkeiten des Hirtscheider Bannmüllers berichtet die Rezeptur Hachenburg
1867 - im Zusammenhang mit dem von Leyendecker angestrengten Zivilprozess
wegen Durchsetzung des Bannrechtes - der nunmehr
preußischen
Domänenverwaltung bei der Regierung in Wiesbaden, das Einkommen des Müllers sei
„unbedeutend". Ausschlaggebend dafür sei der Umstand, dass die
Bannmahlgäste größtenteils zu der „unvermögenden Classe" gehören,
die bei den vorherrschenden hohen Preisen, die von ihnen geernteten geringen
Fruchtmengen lieber verkaufen als sie vermahlen zu lassen und sich stattdessen
mit dem Verzehr von Kartoffeln behelfen. Die fortgesetzte Verletzung der
Mahlverpflichtung - insbesondere der Bannpflichtigen von Korb und Lochum - hat
bereits Jahrzehnte zuvor zu Auseinandersetzungen geführt. So erläutert 1842
der Hachenburger Rezepturbeamte Fritze seiner vorgesetzten Behörde, der
Besitzer der benachbarten Korber Mühle sei zugleich Schultheiß
(Bürgermeister). Er unternehme nichts gegen die Bannverletzung seiner
Mitbürger, sondern benutze sein „Dienstansehen bei der Gemeinde", dass
kein Einwohner an seiner Mühle vorbeigehe. Folglich habe der Hirtscheider
Müller schon seit Jahren niemand mehr von Korb in seiner Mühle gesehen. Obwohl
die Korber seine Mühle mieden, müsse er anteilmäßig für sie Pacht zahlen.
Wegen Erfolglosigkeit all seiner bisherigen Bemühungen zur Durchsetzung der
Bannpflicht schlägt der Beamte deshalb vor, die nicht
Die Aufhebung des
Mühlenbannes und die Ablösung der Erbleihe
Die ab 1868
geschaffenen gesetzlichen Voraussetzungen setzen die Erbleihmüller in die Lage,
ihre Verpflichtungen gegenüber dem Obereigentümer, der königlich-preußischen
Domänenverwaltung, abzulösen. Für den Hirtscheider Müller vermindern sich durch
die Aufhebung des Bannrechtes seine Pachtzahlungen um ein Drittel. Den
verbleibenden Rest löst er ab 1870 mit dem 14fachen Betrag für den
Wasserlaufzins und dem 20fachen für die Erbleihe, im Gesamtwert von ca. 1228
preußischen Talern oder 3684 Mark ab. Ab 1874 ist Jakob Leyendecker, der
bisherige Untereigentümer der Mühle, deren uneingeschränkter Eigentümer.
Infolge der Aufhebung
des Bannrechtes 1868, tritt für die Mühlenkunden in doppelter Hinsicht eine
Erleichterung ein, indem sie nicht mehr verpflichtet sind, nur in einer genau
bezeichneten Mühle mahlen zu lassen. Außerdem müssen sie das zu mahlende
Getreide - sofern sie weiterhin die Hirtscheider Mühle in Anspruch nehmen -
nicht mehr wie bisher zur Mühle bringen. Deshalb sieht sich Müller Leyendecker
gezwungen, eine „Fuhre" anzuschaffen und einen Knecht für den Transport
von Getreide und Mehl von bzw. zu den Kunden einzustellen. Die von seinem Vater
1819 installierte Ölpresse in dem Mühlengebäude wird seit Ende der 1860er Jahre
nicht mehr genutzt.
Eine ungewöhnliche
Kombination: Mühle mit Molkerei
Gegen Ende des 19.
Jahrhunderts treten Funktions- und Besitzänderungen ein. Am 11. Juni 1885
verkauft der Witwer Jakob Leyendecker für 23.750 Mark das Mühlenanwesen an
August Seelgen von Wiesbaden. Der neue Besitzer richtet dort die Molkerei
„zur Talmühle" ein. Jedoch bereits im Frühjahr 1887 gerät Seelgen
ins Räderwerk der Mühle und verunglückt tödlich. Seine Witwe veräußert - als
Vormünderin ihrer unmündigen Tochter - die mit 32.450 Mark belastete Immobilie
am 21. Oktober 1887 für 28.000 Mark an den aus Wittenberg in
Mecklenburg-Schwerin stammenden Otto Schultz, der den Mahlbetrieb und die
Molkerei fortsetzt Aber bereits am 1. August 1893 verkauft er mit einem Verlust
von 8.000 Mark das Wohnhaus mit Mahlmühle, die Ölmühle, eine Scheune, mehrere
Ställe und Wiesen, den Weiher und die Mühlgräben sowie das Backhaus am Rande
des Alpenroder Gemeindewalddistriktes „Mühlenhahn" an die
verschwägerten Ehepaare Karl Ludwig Müller und Hermann Panthel je zur Hälfte.
Ab 1896 sind die Eheleute Hermann Panthel und Pauline geb. Müller Alleinbesitzer.
Zur Ausdehnung seines Geschäftes erhält Müller Panthel 1911 auf Antrag die
Konzession, die bisher privat genutzte Bäckerei, die sich im Gebäudeteil der
ehemaligen Ölmühle befindet, als Gewerbebetrieb zu führen.
Die Mühle, die 1926
unter der Bezeichnung „Gebrüder Panthel, Inhaber Robert und Wilhelm
Panthel, Müllerei Talmühle Hirtscheid" firmiert, heißt im Sprachgebrauch
der Dorfbewohner bis heute „Panthelsmühle".
1955 überlassen die
Brüder R. und W. Panthel ihre Mühle pachtweise für kurze Zeit an einen aus
Ostdeutschland vertriebenen Müller. Bereits im Jahr darauf erfolgt die
endgültige Stilllegung der bis zuletzt von zwei Wasserrädern angetriebenen
Mühle.
Heute dient das
Anwesen landwirtschaftlichen Zwecken. Die Besitzer Mechthild und Ulrich Rahn
vermarkten ihre Erzeugnisse teilweise direkt ab Bauernhof an Endverbraucher.
Das Wasser, das einst den Mühlrädern die Energie lieferte, bewegt seit einigen
Jahren eine Turbine, die den Betrieb mit Strom versorgt. Von der ehemaligen
Ausstattung der Mühle sind noch ein Wasserrad sowie ein Schrotgang vorhanden.
Quellen und Literatur
Hess.
Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 154, 172, 211, 212, 224, 250/8, 342, 343.
Landeshauptarchiv Koblenz Abt.
510/23, 602/65, 736.
W. Heimann/J.
Weinknecht, Das Kirchspiel Alpenrod im Westerwald und seine Bewohner im 17. und
18. Jahrhundert, Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte,
Frankfurt/M. 1967.
50 Jahre Gemischter
Chor „Frohsinn" Hirtscheid 1990.
Für mündliche
Auskünfte sei auch an dieser Stelle Frau Mechthild Rahn und Herrn Günter
Panthel, Hirtscheid, sowie Herrn Paul Klöckner, Nistertal, herzlich gedankt.